25.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 139 / Tagesordnungspunkt I.12

Bärbel KoflerSPD - Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Beiträgen der beiden Vorredner habe ich gedacht: Entweder ist im Haushalt gar nichts passiert, oder es ist ein Wunder passiert. Meistens liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Ich bin sehr froh – da bin ich bei Ihnen, Herr Klein –, dass dieser Haushalt im Vergleich zum Haushalt 2015 um mehr als 800 Millionen Euro aufgestockt wird. Die entscheidende Frage ist ja immer: Was ist die Vergleichsbasis? Wo ich bei Ihnen bin, Frau Hajduk: Auch ich bin enttäuscht – ich glaube, mit mir auch viele andere Entwicklungspolitiker –, dass es uns nach Vorlage des Regierungsentwurfs nicht gelungen ist, für die Entwicklungsarbeit noch einen Aufwuchs zu erreichen. Das wäre dringend nötig gewesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Wir Fachpolitiker der Koalition haben das gemeinsam beantragt, gefordert und, wie ich glaube, auch gut begründet. Wir haben alle unsere Forderungen mit der Fragestellung untermauert: Was ist für die Bekämpfung der Fluchtursachen relevant, aber auch zur Verbesserung der humanitären Situation in den Flüchtlingslagern und in deren Umgebung? Damit verbunden – auch das möchte ich an dieser Stelle sagen – war die Frage der Mediation zwischen Geflüchteten und Flüchtenden und somit das Thema ziviler Friedensdienst. Wir hatten ein sehr gut ausgewogenes Tableau. Ich sage ganz offen: Ich hätte mir sehr gewünscht, dass an dieser Stelle unserem Wunsch und – ich sehe den Minister nicken – auch dem Wunsch des Ministers Folge geleistet worden wäre.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was ich positiv finde – das habe ich gesagt –, ist der Aufwuchs im Vergleich zum Haushalt 2015. Das ist richtig, und das ist wichtig. Es gibt in diesem Etat viele vernünftige Umschichtungen, gerade im Bereich der akuten Hilfe für Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps. Das ist gut, und das ist richtig. Was mir in der Gesamtbetrachtung ein bisschen zu kurz kommt, ist die Frage: Wohin bewegen wir uns langfristig? Wir alle kennen die mittelfristige Finanzplanung, nach der für diesen Haushalt in den nächsten Jahren kein Aufwuchs vorgesehen ist, sondern die gleichen Zahlen veranschlagt werden. Wir wissen aber auch, und zwar nicht erst seit der Konferenz in Addis Abeba: Wenn wir bei der Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele vorankommen wollen, dann müssen wir – ich zitiere die Weltbank – „from Billions to Trillions“, wie es im Englischen heißt, also von Milliarden zu Billionen kommen.

Das steht schon ein bisschen im Gegensatz zu der Auffassung, die auch der geschätzte Kollege Klein vertreten hat, dass es hier nur um einen 0,7‑Prozent-Fetischismus – oder sonst was – geht. Vielmehr geht es um die Frage, wie wir nicht nur mit offiziellen bzw. staatlichen ODA-Mitteln, sondern auch mit Steuern und anderen Dingen weltweit die Mittel einwerben, um Institutionsaufbau und Bekämpfung des Staatenverfalls – dabei geht es um das Thema der Fragilität – angehen zu können. Dabei geht es um Gesundheitsinstitutionen, Steuerbehörden, aber auch um Institutionen auf den Gebieten Menschenrechte und Arbeitsrecht. Diese Mittel sind erforderlich, um Kapazitäten in den entsprechenden Ländern aufzubauen.

Ich glaube, wir müssen darauf ein ganz anderes Augenmerk richten. Das bedarf, mit Verlaub, auch entsprechender Mittel. Das kann – ich hoffe, ich habe Sie falsch verstanden – nicht dadurch kompensiert werden, dass man hier im Inland Geld für Flüchtlinge ausgibt – diese Ausgaben erfolgen zu Recht – und dann über die Frage ihrer ODA-Anrechnungsfähigkeit diskutiert. Damit werden Fluchtursachen nicht bekämpft.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wir müssen uns noch einmal gemeinsam hinsetzen und wirklich darüber nachdenken, wie wir diese langfristige Entwicklungszusammenarbeit finanzieren können. Da hilft auch keine Schuldzuweisung. Man kann, glaube ich, bei jeder Fraktion etwas finden, zu dem man sagen kann: Da hätten wir schon besser sein können. Daran müssen wir also, glaube ich, wirklich gemeinsam arbeiten.

