Gerd Müller - Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen ein hohes Maß an neuem Denken: So formulierte es heute früh die Bundeskanzlerin in ihrer Haushaltsrede, und sie hat recht.
Entwicklungszusammenarbeit in der heutigen Zeit stellt sich angesichts der Herausforderungen völlig neu dar: Sie ist Sicherheitspolitik. Sie ist Friedenspolitik, wie Frau Kofler eben dargestellt hat. Sie ist Wirtschaftspolitik. Sie schafft Arbeitsplätze. Sie sichert das Überleben und die Zukunft der Menschen in unseren Partnerländern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich bei den Haushältern, beim Finanzminister und bei Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen, für die Unterstützung meiner Politik bedanken.
Auch wenn man darüber streiten kann: Ein Plus von 863 Millionen Euro ist ein ganz erheblicher Aufwuchs, wie wir ihn in den letzten 30 Jahren nicht hatten. Herzlichen Dank dafür!
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich lasse mich auch nicht auf eine Diskussion ein. Das Auswärtige Amt hat für humanitäre Hilfe einen Zuschlag von 440 Millionen Euro bekommen. Rechnen wir zusammen – wir arbeiten auch prima zusammen –: Ein Plus von 1,3 Milliarden Euro kann sich sehen lassen, und zusammen mit Außenminister Steinmeier, mit dem ich glänzend zusammenarbeite, setzen wir das effektiv ein.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Alle in der deutschen Politik müssen verstehen: Wir müssen in den Krisenländern der Welt mehr tun. Wir können dort vieles effektiv tun, um zu vermeiden, dass die Menschen aufbrechen müssen, um zu uns zu kommen. Wir können und müssen unsere Maßnahmen gezielt weiter ausbauen. Wir tun das als BMZ ganz konsequent, und zwar nicht erst seit sechs Monaten, seit zwei Jahren oder seit ich im Amt bin, und nicht nur – das haben vielleicht auch bei den Haushaltsberatungen viele übersehen – durch die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“, sondern als Querschnittsaufgabe im gesamten Haushalt.
Im weiteren Sinne sind 50 Prozent des BMZ-Haushaltes Investitionen in Krisenländern und damit auch in die Menschen, in die Zukunft und in die Bekämpfung der Fluchtursachen. Im engeren Sinne haben wir in den letzten 18 Monaten – ich möchte an dieser Stelle meinem Haus, der GIZ und der KfW und Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zivilgesellschaft, die vor Ort mit uns arbeiten, herzlich danken – 180 Maßnahmen in vielen Ländern weltweit, insbesondere in den Spannungsgebieten, und zwar nicht nur in und um Syrien, in Jordanien, Libanon und der Türkei, sondern auch im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und nicht zu vergessen in Kolumbien bzw. in Südamerika, Lateinamerika und auch in Asien auf den Weg gebracht.
Entwicklungspolitik ist nicht nur kurzfristige Krisenpolitik. Auch das möchte ich heute klar sagen. Wir können auch in Zukunft nicht sozusagen der Haushalt sein, der für kurzfristige Krisen herangezogen und umgeschichtet wird. Wir müssen mittel- und langfristig unsere Strategien in der ganzen Welt mit unseren Partnerländern umsetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir müssen Zukunfts- und Bleibeperspektiven für die Menschen schaffen. Diese schaffen wir durch Schulen für Kinder, Ausbildung für Jugendliche und Arbeit für Erwachsene. Das machen wir im Nordirak ganz konsequent genauso wie im Libanon, in Jordanien, in Afghanistan und in vielen anderen Ländern. Ich sage überall, wo ich gefragt werde: Mit mehr könnten wir viel mehr Bleibeperspektiven für die Menschen dort schaffen.
