Tobias LindnerDIE GRÜNEN - Einzelplan Verteidigung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Etat ist wenige Stunden vor den Ereignissen in Paris beraten worden. Man kann ihn – ich sage: glücklicherweise – auch nicht als Reaktion auf die Ereignisse in Paris sehen. Aber natürlich führen wir diese Debatte nicht nur im Lichte der Ereignisse in Paris, sondern auch im Lichte der Anschläge in Beirut und Bamako, im Lichte der anhaltenden Gewalt in Syrien.
Wir stehen vor vielen Herausforderungen, auf die Politik Antwort geben soll. Ich will für meine Fraktion sagen: Am Ende wird die Antwort auf diese Herausforderungen nur eine politische sein können. Unser oberstes Ziel muss es sein, dass das Töten endlich ein Ende findet. Die Menschen in Syrien sollen in Frieden leben können. Wir dürfen diesen Krieg nicht weiter anheizen. Wir müssen unser gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen, damit die Waffen endlich zum Schweigen kommen, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE])
Ich will in Reaktion auf die Anschläge in Paris ganz deutlich sagen: Für mich, für uns Grüne sind Besonnenheit und Entschlossenheit kein Begriffspaar, das sich gegenseitig ausschließt. Ich will deutlich sagen: Natürlich kann man mit dem IS – wir sollten es besser Da‘isch nennen – nicht politisch reden. Den IS, Da‘isch, kann man nur bekämpfen. Aber genauso müssen wir uns darüber einig sein, dass die Lösung am Ende nur in Syrien liegen und nur eine politische Lösung sein kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Ministerin, Sie haben es schon angesprochen: Solange in Syrien, solange im Nahen Osten kein Frieden herrscht, so lange werden neue Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Bei allem Streit in der Sache, vor allem über den Verteidigungsetat, den wir heute beraten, sage ich: Meine Fraktion erkennt den signifikanten Beitrag, den die Bundeswehr bei der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge in Deutschland leistet, an. Wir möchten den Soldatinnen und Soldaten und den zivilen Helferinnen und Helfern für ihren Einsatz, den sie unentwegt leisten, an dieser Stelle danken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Kommen wir zum Verteidigungsetat. Ich habe schon vom Streit gesprochen. Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, was den Zuwachs beim Einzelplan 14 angeht, über den Sie sich freuen und wo ich Ihnen durchaus gute Medienarbeit attestiere, wollen Sie der simplen Logik folgen: Viel hilft viel. Auf dem NATO-Gipfel in Wales hat sich die Bundesregierung noch zum 2-Prozent-Ziel bekannt. Wir müssen uns klarmachen, dass die Erfüllung dieses Ziels bei dem heutigen BIP bedeuten würde, dass sich der Etat des Verteidigungshaushalts um 28 Milliarden Euro erhöhen würde, auf ganze 62 Milliarden Euro. Das ist nicht nur überdimensioniert, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist völlig unrealistisch, dieses Ziel überhaupt erreichen zu wollen. Und um ehrlich zu sein: 2 Prozent des BIP als politisches Ziel – nach dem Motto: Wofür das Geld ausgegeben wird, ist uns egal; wir wollen nur festlegen, wie viel es ist – zu definieren, ist eine ziemlich schlechte Zielmarke. Nein, das ist keine gute Verteidigungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie selbst haben erklärt, dass Sie schon froh sind, dass der Verteidigungshaushalt auf 1,17 Prozent anwächst. Sie haben immer wieder ausgeführt, Sie wollen dieses Ziel halten. Wir haben bereits gestern in diesem Haus darüber gesprochen, dass es Deutschland gut geht, und haben uns alle darüber gefreut. Wenn man sich die aktuellen Konjunkturprognosen und Ihre aktuelle Finanzplanungslinie ansieht, dann würde die Verfolgung des 2-Prozent-Ziels zusätzliche Aufwüchse über die mittlere Finanzplanung bedeuten. Ich will ganz deutlich sagen: Abgesehen davon, dass ich das nicht für sinnvoll halte, glaube ich auch nicht, dass das bei den enger werdenden Spielräumen im Bundeshaushalt möglich sein wird. Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Sie fordern einfach mehr Geld und wissen gar nicht, wofür.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wer fordert das?)
Verabschieden Sie sich von diesem unrealistischen Ziel! Denn Sie führen dadurch eher die Bundeswehr nach Wolkenkuckucksheim, als dass das zu einer besseren Ausstattung der Bundeswehr oder zu einer besseren Verteidigungspolitik führen würde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist eine Märchenrede!)
Weil der Kollege Otte gerade Angst vor Märchen hat: Schauen wir uns doch einmal den Verteidigungsetat im Detail an.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Gerne!)
