24.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 138 / Tagesordnungspunkt I.6

Volker BeckDIE GRÜNEN - Einzelpläne Innen, Datenschutz und Informationsfreiheit

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir gedenken in diesen Tagen und Wochen der Opfer von Terroranschlägen in Paris, Beirut, Mali, Tel Aviv und Jerusalem. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister, für Ihre Worte der Entschlossenheit im Hinblick darauf, dass wir in diesen Tagen und Stunden gemeinsam unsere Freiheitsrechte verteidigen wollen. Da dürfen wir Demokratinnen und Demokraten uns nicht auseinanderdividieren lassen.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir haben vielleicht zuweilen einen Streit über die Methoden, wie wir unsere Freiheit verteidigen wollen, wie wir die Flüchtlingsaufnahme humanitär gestalten können. Aber wir sollten hier gerade angesichts der Herausforderungen des Terrorismus klarmachen, dass wir die Freiheit verteidigen wollen und dass uns der Schrecken und das Grauen nicht übermannen. Dass wir hier im Rahmen des demokratischen Diskurses weiter über Methoden streiten, das darf in diesen Tagen nicht zurücktreten. Aber es muss klar sein, dass dies auch Teil der Wahrnehmung unserer Freiheit ist, die wir gemeinsam gegen den Terror verteidigen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb haben Sie uns, Herr Minister, auch immer an Ihrer Seite – Frau Hajduk hat es schon angesprochen; die Haushälter haben es unter Beweis gestellt –: Wenn es darum geht, angemessene und erforderliche Maßnahmen der inneren Sicherheit zu ergreifen, gerade vor neuen und zunehmenden Herausforderungen, dann werden wir das Notwendige politisch immer mittragen.

Aber ich sage auch: Nach solchen Terroranschlägen erschrecke ich mich immer ein bisschen, wenn ich Stunden später schon die ersten Pressemitteilungen von Agenturen lese, wo Leute genau wissen, welche Maßnahmen jetzt unbedingt folgen müssen: Fluggastdaten, Bundeswehr im Innern, Burka-Verbot. Die Pressemitteilungen scheinen schon im Stehsatz zu stehen, bevor irgendetwas passiert ist. Das bringt den Bürgern kein Gefühl der Sicherheit, wenn wir so unseriös handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen uns genau anschauen: Was waren das für Täter? Was haben die für biografische Hintergründe? Was können wir daraus für Präventionsstrategien lernen? Was waren womöglich Sicherheitslücken oder Fehler bei der Verarbeitung von Informationen, die ja durchaus da waren? Wenn wir das sorgfältig tun, können wir für die praktische Sicherheitsarbeit enorm viel lernen und daran arbeiten, unser Land und das unserer Nachbarn sicherer zu machen. Das gelingt nur durch gemeinsame Arbeit, aber nicht durch Hallodri-Parolen in den Agenturtickern.

Meine Damen und Herren, wir mussten Sie letztes Jahr bei den Haushaltsberatungen bei den Präventionsprojekten gegen Radikalisierung und Terrorismus zum Jagen tragen. Ich bin froh, dass Sie es mittlerweile eingesehen haben und da mit uns gemeinsam in diesem Haushalt weitere Schritte gehen. Natürlich ist Prävention etwas Nachhaltiges. Das wirkt nicht von heute auf morgen. Aber es ist die Methode, durch die man Sicherheit dauerhaft schafft. In der Zwischenzeit muss man natürlich mit Gefahrenabwehr versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Aber wir wissen: In einem demokratischen freien Land gibt es keine absolute Sicherheit, und in einem nichtdemokratischen und unfreien Land gibt es absolute Unsicherheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Terror und Bürgerkrieg in Syrien haben ja zwei Konsequenzen: Sie bedrohen einerseits die innere Sicherheit, wie wir in Paris gesehen haben, und sie entwurzeln viele Menschen, die Schutz suchen vor diesen Terroristen und vor diesem Bürgerkrieg. Deshalb ist die humanitäre Gestaltung der Flüchtlingsaufnahme einerseits eine humanitäre Verpflichtung für uns. Sie ist andererseits eine gesellschaftspolitische Antwort auf die Ideologie des Islamismus, indem wir sagen: Ja, wir schauen nicht, woher jemand kommt. Bei uns finden Menschen Schutz vor Verfolgung. Das macht unsere Humanität aus, und das unterscheidet uns so grundsätzlich von der Menschenverachtung von IS, Da‘isch und anderen islamistischen Projekten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sollten wir auch nicht über Obergrenzen reden. Bei der Grundrechtswahrnehmung – sowohl beim Recht auf Asyl als auch beim Recht auf Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention geht es im Kern um Grund- und Menschenrechte – kann es niemals eine zahlenmäßige Begrenzung durch Obergrenzen geben. Aber wir können natürlich gestalten, wie wir die Flüchtlingsaufnahme bewältigen. Da ist von zentraler Bedeutung, dass wir diese Aufgabe wieder europäisch-solidarisch anpacken.