Viele Hunderttausende brechen nun auf in Richtung Europa. Sie kommen nicht aus dem Granathagel Syriens, sondern aus Fluchtstrukturen, nicht unbedingt aus den Flüchtlingscamps, sondern aus Ziegenställen und anderen notdürftigen Unterkünften. Nach drei oder vier Jahren, wenn die Hilfe ausgeht und die Perspektive fehlt, sagen diese Menschen: Ihr helft uns nicht bei uns zu Hause. Also müssen wir zu euch kommen. – Das kostet uns ein Vielfaches von dem, was uns eine Verstärkung der Hilfe vor Ort kosten würde.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich denke dabei insbesondere an die vielen Kinder. UNICEF hat gestern einen Hilferuf veröffentlicht. 8,2 Millionen Kinder in und um Syrien brauchen Hilfe. Wir erhöhen die Mittel für die Zusammenarbeit mit UNICEF um 50 Prozent auf 250 Millionen Euro. Es ist aber wahr: Die Weltgemeinschaft tut entschieden zu wenig, um den Ursachen von Flucht und Vertreibung zu begegnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Kofler, Sie haben zu Recht gesagt: Deutschland leistet seinen Beitrag. – Aber insgesamt sind die Zahlen beschämend. So weist das World Food Programme eine Finanzierungslücke von 4,4 Milliarden Euro auf. Von 8,6 Milliarden Euro, die zugesagt wurden, sind nur 4,2 Milliarden Euro finanziert. Das ist beschämend.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE])
Wenn Sie vor Ort sind und mit Familien und Kindern sprechen – manche von uns haben diese Camps besucht –, dann sagen sie: Wenn ihr uns verhungern und erfrieren lasst, dann haben wir keine andere Chance, als zu euch zu flüchten. – Deshalb sage ich: Wir brauchen einen UN-Flüchtlingsfonds – das ist eine globale Aufgabe – mit einem globalen Schlüssel, mit einer Art Königsteiner Schlüssel global für alle, für Amerikaner und Australier, die Arabische Liga und die Golfstaaten. Alle müssen sich gemäß Größe, wirtschaftlicher Stärke und Aufnahmebereitschaft beteiligen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Europäische Union muss handlungsfähig werden. Dazu habe ich viele Vorschläge gemacht, die unter anderem einen europäischen Flüchtlingskommissar, ein europäisches Hilfswerk und ein 10-Milliarden-Euro-Sofortprogramm zur Stabilisierung der Krisenregionen vorsehen. Der europäische Haushalt wurde in diesen Tagen ebenfalls verabschiedet. 4 Milliarden Euro sind für diese historische Herausforderung eindeutig zu wenig.
(Beifall im ganzen Hause)
Aber auch Deutschland kann und muss noch wesentlich mehr vor Ort leisten. Deshalb, verehrte Frau Kofler, begrüße ich außerordentlich den gestern unterbreiteten Vorschlag des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers Sigmar Gabriel und seines französischen Kollegen, einen 10-Milliarden-Euro-Fonds für die Krisenregionen aufzulegen. Das wäre der Weg, die Infrastrukturen zu verbessern, Arbeitsplätze zu schaffen und Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
Ich möchte noch ein paar Sätze zum Klimagipfel sagen.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Frau Hajduk?
Gerne.
Ich möchte nur etwas fragen. Sie haben gerade auf den Vorschlag von Herrn Gabriel und seinem französischen Kollegen hingewiesen. Bedeutet das, dass unser Haushalt noch einmal verändert werden soll, um sich an diesem 10-Milliarden-Euro-Programm zu beteiligen?
Der Bundeswirtschaftsminister hat den Vorschlag gemacht, einen 10-Milliarden-Euro-Fonds zusammen mit Frankreich aufzulegen, um in und um Syrien zu investieren, um Infrastruktur und Stabilität, Zukunft und Arbeitsplätze zu schaffen. Ich gehe davon aus, dass dies ein neuer qualitativer Vorschlag ist.
Wir müssen auch einmal zwei, drei Jahre voraus denken. Wir hoffen und gehen davon aus, dass die Wiener Verhandlungen dazu führen, dass dieser Krieg ein Ende hat. Dann müssen wir in die Infrastruktur in dieser Region investieren. Deshalb liegt der Wirtschaftsminister richtig. Denn nur dann können die Menschen wieder zurück in ihre Heimat. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Den Gedanken sollten wir aufgreifen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Es gäbe noch viel zu sagen, aber ich möchte zum Schluss kommen. Wir blicken nach Paris. Vielen ist nicht klar, dass das BMZ auch das Klimaschutzfinanzierungsministerium ist. Wir haben die Mittel für den Klimaschutz verdoppelt, wir bringen ein großes Angebot mit nach Paris. Wir finanzieren auch den Kampf gegen Ebola und die Folgen dieser Krankheit sowie den Aufbau von Gesundheitsstrukturen. Wir schaffen eine Welt ohne Hunger und tätigen Investitionen in Ausbildung. Ich glaube, das ist wichtig.
Wir sind ein Zukunftsministerium. Ich bedanke mich für die großartige Unterstützung, auch für das menschliche Miteinander aller Kolleginnen und Kollegen. Lassen Sie uns weiter vorangehen. An die Arbeit!
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, lieber Gerd Müller. – Der nächste Redner in der Debatte: Niema Movassat von den Linken.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6212030 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 139 |
Tagesordnungspunkt | Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung |