24.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 138 / Tagesordnungspunkt I.4

Anja HajdukDIE GRÜNEN - Einzelpläne Finanzen, Bundesrechnungshof

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratungen für den Haushalt 2016 waren sicherlich ganz besondere Haushaltsberatungen. Sie standen von der ersten Lesung im September an bis heute unter dem Megathema und der Herausforderung der großen Flüchtlingsbewegungen und fanden unter den Gesichtspunkten der daraus folgenden Aufnahmebereitschaft unseres Landes und der Integration statt.

Ich will hier sagen: Die Bundesregierung und die Große Koalition haben hier, anders als in den Vorjahren – das darf man leider nicht vergessen –, endlich reagiert: Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden deutlich mehr Stellen – es sind mehrere Tausend – bereitgestellt, und Integrationsmaßnahmen werden in einem deutlich erhöhten Ausmaß finanziert. Viele verschiedene Projekte sind bereits angepackt worden. Das heißt, Sie haben sich bewegt. Sie haben sich auch dahin gehend bewegt, Länder und Kommunen strukturell zu unterstützen. Aber – das muss man ebenfalls ganz nüchtern sehen –: Sie kommen nicht aus dem Modus heraus, nur auf Sicht zu fahren. Da Sie nur auf Sicht fahren, werden wir, wenn es so weitergeht, die Aufgaben nicht lösen. Auf Sicht fahren, das führt zum Scheitern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen. Im Einzelplan 06 des Innenministeriums finden sich Mittel für Integration und Sprachkurse. Sie sagen: Wir machen da eine ganze Menge. Wir erhöhen die Mittel um 250 Millionen Euro und landen damit bei über 550 Millionen Euro. – Aber man muss ganz nüchtern sehen: Der Innenminister selber hat uns dargelegt, sein eigentlicher Bedarf liege bei zusätzlich 570 Millionen Euro. Sie wissen selber, dass Sie nur die Hälfte von dem einstellen, was nötig ist. Dieses Auf-Sicht-Fahren ist ein Blindflug. Hier brauchen wir eine ehrliche Weitsicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderes Beispiel. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden erhöht. Das ist eine richtige Maßnahme und auch ein wichtiges Thema mit Blick auf die Akzeptanz in der Gesellschaft. Wir schaffen Wohnraum für Flüchtlinge, aber auch für die Menschen in der Gesellschaft, die Unterstützung brauchen. Sie stellen dafür zusätzlich 500 Millionen Euro ein. Damit kommen wir auf einen Betrag von 1 Milliarde Euro. Wir wissen aber: Wir brauchen im kommunalen Wohnungsbau ein Programm, das 2 Milliarden Euro umfasst. Auch dies ist wieder ein Beispiel dafür, dass Sie auf Sicht fahren. Dieser Betrag wird nicht reichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das dritte Beispiel, das ich hier nennen muss, ist der Bereich Kita und Bildung. Auch hier brauchen wir ein besser ausgestattetes Programm. Ich sage Ihnen: Wir Grünen legen Ihnen zu diesem Haushalt ein Paket in Höhe von 5,2 Milliarden Euro vor, um die Herausforderungen im Zusammenhang mit Flucht und Integration zu bewältigen, aber auch um die gesellschaftliche Akzeptanz im Bereich Wohnungsbau und Bildung zu schaffen. So ein Programm kann man solide gegenfinanzieren. Wir wollen, dass Sie uns hier folgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderer Punkt. Es wird viel über Fluchtursachen diskutiert. Da muss ich Sie fragen, Herr Schäuble: Wann, wenn nicht jetzt, da wir über Fluchtursachen und internationale Verantwortung reden, wäre es Zeit für eine ambitionierte Klimapolitik und eine glaubwürdige globale Entwicklungszusammenarbeit? Das würde für Deutschland bedeuten, einen Aufholplan zu entwerfen, bis 2020 das ODA-Ziel von 0,7 Prozent zu erreichen und einige Tage vor Paris gleichzeitig das Versprechen einzulösen, die internationale Finanzierung des Klimaschutzes durch einen Beitrag der Geberländer in Höhe von 100 Milliarden Euro zu verstetigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grünen legen Ihnen einen Plan vor, wie wir bis 2020 die ODA-Quote von 0,7 Prozent und einen deutschen Beitrag von 7 bis 8 Milliarden Euro für den Klimaschutz erreichen können. Das ist alles mit unserem Haushalt finanzierbar. Die Zahlen in Ihrem Haushalt stagnieren aber. Sie bleiben bei einer ODA-Quote von 0,4 Prozent. Sie brechen dieses wichtige internationale Versprechen.

Ich sage Ihnen: Sie wissen doch, wir müssen die anderen Geberländer mitnehmen. Wir mussten zur Kenntnis nehmen – darüber haben wir gesprochen –, dass die nötige Finanzierung der Flüchtlingscamps in den Nachbarländern der von Flucht betroffenen Regionen, also im Libanon und in Jordanien, durch den internationalen Geberkreis nicht geleistet wird. Deswegen spreche ich diesen Punkt an. Deutschland muss hier glaubwürdig vorangehen und die anderen Länder mitnehmen. Wir können das.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen darüber aber nicht nur reden, sondern das muss sich im Haushalt 2016 und im Finanzplan abbilden.

Noch ein weiterer Blick auf den Haushalt. Wir müssen doch die Frage stellen, ob diese Haushaltspolitik die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft ist. Herr Rehberg, Sie haben gesagt: Hier haben wir keinen Nachholbedarf.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Richtig!)

Das kann nur daran liegen, dass Sie die dem Haushalt zugrunde liegende Situation nicht wirklich ehrlich analysieren. Wir haben sehr gute Rahmenbedingungen – das wissen wir –: Die Beschäftigungslage ist wegen der demografischen Situation gut. Die Zinsen sind niedrig. Das aktuelle Wachstum beschert uns hohe Steuereinnahmen.

Aber richtig ist auch, dass wir seit über 20 Jahren auf Kosten unserer Substanz leben. Von 1992 bis 2012 hat sich das private Nettovermögen auf mehr als 10 Billionen Euro verdoppelt. Gleichzeitig ist das staatliche Nettovermögen um 800 Milliarden Euro auf nahezu null geschrumpft. Das liegt daran, dass wir zu wenig investieren und zu wenig analysieren, welch ständigen Wertverzehr es im Haushalt gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir brauchen mit Blick auf den Haushalt endlich eine ehrliche Vermögensbilanz. Zusätzlich zur Schuldenbremse brauchen wir eine Investitionsregel, die das Abschmelzen des öffentlichen Vermögens verbietet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Einen entsprechenden Antrag legen wir Ihnen ebenfalls vor. Und wir brauchen eine wirkliche Investitionsoffensive in Deutschland.

Mein Fazit ist: Sie haben keinen verlässlichen Plan in der Integrationspolitik. Sie haben kein Herz für die globale internationale Zusammenarbeit, und Sie haben überhaupt keinen Mut für die notwendige Investitionsoffensive, die unser Land braucht. So wird das nichts! Schauen Sie auf unsere Anträge. Die können Sie bis Freitag noch beschließen. Dann würde es nach vorne gehen.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erhält jetzt der Kollege Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6206664
Wahlperiode 18
Sitzung 138
Tagesordnungspunkt Einzelpläne Finanzen, Bundesrechnungshof
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