Henning OtteCDU/CSU - Einzelplan Verteidigung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die diesjährige Haushaltdebatte steht unter dem besonderen Eindruck der sicherheitspolitischen Ereignisse und Rahmenbedingungen. Die Anschläge in Paris, in Bamako, in Beirut und gestern in Tunesien, die Explosion eines russischen Urlaubsfliegers über dem Sinai, die höchste Terrorwarnstufe in Brüssel – all diese Ereignisse stehen im direkten Zusammenhang mit dem furchtbaren IS-Terror, der das Ziel hat, die freiheitliche Grundordnung zerstören zu wollen.
Wir erleben diese Tage in großer Sorge und Verunsicherung, aber auch in fester Verbundenheit mit unseren Partnern. Wir wissen um die Verantwortung für eine friedliche Zukunft und die Sicherheit unseres Landes. Deswegen stellen wir uns entschlossen dieser Herausforderung, auch mit militärischen Mitteln, fein abgewogen, eng mit unseren Partnern abgestimmt und entschlossen im Handeln.
Die Anschläge von Paris galten genauso unserem Land. Die Angriffe des „Islamischen Staates“ richten sich gegen eine offene Gesellschaftsform, gegen eine freiheitliche Demokratie. Dem stellen wir uns entschlossen gemeinsam im Verbund mit unseren Partnern entgegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es hat Frankreich nicht deswegen getroffen, weil es bereits im Kampf gegen den IS engagiert ist; das zeigt auch der Anschlag gestern Abend in Tunis. Vielmehr schlägt der IS überall dort in freien Gesellschaften zu, wo sich eine Gelegenheit dazu bietet. Dieser islamistische Terrorismus darf nicht gewinnen, und ich sage: Er wird nicht gewinnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir lassen uns weder in Deutschland noch in Europa und auch nicht anderswo in der friedlichen Welt die freiheitlichen Werte nehmen. Wir halten an diesen Werten für Demokratie, für Freiheit und für Offenheit fest. Das sagen wir selbstbewusst und mit Stolz. Die Generation, die Deutschland nach 1945 aufgebaut hat, hat diese Werte erstritten und gefestigt. Wir werden diese Werte und diese Freiheit für die nächsten Generationen bewahren und weiter stärken, und zwar aktiv. Passivität wird uns nicht schützen. Denn sicherheitspolitische Zurückhaltung wird uns nicht weniger zu einem Anschlagsziel machen, als wir es vielleicht jetzt schon sind.
Insofern sollen die Anschläge von Paris auch eine Warnung für uns sein. Wir müssen den Urhebern des Terrors offensiv entgegentreten und alle entsprechenden Maßnahmen national und international entschlossen abstimmen. Vieles tun wir bereits. Mit der Ausbildung und den Materiallieferungen an die kurdischen Peschmerga und auch an die Jesiden tragen wir wesentlich zum Kampf gegen den IS bei. Auch in Afghanistan und zunehmend in Mali sind wir engagiert, um Fluchtursachen zu bekämpfen und den Extremismus zurückzudrängen.
Meine Damen und Herren, Frankreich hat die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages aufgerufen, beizustehen. Wir wissen noch nicht genau, welche Unterstützung dies sein wird. Aber es ist selbstverständlich, dass wir unseren französischen Freunden in diesen schweren Zeiten beistehen.
Nur, eines sollte uns klar sein: Was immer wir gegen den IS unternehmen, unternehmen wir auch, um Frankreich zu unterstützen. Wir tun dies aber in erster Linie deswegen, um die Sicherheit unseres Landes, die Sicherheit Deutschlands, zu stärken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidtrud Henn [SPD])
Wir tun dies auch, um den Menschen in den Regionen zu helfen, die am schlimmsten vom IS-Terror betroffen sind. Viele Menschen fliehen gerade vor diesem Terror und vor dieser Gewalt. Die Schwachen zu schützen, das ist unsere erste Aufgabe als Verteidigungspolitiker.
