24.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 138 / Tagesordnungspunkt I.7

Ulla Schmidt - Einzelpläne Justiz und Verbraucherschutz, Bundesverfassungsgericht

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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute kommen wir zur Halbzeit dieser Legislatur zusammen. Wir können auf die Zwischenbilanz der Rechts- und Verbraucherschutzpolitik stolz sein; denn hinter viele Projekte, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, können wir inzwischen ein Häkchen machen.

Jetzt kommt es darauf an, die Marschroute für die zweite Hälfte der Legislaturperiode festzuzurren. Und es ist schon wahr: Diese Überlegungen stehen bei uns allen ganz unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse von Paris. Auch nach zehn Tagen sitzt der Schock noch tief; denn wie schon bei Anschlägen, die es zuvor gegeben hat, wissen wir – das ist klar in unser Bewusstsein eingedrungen –: Das ist kein Anschlag gegen Paris oder gegen Frankreich, sondern das ist ein Anschlag gegen die Art, wie wir leben, gegen unseren freiheitlichen Rechtsstaat, gegen unsere Werte und gegen alle Menschen, die für Demokratie, für Menschenwürde und für Menschlichkeit stehen. Dass wir in Deutschland noch keinen solchen Anschlag beklagen mussten, ist auf die erstklassige Arbeit unserer Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Aber wir haben natürlich auch verdammt viel Glück gehabt. Auf das Glück allein dürfen wir es aber nicht ankommen lassen.

Die Dschihadisten, der IS, die selbsternannten Gottes­krieger sollten sich nicht täuschen. Wir sind ein liberales Land, wir sind ein tolerantes Land, aber wer sich mit unserem freiheitlichen Staat anlegt, dem sagen wir klar: Wenn ihr uns bekämpft, dann werden wir uns wehren, dann treten wir euch mit aller Härte und mit aller Schärfe entgegen; wir sind eine wehrhafte Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben in dieser Legislaturperiode schon viel erreicht. Ich wiederhole das, was der Bundesjustizminister soeben gesagt hat: Wir haben schon vor den Attentaten von Paris das beschlossen, was für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger wichtig ist. Wir haben bereits den Versuch der Ausreise in Kampfgebiete mit terroristischer Absicht unter Strafe gestellt. Damit haben wir schon sehr früh die Möglichkeit, Ausreisen in Kriegsgebiete zu unterbinden. Aktuell werden im Übrigen viele Ermittlungsverfahren wegen genau solcher Straftaten geführt.

Außerdem haben wir einen eigenen Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung eingeführt und den Anwendungsbereich erweitert. Wir müssen den Terrorgruppen, so gut es geht, den Geldhahn zudrehen, ihnen den finanziellen Nährboden entziehen. Nicht zuletzt haben wir auch die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt. Die Ermittler bei unseren Sicherheitsbehörden brauchen geeignete Instrumente, um die Täter zu fassen und gegen Terror vorzugehen. Damit haben wir einiges auf den Weg gebracht.

Wahr ist aber leider auch: Einen Terroranschlag kann man auch dadurch nicht gänzlich ausschließen. Gleichwohl sollten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns das Strafrecht bietet, wenn es darum geht, gegen terroristische Vereinigungen vorzugehen, und – ich sage es an dieser Stelle noch einmal – wenn es darum geht, ihnen den geistigen Nährboden zu entziehen. In meinen Augen sind wir es auch den Opfern schuldig, unsere Instrumente zur Bekämpfung von Terror immer wieder zu überprüfen und, wenn es sein muss, neu zu justieren – nicht ohne Maß und nicht ohne Plan, aber gewissenhaft, gründlich, mit Verantwortung.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!)

– Schön, dass Sie alle auch zu dieser etwas fortgerückten Stunde noch wach und aufmerksam sind.

Für mich gilt: Terrorwerbung ist kein Grundrecht. Wer für Terrorvereinigungen wie die Terrormiliz „Islamischer Staat“ Sympathie äußert und für sie wirbt, der muss bestraft werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Um potenzielle neue Anhänger gerade auch in unserem Land anzusprechen, sind Terrororganisationen zunehmend auch auf den Plattformen Twitter, Facebook und Instagram unterwegs. Dies gilt im Übrigen nicht nur für islamistische Terrorgruppen, sondern in starkem Maße auch für rechtsextreme Gruppen, die auch über das Internet Werbung für ihre kruden Positionen machen.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ganz neue Erkenntnis!)

Die Terrorwerbung ist der geistige Nährboden für terroristische Gewalt. Insbesondere onlineaffine junge Männer werden so direkt und in einer wirklich furchterregenden Art und Weise angesprochen. Sympathiewerbung für terroristische – islamistische wie rechtsextremistische – Vereinigungen ist nichts anderes als Werbung für Terror und Gewalt. Deswegen reicht es, jedenfalls nach meiner Auffassung, nicht aus, auf Vereins- oder Betätigungsverbote nach dem Vereinsgesetz durch den jeweiligen Innenminister zu warten. Es ist unzweifelhaft richtig, dass das vom Innenminister im September 2014 gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausgesprochene vereinsrechtliche Betätigungsverbot eine Grundlage bietet – das war eine völlig richtige Entscheidung des Innenministers –; die Werbung für eine solche Organisation ist jedoch mit unserer Werteordnung so absolut unvereinbar, dass sie auch aus sich heraus strafbar sein sollte, auch ohne ein vereinsrechtliches Verbot. Es darf doch keinen Unterschied machen, ob man für den „Islamischen Staat“ Werbung macht – das ist strafbar – oder für al-Qaida; das ist nicht strafbar, weil es hier kein Betätigungsverbot gibt. Wer unseren freiheitlichen Staat bekämpft, dem müssen wir so früh wie möglich wehrhaft entgegentreten. Dazu gehört, dass Werbung für terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt wird. Denn damit können wir früh ansetzen und auch dem geistigen Nährboden, der täglich rasend schnell über das Internet verbreitet wird, die Grundlage entziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Einen Bereich dürfen wir hierbei ebenfalls keinesfalls aus den Augen verlieren: Je mehr Islamisten wir verhaften können, umso größer wird die Herausforderung in unseren Haftanstalten. Klar ist: Wir dürfen diese Menschen nicht einfach nur einsperren und sich selbst überlassen. Damit bleiben sie eine Gefahr für sich selbst und für viele andere. Zudem besteht die Gefahr, dass sie Mithäftlinge in ihre kruden Gedankenwelten mit hineinziehen.

