Heike BaehrensSPD - Stärkung der pflegerischen Versorgung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Pflegebegriff kommt, und es gibt keinen vernünftigen Grund, diesem neuen, ganzheitlicheren Leitbild von Pflege und dem neuen Begutachtungsverfahren heute nicht zuzustimmen.
Diese Pflegereform schließt wichtige Lücken, aber sie hat auch ihre Tücken. Das betrifft insbesondere den stationären Bereich, wo vorgesehen ist, die umfangreichen Veränderungen budgetneutral umzusetzen, damit die Heime nach der Umstellung das gleiche Budget zur Verfügung haben wie vorher und um die Kosten der Pflegeversicherung berechenbar zu halten.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Genau das meinen wir!)
Das ist aus praktischen Gründen nachvollziehbar. Die Tücke liegt jedoch darin, dass diese Form der Überleitung keinerlei Spielraum für die dringend notwendigen Leistungsverbesserungen in den Heimen lässt.
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben im PSG I die ambulante Pflege nachdrücklich gestärkt. Wir haben die palliative Versorgung im häuslichen Bereich und in den Hospizen verbessert. Demgegenüber werden an die Pflegeheime lediglich höhere Anforderungen gestellt, ohne eine verbindliche Regelung zur Finanzierung dieser Leistungen zu verankern.
Herr Minister Gröhe, Sie haben am vergangenen Donnerstag gesagt:
Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen verpflichten, mit Palliativnetzwerken und Palliativmedizinern zusammenzuarbeiten.
Ich höre die Pflegekräfte in den Heimen fragen: Warum eigentlich trauen Sie uns Altenpflegefachkräften nicht zu, eine hospizlich-palliative Versorgung im Heim zu gewährleisten? Ja, wir möchten die Bewohner auch auf ihrer letzten Wegstrecke begleiten und so versorgen, wie wir es gelernt haben. Aber warum geben Sie uns dafür nicht die gleiche finanzielle und personelle Ausstattung wie den stationären Hospizen? – Recht haben sie.
(Beifall bei der LINKEN)
Darum frage ich weiter: Warum eigentlich geht die Pflegeversicherung nach wie vor davon aus, dass in Pflegeheimen etwa 50 Prozent Fachpersonal ausreichen, während die Krankenversicherung selbstverständlich nahezu 100 Prozent des Fachpersonals in Hospizen und rund 80 Prozent der Fachkräfte in der ambulanten Pflege finanziert?
Wir haben für mehr Betreuungskräfte in den Heimen gesorgt.
(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist keine Erklärung zur Abstimmung!)
Allerdings entlastet auch dies nicht die Fachpflegekräfte; denn die höhere Zahl an Betreuungskräften muss vom examinierten Pflegepersonal angeleitet und unterstützt werden.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist eine inhaltliche Rede! Das ist keine persönliche Erklärung! – Gegenruf des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Ich muss nicht überzeugt werden! Ich brauche diese Rede gar nicht! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hören Sie mal zu!)
Die Verantwortung sowohl für die Pflege wie auch für die Betreuung bleibt beim Fachpersonal. Das „zusätzliche“ Betreuungspersonal führt dazu, dass der sowieso schon niedrige Fachkraftanteil der Altenpflege de facto bereits unter 50 Prozent liegt.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch keine persönliche Erklärung!)
Darum ist es richtig, ein fundiertes Verfahren für die Personalbemessung in den Pflegeheimen auf der Basis des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu entwickeln. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn das schneller ginge.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Noch eine Tücke möchte ich kurz ansprechen, nämlich den einrichtungsindividuellen einheitlichen Eigenanteil. Gemeint ist damit: Alle Bewohner zahlen künftig im Heim den gleichen Preis für die Pflege, unabhängig davon, wie viel pflegerische Unterstützung sie aufgrund ihres Pflegegrades erhalten. Damit wird das heutige System der Preisbildung verändert, obwohl das Gesetz weiterhin am Prinzip der leistungsgerechten Vergütung festhält. So wird der Problematik begegnet, dass Pflegebedürftige oder Angehörige
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist keine persönliche Erklärung!)
oft auf die Beantragung einer höheren Pflegestufe verzichtet haben,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht so nicht!)
um höhere Kosten zu vermeiden. Diese Neuerung ist gut gemeint, aber, wie ich befürchte, nicht gut durchdacht.
Ein einheitlicher Eigenanteil ist gut für diejenigen, die einen hohen Pflegebedarf haben und viele Leistungen in Anspruch nehmen müssen.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist gelebte Solidarität!)
Die Solidarität mit den schwer Pflegebedürftigen führt jedoch zur finanziellen Mehrbelastung von Pflegebedürftigen mit niedrigem Pflegegrad. Es stellt sich daher berechtigerweise die Frage, ob das von jenen als gerecht empfunden werden wird, die zukünftig zwar gleich viel bezahlen, aber wesentlich weniger Leistungen erhalten.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist eine ganz normale Rede!)
Wer wird ihnen erklären, dass die Altenpflegerin kaum Zeit für sie hat, während die Nachbarin intensiv versorgt wird? Sie werden sich nicht ans Ministerium, an die Pflegekassen oder an uns Abgeordnete wenden.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch mal 10 Minuten Redezeit zusätzlich!)
Sie werden diejenigen fragen, die ihnen am nächsten sind, und das sind die Pflegekräfte. Sie werden diejenigen fragen, die sich schon heute im Alltag aufreiben, um allen gerecht zu werden, weil die Personalschlüssel nicht ausreichend sind.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist alles, aber keine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung!)
Denn obwohl der Bedarf und die Anforderungen an medizinischer Behandlungspflege und Sterbebegleitung enorm zugenommen haben, haben wir heute die gleichen Personalschlüssel in der stationären Pflege wie Anfang der 90er-Jahre. Darum mache ich mit meiner persönlichen Erklärung heute darauf aufmerksam: Es ist Zeit, mehr für die Pflege und die Fachkräfte in stationären Einrichtungen zu tun. Dafür möchte ich werben. Deshalb war es mir wichtig, das sagen zu können.
(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das war keine gute Werbung!)
Frau Kollegin Baehrens, das war eine Demonstration dafür, wofür diese Bestimmung der Geschäftsordnung nicht gedacht ist.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie wird ganz sicher die Neigung der jeweils amtierenden Präsidenten, Erklärungen zu Abstimmungen überhaupt, schon gar vor der Abstimmung zuzulassen, weiter reduzieren; denn im Ergebnis führt das zu einer Verlängerung der Redezeiten einer Fraktion, die angesichts der Proportionen, die wir hier haben, von den Oppositionsfraktionen als nicht besonders freundlich empfunden werden kann.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6146641 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 137 |
Tagesordnungspunkt | Stärkung der pflegerischen Versorgung |