Meine Damen und Herren, damit wir denen, die wirklich Hilfe brauchen, auch wirksam helfen können, ist es wichtig, auch in Deutschland einen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu leisten, alle verfügbaren Kräfte einzubinden und gleichzeitig die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen. Das ist eine große Herausforderung für unsere gesamte Gesellschaft. Wenn die Bundeswehr helfen kann, dann soll sie helfen, und dann wird sie auch helfen. Sie ist bereits jetzt sehr aktiv im Einsatz, um die Situation der Flüchtlinge in Deutschland zu verbessern. Dafür danke ich allen Soldatinnen und Soldaten und allen Helferinnen und Helfern sowie einer sehr engagierten Bürgerschaft hier in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber die Bundeswehr könnte noch mehr tun, zum Beispiel bei der technischen Amtshilfe. Herr Leutert hat dieses Thema ja ganz prominent als erster Redner angesprochen und deutlich gemacht, dass er kein Vertrauen in die Bundeswehr hat. Ich sage: Es ist rechtlich möglich, beizustehen. Das hat die Absicherung des G-8-Gipfels in Heiligendamm 2007 gezeigt.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Beispiel? Da wollen wir nicht wieder hin!)
Auch hier hat die Bundeswehr ihre Einsatzfähigkeit unter Beweis gestellt; Frau Buchholz kann sich sicherlich noch daran erinnern.
Was in Heiligendamm ging, das müsste auch im Bayerischen Wald möglich sein.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sollten Sie aber erst mal die Verteidigungsministerin fragen!)
Ich meine – unabhängig von den ideologischen Reflexen, die jetzt von den Grünen und den Linken kommen –,
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist los? Das sind keine Reflexe! Es geht ums Grundgesetz!)
in Anbetracht der sicherheitspolitischen Lage sollte man ideologische Reflexe vermeiden und in Ruhe und besonnen nachdenken, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Einsatz im Innern, verbunden mit der Übernahme hoheitlicher Aufgaben, ist davon natürlich klar zu trennen. Wir haben gesehen, dass in Frankreich in einer solch exponierten Situation alle Sicherheitskräfte schnell und unbürokratisch zusammenstehen.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!)
Vielleicht sollten wir uns wirklich einmal in Ruhe darüber unterhalten, ob man unseren Soldatinnen und Soldaten nach 60 Jahren erfolgreicher, zuverlässiger Arbeit nicht mehr zutrauen sollte, damit sie einen weiteren Beitrag leisten können; denn die Sicherheit unseres Landes ist für alle von großer Bedeutung. Wir sollten diese Diskussion besser jetzt führen als dann, wenn es zu spät ist.
Meine Damen und Herren, wenn wir den Blick weiten, dann stellen wir fest, dass sich die Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren grundsätzlich verändert hat. Durch die offensive Außenpolitik Russlands rücken traditionelle Bedrohungen an der Ostgrenze der NATO wieder in den Fokus. Gleichzeitig werden durch den IS-Terror und das Vorgehen von Boko Haram im Nahen Osten und in Afrika ganze Regionen zerrüttet.
Wir haben es jetzt mit einer neuen Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Bedrohungsprofile zu tun, die so früher nicht galten. Bis 1990 hatten wir noch eine Heimatverteidigungsarmee. Aufgrund der Anschläge von 2001 sind wir dann eher den Weg zur Infanterie gegangen, um auch in Afghanistan einen wesentlichen Beitrag zum Frieden zu leisten. Jetzt sind wir mit beiden Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert: Bündnisverteidigung einerseits und Krisenbewältigung andererseits. Diese neue Gleichzeitigkeit von zwei Herausforderungen wird die Anforderungen an die Streitkräfte erhöhen. Mit der Führung der NATO-Speerspitze VJTF leistet Deutschland einen notwendigen und wesentlichen Beitrag, der personal- und materialintensiv ist.
Auslandseinsätze wie in Afghanistan, im Kosovo oder jetzt verstärkt in Mali werden uns zukünftig voraussichtlich noch stärker in Anspruch nehmen als derzeit. Daneben leistet die Bundeswehr immer dann Unterstützung, wenn es darauf ankommt; genannt seien hier zum Beispiel die Ebolakrise oder die Betreuung von Flüchtlingen.
