25.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 139 / Tagesordnungspunkt I.11

Florian HahnCDU/CSU - Einzelplan Verteidigung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Außen- und Sicherheitspolitik und die außen- und sicherheitspolitische Lage in den letzten zwei Jahren haben sich dramatisch verändert. Wir erleben nicht nur die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Konflikten, sondern müssen auch auf Konflikte reagieren, die in ihrer Erscheinungsform nicht unterschiedlicher sein können.

Die Ukraine-Krise und das neu zu definierende Verhältnis zu Russland stehen beispielhaft für eine Bedrohung, die wir aus vergangenen Tagen kennen. Deshalb ist Bündnisverteidigung heute erneut unser Kerngeschäft, ohne dass wir Out-of-Area-Einsätze vernachlässigen könnten. Diese Einsätze sind auch wichtig. Sie sind überlebenswichtig.

Lieber Kollege Leutert, ich kann nur sagen: Wenn Sie fordern, dass wir die Unterstützung beispielsweise der Peschmerga-Kurden im Nordirak einstellen sollen, dann frage ich Sie: Was ist die Alternative? Wollen Sie die Kurden in diesem Gebiet einfach dem IS überlassen, oder haben Sie wirklich die naive Vorstellung, dass Sie in einer Art Stuhlkreis mit dem IS verhandeln können, dass sich dort ein friedliches Miteinander einstellt? Das können Sie vergessen. Das ist naiv. Deswegen ist es wichtig, dass wir in solchen Einsätzen sind wie beispielsweise bei der Ausbildungsmission im Nordirak.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, neben dem Erstarken der Mörderbanden des „Islamischen Staats“ sehen wir auch die Erosion von Staatlichkeit im Nahen Osten und in Nordafrika. Mit den Anschlägen von Paris, kaum zwei Wochen her, ist der Terror aus Syrien und aus dem Irak ganz massiv mitten in Europa gelandet. Das fordert unser bisheriges europäisches Sicherheitsverständnis neu heraus. Die Details des europäischen Beistands nach Artikel 42 des EU-Vertrags stehen noch nicht fest. Sicher ist allerdings, dass Solidarität für uns auch Verantwortung heißt. Es wird nicht reichen, dass wir uns die französische Trikolore umhängen und für unsere französischen Freunde, für die Opfer und ihre Familien beten. Wir müssen damit rechnen, dass auch auf die Bundeswehr weitere Aufgaben zukommen, und sei es, um unsere französischen Freunde in Afrika zu entlasten.

Diese neuen Herausforderungen bedeuten in der Konsequenz auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Ganz sachlich brachte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg das auf den Punkt: Unsere Freiheit kommt nicht umsonst. Wir müssen in unsere Sicherheit investieren. – Wir müssen also auf das sich verändernde Lagebild reagieren, und angesichts der aktuellen Bedrohungsszenarien war für uns die Erhöhung des Wehretats nicht mehr nur geboten, sie war eine Notwendigkeit. Bereits auf dem CSU-Parteitag 2014 hat die CSU gefordert, dass eine Erhöhung des Verteidigungsetats kein Tabu mehr sein dürfe. Es war unsere frühe Forderung, dass wir uns ganz klar von der Mangelwirtschaft und der Unterfinanzierung verabschieden

(Rainer Arnold [SPD]: Das hat euer Minister aber auch nicht gemacht!)

und uns für eine Investitionswende entscheiden.

Die erfolgreiche Erhöhung der Verteidigungsausgaben in der mittelfristigen Finanzplanung um 8 Milliarden Euro bis 2019, aber auch die eingeleitete Diskussion über die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte sind erste Schritte in die richtige Richtung. Das ist sozusagen der Pfad der Modernisierung, den Sie, Frau Ministerin, angesprochen haben. Ich darf mich an der Stelle auch für Ihre tatkräftige und erfolgreiche Arbeit bedanken und dafür, dass Sie diesen Modernisierungsprozess tatsächlich angegangen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin auch der Meinung, lieber Herr Lindner – ich verstehe ja, dass Sie kritisieren müssen –, dass Sie schon feststellen müssten, dass wir gerade im Bereich des Beschaffungswesens, beispielsweise mit der neuen Transparenz, die gerade auch dem Parlament gegenüber an den Tag gelegt wird, doch ganz neue Entwicklungen haben, die wir alle sehr begrüßen.

(Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Herr Kollege?

Im Moment nicht, danke. – Schauen Sie sich beispielsweise das Thema Mittelabfluss an – Sie haben es selbst beschrieben –: Während wir vor zwei Jahren noch über 1 Milliarde Euro nicht abgeflossener Mittel hatten, waren es letztes Jahr schon weniger, und dieses Jahr werden es noch weniger sein. Auch hier sind wir also auf dem richtigen Weg. Dafür wollen wir auch weiterhin zusammen mit Ihnen, Frau von der Leyen, kämpfen.

Trotzdem bleiben natürlich auch Engpässe. Eine Vollausstattung der Armee lässt sich nicht von heute auf morgen erwirken. Auch gefährden Kürzungen im Bereich von Forschung und Technologie den Erhalt von technologischen Fähigkeiten und unserer technologischen Unabhängigkeit. Hier müssen wir aufpassen.