Wenn Sie, Kollege Otte, hineingeschaut hätten, hätten Sie erkannt, dass es dort eine sonderbare Gleichzeitigkeit von Überfluss und Mangel gibt. Das macht die Forderung noch absurder.
Schauen wir uns die Personalmittel an. Ich muss Sie nicht darauf hinweisen, dass das eine gesetzliche Pflichtaufgabe ist. Wir haben wahrgenommen, dass in den letzten Jahren die Mittel für das Personal immer unterveranschlagt waren, und zwar nicht wegen Tarifsteigerungen, die den Soldatinnen und Soldaten zu Recht zustehen und die sie von Herrn Schäuble bekommen: Nein, sie waren systematisch zu niedrig veranschlagt. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber der Truppe nicht gerecht, Frau von der Leyen. An der Stelle haben wir einen Mangel.
Wenn man in das Beschaffungskapitel, in den Bereich Rüstung, schaut, dann sieht man das absolute Gegenteil. 2013 ist über 1 Milliarde Euro liegen geblieben, 2014 waren es 763 Millionen Euro. Auch in diesem Jahr – Stand: Ende August – gehen Sie von mehr als einer halben Milliarde Euro aus.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Es wird immer weniger! Das ist eine gute Entwicklung!)
Da herrscht Überfluss. Sie brauchen diesen Überfluss sogar, um die Personalausgaben zu finanzieren. Wie absurd ist es denn, einen Haushalt aufzustellen, bei dem Sie schon heute hoffen müssen, dass Sie weitere Probleme im Rüstungsbereich haben werden, damit Sie die Soldatinnen und Soldaten am Ende des Monats finanzieren können? Das sorgt weder für Klarheit noch für Wahrheit im Haushalt, noch hat es irgendetwas mit einer vernünftigen Planung zu tun, Frau von der Leyen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist grüne Logik, oder was?)
Jetzt schauen wir uns einmal den Beschaffungsbereich im Detail an. Da könnte ich als Überschrift wählen: viele Berichte, einige Ansätze, die wir durchaus anerkennen, aber vor allem wenig Verbesserung. – Auf meinem Schreibtisch liegen ganze fünf Berichte zur Beschaffung des G36.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Fünf Kopien?)
Vier weitere, nämlich die halbjährlich veröffentlichten Berichte zu Rüstungsangelegenheiten, gesellen sich hinzu. Das macht schon ein ganz nettes Türmchen von BMVg-Berichten.
Sie haben hier in der ersten Lesung angekündigt, dass Sie die Rüstungsprojekte, die Sie selbst anstoßen, in eine neue Struktur bringen wollen; ich glaube, Sie haben es „Kapsel“ genannt. Das ist etwas, worüber man durchaus diskutieren kann. Aber dann will ich Ihnen schon zurufen: Sie müssen auch auf die Projekte schauen, die laufen und sich in einem schweren Fahrwasser befinden;
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das wird doch systematisch gemacht!)
Sie müssen auf die Schmuddelkinder gucken, auf Projekte, die uns Geld kosten, die nicht in der vorgesehenen Zeit, in der vorgesehenen Qualität umgesetzt werden. Sie müssen sich also um den A400M, den Eurofighter und die Fregatte kümmern, anstatt weiterhin nur – um im Bild zu bleiben – mit den neuen Babys zu spielen und nur sie fürsorglich zu behandeln.
Die Probleme im Rüstungsbereich, meine Damen und Herren, bestehen auch im dritten Jahr der Amtszeit der Ministerin von der Leyen fort. Nach all den Berichten und Ankündigungen braucht es endlich strukturelle Veränderungen bei den bestehenden Rüstungsprojekten. Frau von der Leyen, kümmern Sie sich nicht nur um Ihre Babys; Sie müssen auch mit den Schmuddelkindern spielen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Verhaltener Beifall bei den Grünen!)
Bei all diesem Durcheinander führt jetzt die Große Koalition, die sonst immer von mehr Transparenz redet, die jährliche Übertragbarkeit der Mittel für einzeln veranschlagte Rüstungsprojekte ein. Das klingt sehr technisch; aber da geht es um die Projekte, die besonders teuer sind, besonders viel Ärger machen und unsere besondere Aufmerksamkeit benötigen. Statt wie bisher, wenn Geld in einem Jahr liegen bleibt und Sie es im kommenden Jahr benötigen, darüber eine Debatte im Parlament und im Haushaltsausschuss führen zu müssen, sodass wir uns damit beschäftigen können, besteht nun die Möglichkeit, Mittel ohne Diskussion von einem Jahr auf das andere zu übertragen.