Es gehört aber zur Wahrheit auch dazu, zu sagen, dass wir in der Vergangenheit die Profiteure von Dublin waren und dass wir uns als Deutsche nicht um eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge, die in Malta, Griechenland, Spanien, Italien und Portugal ankamen, gekümmert haben. Jahrelang war uns das egal. Wir waren ja fein umzingelt von sicheren Drittstaaten. Das hat nicht mehr funktioniert. Jetzt gilt es, eine neue Solidarität herzustellen mit einer neuen Verteilung, und das nicht nur wegen unserer Belastungen, sondern weil wir nur gemeinsam in Europa mehr leisten können.

Herr Minister, ich bin durchaus bei Ihnen, wenn Sie sagen: Wir wollen gemeinsam Flüchtlingskontingente aufnehmen. – Wenn das nicht heißt, dass wir gleichzeitig die Aufnahme der Menschen, die zu uns kommen, begrenzen, bin ich da einverstanden. Lassen Sie uns das mit Resettlement-Programmen der Vereinten Nationen ausbauen und legale Zugangswege für die Flüchtlinge schaffen, damit sie sich nicht mehr in Schaluppen setzen, um das Mittelmeer zu überqueren, und ihr Leben gefährden.

Zu einer solchen Politik passen aber überhaupt nicht Diskussionen, wie Sie sie leider angefangen haben, nämlich zu sagen: Wir wollen die Möglichkeit zum Familienzuzug für die Flüchtlinge, die da sind, einfach kappen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das steht zwar nicht in Ihrem Gesetzentwurf, aber in Interviews haben Sie das so gesagt. Was sagt das denn den Menschen, die in den Flüchtlingscamps sitzen, deren Sohn, Mann oder Bruder vielleicht hier in Deutschland, in Frankreich oder in einem anderen europäischen Land ist? Sie sagen ihnen: Ihr braucht nicht auf den Familiennachzug warten. Macht euch schon einmal auf, setzt euch in die Schaluppen! – Das ist ein Schleuserankurbelungsprogramm. Das dürfen wir aus humanitären Gründen nicht machen, und das dürfen wir auch nicht machen, weil wir so die Situation auch nicht wirklich in den Griff bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie die Finger auch von Ihrem Asylpaket! Sie haben ja nach dem „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ jetzt kurioserweise ein „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ vorgelegt. Lassen Sie auch die Finger davon, die Rechtsfristen für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten zu verkürzen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ein Satz noch dazu, wo auch die Finger vom Asylpaket gelassen werden sollten. – Bei Integrationskursen eine Eigenbeteiligung der Flüchtlinge zu verlangen – wir reden da vielleicht über 3 oder 5 Euro im Monat, und dafür bauen wir eine riesige Bürokratie auf –, ist schikanös. Das bringt nichts für die Integration. Solche Sachen können wir uns in diesen Zeiten, wo es um große Aufgaben geht, einfach nicht leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6207485
Wahlperiode 18
Sitzung 138
Tagesordnungspunkt Einzelpläne Innen, Datenschutz und Informationsfreiheit
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta