24.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 138 / Tagesordnungspunkt I.6

Frank TempelDIE LINKE - Einzelpläne Innen, Datenschutz und Informationsfreiheit

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Tausenden Geflüchteten, die in Deutschland Schutz suchen, mit Terroranschlägen in Paris und den Terrorwarnungen im eigenen Land steht momentan besonders die Innenpolitik im Fokus unserer Bevölkerung. Aber wer ist für die Bewältigung dieser Aufgaben tatsächlich zuständig?

Niemand von uns registriert Flüchtlinge oder bearbeitet Asylanträge. Der Bundestag ist auch nicht vor Ort, um Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Niemand von uns muss sich Flüchtlingen persönlich als Helfer oder Partner zur Verfügung stellen, niemand von uns muss sich Terroristen persönlich entgegenstellen. Für alle diese Aufgaben sollte der Bundesrepublik ein starker öffentlicher Dienst zur Verfügung stehen. Wir, die Legislative, haben den öffentlichen Dienst mit Gesetzen, Personal, Logistik und Finanzen so auszustatten, dass er als Exekutive ausreichend für diese Aufgaben aufgestellt ist.

Fakt ist: In Bund, Ländern und Kommunen wurden von 1991 bis 2013  2,1 Millionen Stellen abgebaut. Einsparungen waren bisher das Maß aller Dinge. Aber eine Frage haben Sie offensichtlich vergessen: Was muss der öffentliche Dienst leisten können, und was braucht er, um auch in Belastungssituationen, wie wir sie jetzt haben, diese Aufgaben erfüllen zu können? Hier haben Sie bisher versagt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Alle Warnungen über fehlende Stellen, zum Beispiel bei der Polizei, haben Sie in den Wind geschlagen. Die bewusste Ignoranz zahlen Beamtinnen und Beamte übrigens momentan mit zahlreichen Überstunden. Vom 13. September bis zum 16. Oktober dieses Jahres kamen allein in der Bundespolizei 500 000 Überstunden zustande. Jetzt haben Sie dafür zumindest zusätzliche Stellen geschaffen. Aber in anderen Bereichen verstehen Sie immer noch nicht, dass es 2016 nicht auf die heilige schwarze Null im Haushalt ankommt, sondern ganz einfach auf die Bewältigung von Aufgaben. Um diese erfüllen zu können, müssen wir die Hebel da ansetzen, wo sie die bestmögliche Wirkung entfalten.

Deswegen Schluss mit dem nutzlosen Gerede von Belastungsgrenzen und Obergrenzen. Erhöhen Sie stattdessen die Belastbarkeit der Kommunen. Diese bleiben nach wie vor auf einem Großteil ihrer Ausgaben sitzen und kommen deswegen mit ihren Aufgaben dort, wo direkt Personen betroffen sind, nur schleppend voran.

Noch ein Punkt: Eine Frage von Menschlichkeit, aber auch Vernunft ist eine sehr viel stärkere Investition in Integration und Bildung für Geflüchtete. Das frühzeitige Gewähren von Sprachkursen ist doch keine Sozialhilfe, wie man bei Herrn Schäuble zu hören vermeint, sondern eine Investition in Chancen und Zukunft in durchaus beiderseitigem Interesse.

Beim Umgang mit Flüchtlingen in unserem Land sehe ich einen weiteren Aspekt. Wir senden in die Welt ein Signal von Menschlichkeit und Solidarität. Terrorismus wird sich nicht durch die Aufgabe von Freiheitsrechten und durch Gegengewalt bekämpfen lassen. Die Spirale von Hass und Gewalt muss gebremst, gestoppt und zurückgedreht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen über die Ursachen von Terrorismus reden; denn nur wer die Ursachen kennt, sich damit beschäftigt und da ansetzt, bekämpft damit auch den Terrorismus selbst. Terroristen – das muss man leider auch hier im Haus immer wieder wiederholen; ich erinnere an die Pressemitteilungen – kommen nicht mit den Flüchtlingen ins Land. Diese fliehen gerade vor dem Terror. Jeder, der zu Recht über die Ereignisse in Paris erschrocken ist, sollte erahnen können, warum diese Menschen aus Syrien, dem Irak oder aus Afghanistan fliehen. Da kann ich dem Kollegen Gerster nur recht geben.

Eine ernstzunehmende Gefahr besteht aber durch Menschen, die sich hier bei uns radikalisieren. Wie kommt es zu dieser Radikalisierung? Warum reisen junge Menschen aus, gehen in Terrorausbildungscamps und lassen sich dort zu tödlichen Werkzeugen ausbilden? Wir reden mittlerweile in Deutschland von rund 750 zum Teil sehr jungen Menschen. Bis heute haben wir eindeutig zu wenig in zivile Strukturen investiert, um einer solchen Radikalisierung frühzeitig entgegenzuwirken. Die Linke fordert deswegen deutlich mehr Anstrengungen, um einer solchen Radikalisierung rechtzeitig durch soziale Strukturen mit einer klaren Präventionsstrategie entgegenzuwirken. Auch hier braucht es den öffentlichen Dienst und nicht schöne Worte.

Frankreich musste bitter erfahren, dass Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung und Überwachung, wie sie der Herr Innenminister gerade stark in den Fokus rückt, nicht mehr Sicherheit bringen, sondern dass gerade fehlende Investitionen in Sozial- und Präventionsstrukturen Gräben in einer Gesellschaft vertiefen.

Wenn ich über Maßnahmen zur präventiven Bekämpfung von Extremismus und Terror rede, also über Sicherheit, dann meine ich auch die Sicherheit von Flüchtlingen. Wir sehen in unserem Land brennende Flüchtlingsunterkünfte, sehen Angriffe auf Flüchtlinge, Angriffe auf Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, Angriffe auf Parteibüros. Der Rechtsextremismus in Deutschland nimmt immer gefährlichere Formen an. Doch darüber habe ich in der Haushaltsdebatte bisher nichts gehört. Die Gefahr ist groß, dass sich erneut Strukturen wie beim NSU entwickeln oder bereits entwickelt haben. Haben wir das Entsetzen darüber bereits vergessen?

Herr Minister, wenn ein Innenminister seine Mitschuld am Stellenabbau und den heute daraus entstandenen strukturellen Überlastungen nicht bekennt, sondern sich lieber zur Ablenkung über maßlose Flüchtlinge öffentlich äußert oder meint, afghanische Asylsuchende mögen doch besser in ihrem eigenen Land bleiben, weil wir bereits genug für sie getan hätten, dann gießt er Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten und Rassisten – egal ob er das damit will oder nicht –, die genau solche pauschalen Diffamierungen von flüchtenden Menschen für ihre Parolen nutzen. Die Terrorgefahr in unserem Land geht von rechts aus. Schauen Sie auf die rasant angestiegenen Zahlen. BKA und Verfassungsschutz warnen bereits.

Ich nehme an, zumindest den Sozialdemokraten in der SPD-Fraktion

(Dr. Eva Högl [SPD]: Es gibt nur Sozialdemokraten in der SPD-Fraktion!)

– das hoffe ich ja – dürfte diese Union mit ihren Forderungen nach Asylgesetzverschärfungen, Obergrenzen und Transitzonen als Partner zunehmend peinlich werden. Vielleicht ist es doch an der Zeit, einmal über andere Mehrheiten im Land nachzudenken. Mit der Linken wären eine präventive Sicherheitspolitik und damit eine andere Sicherheitspolitik in diesem Land möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Eva Högl von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6207458
Wahlperiode 18
Sitzung 138
Tagesordnungspunkt Einzelpläne Innen, Datenschutz und Informationsfreiheit
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