Dies führt dazu, dass wir erst nach Ablauf von ein paar Monaten, wenn nicht gar erst am Ende eines Haushaltsjahres, erfahren werden, welches Projekt sich verzögert oder in einem schweren Fahrwasser ist. Sie hätten auch andere Möglichkeiten gehabt; sogar meine Fraktion hat sich vor einem Jahr, als es darum ging, Mittel von einem Jahr in das andere zu transferieren – ich erinnere an den Puma –, nicht verweigert. Diese Maßnahme hilft zum einen nicht dabei, die Projekte in den Griff zu kriegen. Zum anderen sorgt sie vor allem für weniger Transparenz. Ich finde, mit diesem Mechanismus werden Sie Ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht. Wir fordern Sie auf: Lassen Sie das mit der Übertragbarkeit der Mittel für große Rüstungsprojekte! Es schafft weniger Durchblick und nicht mehr, Frau Ministerin.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das glauben Sie!)
Jetzt ist es ja nicht so, dass es im Verteidigungshaushalt keine Spielräume gäbe, um Mittel umzuschichten. Braucht die Bundeswehr wirklich mehr Geld, oder haben Sie nicht vielleicht Spielräume in Ihrem Etat? Ich habe den Eindruck, Ihnen fehlt der Mut, sich diese zu erschließen.
Sie halten bei der Bundeswehr an einer längst überholten Fähigkeit fest. Sie klammern sich fast sprichwörtlich an die Atombomben und die nukleare Teilhabe. Ich will sagen: Auch vor dem Hintergrund einer aggressiver werdenden Politik Russlands bleiben Szenarien, in denen deutsche Jagdbomber plötzlich taktische Atomwaffen auf gegnerische Panzerheere werfen, für mich nach wie vor ein Anachronismus des Kalten Krieges. Ich kann nicht verstehen, warum Sie an der negativen Utopie der 80er-Jahre, des Kalten Krieges, festhalten wollen und wertvolles Steuergeld in die Infrastruktur und in Doppelungen bei Düsenflugzeugen investieren wollen.
Sie müssten es eigentlich besser wissen. Vor ein paar Monaten hat sich Ashton Carter, der amerikanische Verteidigungsminister, nur wenige Meter von hier dazu geäußert. Er hat deutlich gesagt: Auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wird man nicht mit dem Drehbuch des Kalten Krieges reagieren können. Recht hat er! Wir fordern Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass Deutschland die nukleare Teilhabe endlich beendet!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE] – Henning Otte [CDU/CSU]: Gut, dass wir regieren!)
Sie haben den Ertüchtigungstitel angesprochen. Er ist im Haushalt ganz schön verklausuliert als Titel „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ aufgeführt. Aus den Erläuterungen zum Haushaltsvermerk geht hervor, dass auch letale Waffen geliefert werden können sollen und die Bewirtschaftung durch Ihr Haus und das Auswärtige Amt erfolgt. Dabei stehen Ihnen als Bundesregierung bereits ganz andere Strukturen zur Verfügung, mit denen Sie wirklich nachhaltig zur Ertüchtigung und zur Stabilisierung beitragen könnten.
Es gibt unter anderem den Ressortkreis Zivile Krisenprävention, an dem eben nicht nur das Auswärtige Amt und Ihr Haus teilnehmen; vielmehr liefern auch das Bundesinnenministerium für den Bereich der Polizeiarbeit und das BMZ wichtigen Input. Wir sehen auch die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit aus dem BMJV als einen wichtigen Partner. Die von Ihnen veranschlagten Mittel wären in der Ausstattung des Ressortkreises Zivile Krisenprävention besser angelegt gewesen. Wir haben das beantragt, aber Sie haben es abgelehnt. Ich muss sagen: Das ist eine verpasste Chance, Frau Ministerin.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mir bleibt zum Verteidigungsetat 2016 nur festzustellen: Ihnen fehlt das Herz, um mit der Abschaffung der nuklearen Teilhabe wirklich Ernst zu machen. Ich kann keinen Plan erkennen, wie Sie im Verteidigungsbereich die großen offenen Baustellen angehen wollen. Ich glaube, am Ende des Tages fehlt Ihnen der Mut, schwierige und unbequeme Entscheidungen gerade auch gegenüber der Rüstungsindustrie zu treffen. Wir Grüne lehnen den vorliegenden Einzelplan ab. Wir haben Ihnen gezeigt, wie es besser gegangen wäre.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Da täuschen Sie sich mal nicht!)
Schade drum! Jetzt sind Sie in der Verantwortung
(Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist gut für unser Land!)
für das, was in den kommenden Monaten passieren wird.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernd Siebert [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6211626 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 139 |
Tagesordnungspunkt | Einzelplan Verteidigung |