Ich möchte die Themen des Institutionenaufbaus und der Fragilität noch einmal ansprechen. Wir haben uns vor eineinhalb Jahren um das Thema Ebola bemüht und haben alle festgestellt, um was es geht: Es fehlen Gesundheitsinstitutionen, die Menschen in einer Epidemiesituation in ihrer Not auffangen und Dienstleistungen anbieten können. Ist jetzt wirklich beim Institutionenaufbau in diesem Bereich etwas passiert? Ich behaupte einmal, dass viel zu wenig geschehen ist. Dabei handelt es sich um eine mittel- und langfristige Aufgabe auch der Entwicklungszusammenarbeit. Dafür brauchen wir mittel- und langfristig auch zusätzliche Gelder.

(Beifall bei der SPD)

Ähnlich ist es – ich möchte fast sagen, dass das ein Lieblingsthema von mir ist – mit dem Thema der Steuerpolitik. Ich finde es auch richtig, dass man mit der Addis Tax Initiative – davon bin ich eine große Anhängerin – Mittel aufwendet, um Kapazitäten in Entwicklungsländern aufzubauen und um in den entsprechenden Ländern selbst Steuern generieren zu können. Dazu aber bedarf es einer ganzen Menge. Eine Verdoppelung der Mittel ist ein erster Schritt, den wir in dem Bereich machen. Wir gehen aber bisher von einer sehr geringen – wie heißt es bei den Steuerbehörden so schön? – Bemessungsgrundlage aus, also von einem sehr geringen Beitrag für diesen Bereich. Das heißt, wir müssen hier zu ganz anderen Summen kommen, um Menschen auszubilden, um Kapazitäten aufzubauen und um das Thema Steuergesetzgebung in diesen Ländern begleiten zu können.

Ich habe gerade gestern mit dem Menschen gesprochen, der für die GIZ in Ghana das Thema Steuergesetzgebung begleitet. Das ist ein hochkomplexer Prozess, der über Jahre hinweg gehen wird. Wenn wir wirklich einen Beitrag dazu leisten wollen, dass diese Länder aus ihrem Rohstoffreichtum auch einen Reichtum der Staatskassen – und damit Mittel zur Armutsbekämpfung – generieren können, müssen wir hier wesentlich mehr als bisher tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme an dieser Stelle zu einigen Aspekten, die von Vorrednern bereits angesprochen worden sind. Es geht natürlich nicht nur um die Frage der Gelder, sondern auch um die Rahmenbedingungen. Ich denke schon, dass wir uns in diesem Zusammenhang auch um die Themen Steuerverschiebung, Steuervermeidung und illegale Steuerflüsse bemühen müssen. Daneben müssen wir uns auch um unsere Handels- und Wirtschaftsverträge kümmern, dabei geht es auch um das Thema der internationalen Steuervermeidung.

Bei der Konferenz zur Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit in Addis Abeba war die Behandlung der sogenannten Illicit Flows, also der illegitim verschobenen Gelder, ein ganz spannendes Thema. Das ist nicht nur ein Thema für die Industrieländer, sondern das belastet auch die Haushalte der Entwicklungsländer enorm. Deshalb müssen wir da herangehen.

Der Mbeki-Report der UN-Kommission für Wirtschaft in Afrika befasst sich mit der Steuervermeidung und illegalen Steuerverschiebung. Der Bericht geht davon aus, dass die Steuerausfälle in Afrika pro Jahr 50 bis 150 Milliarden Euro – es ist ja immer schwierig, Ausfälle zu beziffern – betragen. Dabei geht es nur darum, was durch transnationale Konzerne an Verlusten entsteht.

Wenn wir an das Thema herangehen, hat das etwas mit guter Regierungsführung zu tun. Es hat aber auch durchaus etwas mit Justiz bzw. der Durchführung von Gesetzen, mit der Einnahmesituation der entsprechenden Länder, der Rahmensetzung für Zukunftsentwicklung und der langfristigen Bekämpfung von Armut zu tun. Das müssen wir angehen. Das ist ein Beispiel für die Rahmenbedingungen, bei denen wir ansetzen müssen.

Ein weiteres Beispiel dafür – das möchte ich abschließend ansprechen – sind die Arbeitsplätze. Wir müssen nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern wir müssen gute Arbeitsplätze schaffen. In den Ländern muss Wertschöpfung möglich sein. Das hat viel mit Handelsverträgen zu tun. Die Arbeit, die auf diese Weise entsteht, muss die Menschen dazu befähigen, von ihrer Arbeit auch leben zu können.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Zahlen der ILO aus diesem Frühjahr stimmen – und daran habe ich überhaupt keinen Zweifel –, die von weltweit knapp 900 Millionen Menschen ausgehen, die Vollzeit arbeiten und dabei weniger als 2 US-Dollar am Tag verdienen, dann haben wir auch Handlungsbedarf, was unser handelsvertragliches Agieren anbelangt. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Entwicklungspolitik, sondern der Politik insgesamt in Deutschland, in der EU und allen voran in den OECD-Ländern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Danke schön, Frau Kollegin Kofler. – Jetzt kommt der Minister. Nächster Redner: Dr. Gerd Müller.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6212011
Wahlperiode 18
Sitzung 139
Tagesordnungspunkt Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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