Aus angespannten Sicherheitslagen kann sich aber auch schnell mehr entwickeln, und es kann Unvorhergesehenes passieren. Deswegen müssen wir vorbereitet sein – egal ob im EU-Kontext, im Rahmen der NATO-Verpflichtung oder auch mit Blick auf die OSZE.
In einer solchen Phase kommt zukünftig die EU-Arbeitszeitrichtlinie hinzu, auf die sich unsere Streitkräfte einstellen müssen. Das wird die Personallage bei der Bundeswehr noch angespannter erscheinen lassen. Vor dem Hintergrund der gestiegenen neuen Herausforderungen müssen wir prüfen, wie wir die Bundeswehr personell noch stärker, flexibler und durchhaltefähiger aufstellen können. Wir sind zwar sehr gut, aber man soll den Anspruch nicht aufgeben, immer noch besser werden zu können.
Dazu zählt auch eine zuverlässige Ausrüstung. Zu Recht sind wir den Weg vom System des flexiblen Fähigkeitsmanagements hin zu einer vollen Ausstattung in den Bereichen gegangen, in denen es von besonderer Bedeutung ist. Jetzt kommt es darauf an, dass die Bundeswehr mit modernen Materialien in ausreichender Zahl ausgestattet wird.
Das Beschaffungssystem ist reformiert worden, und ich kann mich nur dem uneingeschränkten Lob der SPD an unsere Ministerin Frau Dr. von der Leyen anschließen, das von Frau Evers-Meyer geäußert worden ist. Frau Ministerin, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Herzlichen Dank dafür.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Warum ist dies so enorm wichtig? Weil diese Ausrüstung die stärkste und wichtigste Ressource schützt, die die Bundeswehr hat, nämlich die Soldatinnen und Soldaten. Unser Kernauftrag, der Kernauftrag der Politik, ist es, die zu schützen, die uns schützen.
Das sind große Ziele. Dafür brauchen wir ausreichend Finanzmittel. Deswegen ist es gut, dass der Verteidigungshaushalt grundsätzlich gestärkt werden konnte und dass der Einzelplan 14 im Bundeshaushalt – ein Dank auch an die Berichterstatter – nun an zweiter Stelle steht.
Ich nenne einige sehr konkrete Zahlen: Die Ausgaben im Personalbereich steigen um 4 Prozent, und der Ausrüstungsbereich hat eine Steigerung um 9 Prozent erfahren. In den nächsten vier Jahren sollen 8 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Das sollte auch die Fraktion der Grünen – und insbesondere Herr Dr. Lindner – zur Kenntnis nehmen.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann lesen!)
– Ich glaube, Sie haben mit Ihren Anwürfen richtig an der Sache vorbeigezielt. Mir drängt sich wirklich der Eindruck auf, dass man Ihnen einen alten Haushaltsplan zum Lesen gegeben hat, den Sie in Ihre Rede einbezogen haben.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Sie! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Otte, die Frage ist: Wer hat hineingeguckt?)
– Hineingucken allein reicht nicht, Frau Kollegin; man muss ihn auch verstehen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Richtigen! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie zu Recht!)
Deswegen ist es gut, dass wir die notwendigen Entscheidungen treffen und unsere Bundeswehr so ausstatten, wie es notwendig ist.
In der Bereinigungssitzung hat es aufgrund einer globalen Minderausgabe aber noch eine Kürzung gegeben. Ich sage ganz deutlich: Der Schlüssel für die Bewertungsgrundlage sollte die aktuelle Sicherheitslage sein. Deswegen müssen wir an dem Ziel festhalten, dass wir unsere Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln ausstatten. Das ist unsere Aufgabe.
Das ist gut investiertes Geld in die Sicherheit unseres Landes. Ohne Sicherheit ist alles nichts. Deswegen ist es unser gemeinsamer Auftrag, dies auch für die Sicherheit unseres Landes umzusetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Leutert.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6211694 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 139 |
Tagesordnungspunkt | Einzelplan Verteidigung |