In diese unruhigen sicherheitspolitischen Zeiten fällt auch die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Ab dem 1. Januar 2016 wird die 41-Stunden-Woche im Grundbetrieb gelten. Erstmals führen wir damit eine moderne Dienstzeitverordnung bei der Bundeswehr ein. Die Regelung ist ein klares Zeichen an die Truppe: Im Dienstalltag des Grundbetriebs gelten für Soldatinnen und Soldaten geregelte Arbeitszeiten wie für andere Arbeitnehmer auch. Trotzdem muss die Einsatzbereitschaft der Truppe weiterhin im Vordergrund stehen. Die Bundeswehr erfüllt in zahlreichen internationalen Einsätzen friedensschaffende und friedenswahrende Aufgaben.

Daneben übersteigt der Einsatz im Inneren längst alle Dimensionen, die wir aus Katastrophenhilfen vergangener Tage kennen. 2 700 bei Auslandseinsätzen eingesetzten Soldatinnen und Soldaten stehen heute rund 7 600 Angehörige der Bundeswehr gegenüber, die bei der Unterstützung der Flüchtlinge eingebunden sind. Sehr geehrter Herr Leutert, Sie haben vorhin die Ministerin aufgefordert, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu unterlassen. Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll. Ich weiß gar nicht, wie Sie denn diese 7 600 Bundeswehrsoldaten ersetzen wollen.

(Karin Binder [DIE LINKE]: Indem Sie die anderen Behörden und Einrichtungen besser ausstatten! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])

Die Bundeswehr macht hier einen ganz wichtigen Job. Darauf können wir nicht verzichten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabi Weber [SPD])

Unabhängig davon gilt auch in anderen Bereichen, dass die komplexen Bedrohungen der Gegenwart nicht mehr allein der inneren oder äußeren Sicherheit zugerechnet werden können. Sie sind zunehmend voneinander abhängig. Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei Fragen:

Zum einen: Die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sollte immer oberste Priorität haben. Viele Bedrohungen finden heute an den Schnittstellen von innerer und äußerer Sicherheit statt. Wir sollten daher über die historisch gewachsene, aber aus meiner Sicht überlebte strikte Trennung von Militär und anderen Sicherheitsorganen nachdenken. Wir sollten den Einsatz der Bundeswehr im Inneren noch einmal in aller Ruhe prüfen. Es ist nämlich schon paradox, dass die Verteilung von Essen an Flüchtlinge erlaubt ist, der Schutz der Unterbringung aber nicht. Ein abgestimmtes Zusammenwirken aller Sicherheitskräfte kann die richtige Antwort auf die neuen Herausforderungen sein. Ein Grundmisstrauen gegenüber dem Einsatz unserer Parlamentsarmee im Inneren Deutschlands ist heute nicht mehr gerechtfertigt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie noch andere Beispiele haben wollen, dann überlegen Sie sich einmal folgendes Szenario: Eine Ostseefähre wird von Terroristen gekapert. Wer hat überhaupt die Fähigkeiten, hier entsprechend einzugreifen, um die Menschen auf einer solchen Fähre zu schützen? Das hat nur die Bundeswehr. Jetzt können Sie sagen: In der Logik müsste es so sein, dass wir die Bundespolizei besser ausstatten, damit sie diese Fähigkeiten hat. – Da kann ich nur sagen: Warum sollen wir hier doppelte Strukturen aufbauen? Das ist Geldverschwendung. Hier sollten die Sicherheitskräfte miteinander arbeiten können. Das macht Sinn.

(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Das eine ist doch Verbrechensbekämpfung und das andere nicht! Das ist ein kleiner Unterschied!)

Das Gleiche gilt im Übrigen auch für das Thema ABC-Schutz. Sie sollten sich einmal genau anschauen, wer welche Fähigkeiten hat und wer im Zweifel gebraucht wird.

Funktionalität und Einsatzbereitschaft werden immer schwerer aufrechtzuerhalten sein. Die zunehmende Einsatzverpflichtung und die dafür notwendige Ausbildung werden – gerade mit Blick auf die langfristig angelegte Flüchtlingshilfe – mit dem jetzigen Personalstand schwer zu bewältigen sein. Die neue EU-Arbeitszeitrichtlinie wird weiteren Druck auf die Personalstruktur ausüben.

Die sicherheitspolitische Lage hat sich seit 2011, dem Beginn der Neuausrichtung der Bundeswehr, maßgeblich geändert. Es ist daher wichtig, dafür zu sorgen, dass von den 185 000 Soldatinnen und Soldaten auch wirklich 185 000 einsatzfähig sind. Das erreichen wir im Moment bei weitem nicht. Sollte das nicht ausreichen, dürfen wir uns nicht davor scheuen, über eine flexible Personalobergrenze nachzudenken.

Der Präsident gibt das entscheidende Signal. – Ich werde meine Rede verkürzen und ende mit dem Einwurf des verteidigungspolitischen Sprechers unserer Fraktion, der vorhin gesagt hat: Gut, dass wir an der Regierung sind. – Mit Blick auf den Haushalt und auf die Entwicklung bei der Bundeswehr kann ich das nur unterstreichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention Dr. Lindner, der vom Redner angesprochen wurde. – Bitte.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6211885
Wahlperiode 18
Sitzung 139
Tagesordnungspunkt Einzelplan Verteidigung
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