Radikalisierungsprozessen müssen wir dort entgegenwirken, wo sie entstehen. Dies ist in den Haftanstalten in starkem Maße der Fall. Hier sind natürlich die Bundesländer in erhöhtem Maße gefragt. Es liegt seit längerem auf der Hand, dass hier sehr große Probleme auf uns zurollen. Denn irgendwann werden die Extremisten wieder aus den Gefängnissen entlassen. Möglicherweise sind sie dann noch mehr radikalisiert, möglicherweise ist es ihnen gelungen, andere, die vorher gar nicht radikal waren, zu radikalisieren. Das ist natürlich eine gefährliche Entwicklung.

Deshalb brauchen wir ein umfassendes Konzept sowohl für Prävention als auch gerade für die Arbeit mit radikalen Islamisten in der Haft, um weitere Radikalisierung zu verhindern und Menschen zu schützen. Experten sagen uns: Gerade in der Haft entstehen häufig salafistische Netzwerke, die später genutzt werden. Manche Bundesländer wie etwa Hessen und Bayern haben das frühzeitig erkannt und ein Konzept entwickelt, wie sie damit umgehen.

Aus meiner Sicht – darum möchte ich uns alle bitten – sollten wir einen Antiterrorpakt oder eine Allianz gegen den Terror auch im Präventions- und Deradikalisierungsbereich bilden. Herr Bundesminister Maas, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in diesem Bereich beispielsweise eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einsetzen. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Ländern den außerordentlichen Herausforderungen des extremistischen Islamismus in unseren Gefängnissen tatkräftig und schnell begegnen. Wir brauchen auch hier dringend eine bessere Vernetzung, ein gesamtheitliches Konzept und einen Austausch von gewonnenen Informationen zwischen Bund und Ländern, etwa Informationen aus den beiden genannten Ländern, die hier seit einiger Zeit über Erfahrungen verfügen. Ein erster richtiger Schritt ist hierbei sicherlich die Einrichtung einer neuen Anti-Salafismus-Koordinierungsstelle im Hause von Frau ­Schwesig.

Einen Aspekt möchte ich noch anbringen, nämlich ein Lob für unsere Polizei, für unsere Dienste und für alle, die gerade in diesen Zeiten an vorderster Front für die Sicherheit und die Freiheit in Deutschland stehen. Wir in der Großen Koalition sind es unseren Polizistinnen und Polizisten schuldig, dass wir ihren Einsatz honorieren und ihnen zeigen: Wir stehen hinter euch. Wir wissen, was ihr gerade in dieser Zeit jeden Tag leistet. Wir danken euch herzlich für eure Arbeit, die ihr tagein und tagaus macht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Koalitionsvertrag haben wir im Übrigen noch stehen, dass wir den Schutz von Polizistinnen und Polizisten sowie anderen Einsatzkräften verbessern wollen.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange steht das noch drin?)

Niemals war das nötiger als jetzt, sowohl was die Ausbildung und Ausrüstung als auch was den strafrechtlichen Schutz angeht. Wir sollten das zwingend auf unsere To-do-Liste für die zweite Hälfte der Legislaturperiode schreiben und schnell weiter an diesem Thema arbeiten.

(Beifall des Abg. Klaus-Dieter Gröhler [CDU/CSU])

Noch ein Gedanke zum Abschluss. Nach Paris und zuletzt auch Mali bin ich noch verärgerter darüber, welch absurde Diskussionen, die jeden Bezug zur Realität verloren haben, in unserem Land in letzter Zeit geführt werden. Unsere Freiheit ist in allererster Linie durch den Terror bedroht und durch nichts anderes. Bedenken der Opposition gegen die Vorratsdatenspeicherung und ihre Kritik an der Arbeit der Geheimdienste sind mir über weite Strecken gerade in dieser Zeit gänzlich unverständlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer so argumentiert, hat den Schutz der Bürgerinnen und Bürger aus den Augen verloren. Ich jedenfalls möchte, dass jede Bürgerin und jeder Bürger auch in diesem Jahr ohne Angst auf einen Weihnachtsmarkt gehen kann. Dafür müssen wir unsere Sicherheitsbehörden tatsächlich und rechtlich so ausstatten, dass sie uns schützen können.

Herr Kollege Strobl, Sie denken an die Zeit, ja?

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich rede gleich auch 15 Minuten!)

Das ist keine Scharfmacherei, sondern eine Selbstverständlichkeit in einem freiheitlichen Land.

Abschließend: Wir werden die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger so gut, wie es nur irgendwie möglich ist, konsequent schützen und verteidigen. Die Freiheit wird den Terror am Ende des Tages besiegen.

Schönen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6207876
Wahlperiode 18
Sitzung 138
Tagesordnungspunkt Einzelpläne Justiz und Verbraucherschutz, Bundesverfassungsgericht
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