26.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 140 / Tagesordnungspunkt I.15

Stephan StrackeCDU/CSU - Einzelplan Arbeit und Soziales

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute sind deutlich mehr als 43 Millionen Menschen erwerbstätig. Wir verzeichnen ein Allzeithoch bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und den höchsten Stellenstand seit 15 Jahren – alles in allem eine hervorragende Lage am Arbeitsmarkt in Deutschland, besonders in Bayern.

(Katja Mast [SPD]: Baden-Württemberg meinst du!)

Die Wirtschaft blickt auch weiterhin optimistisch in die Zukunft. Das gilt auch für die Menschen. Sie wissen: Was der Wirtschaft nutzt, das nutzt auch ihnen selbst. Sichere Arbeitsplätze, mehr Geld in der Lohntüte und stabile Preise, all das tut den Menschen gut und den Familien ebenso. Gute Arbeitsmarktpolitik bedeutet immer auch gute Sozialpolitik. Dieser Zweiklang zeichnet diese Koalition aus, gerade dann, wenn sie unionsgeführt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind, wie ich meine, richtig erfolgreich, weil wir die Menschen im Blick behalten, und so wollen wir es auch in Zukunft halten.

Auf diesen Erfolgen dürfen wir uns sicherlich nicht ausruhen. Wir erleben aktuell die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Jeden Tag kommen über 7 000 Menschen zu uns nach Deutschland, insbesondere an den bayerischen Grenzen; das entspricht jeden Tag der Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Das zeigt, vor welchen Herausforderungen wir insgesamt stehen, insbesondere für den deutschen Arbeitsmarkt. Allein in Bayern betreuen die Arbeitsagenturen und Jobcenter derzeit rund 16 000 Flüchtlinge, Tendenz stark steigend.

Nach der Aussage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind die Flüchtlinge, die aktuell zu uns kommen, deutlich schlechter qualifiziert als andere Migrantengruppen. Über 80 Prozent derer, die im erwerbsfähigen Alter zu uns kommen, haben keine formale Qualifikation. Die Aussicht, schnell eine Beschäftigung zu finden, dürfte daher für die übergroße Mehrheit der anerkannten Flüchtlinge gering sein, so der ernüchternde Befund der Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten. Wir müssen uns darauf einstellen, dass im nächsten Jahr bis zu 430 000 Flüchtlinge Grundsicherung beziehen werden. Das ist ein starker Anstieg, der auch in den Folgejahren anhalten wird. Die Integration in Ausbildung und Arbeit ist und bleibt unser zentrales Thema. Wir wollen, dass diejenigen Flüchtlinge, die dauerhaft hierbleiben können, ein selbstbestimmtes Leben führen können, und zwar ohne Transferleistungen des Staates.

Dabei dürfen wir auch die heutigen langzeitarbeitslosen Menschen in unserem Land nicht aus dem Blick verlieren; sie dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Deshalb ist nicht Verharmlosung das Gebot der Stunde, sondern eine realistische Analyse dessen, was auf uns zukommt und wie die Herausforderungen in den Griff zu bekommen sind. Vor diesem Hintergrund bin ich erleichtert, dass auch in Nürnberg die Realität Einzug gehalten hat und dass die Flüchtlingskrise als das gesehen wird, was sie ist: in erster Linie als Krise, die zu bewältigen ist.

Es geht nicht darum, dass bedingt durch die Migration, wie es Herr Weise einst ausdrückte, in Deutschland künftig weniger ältere graue Herren durch die Gegend laufen und langsam mit dem Auto auf der Autobahn herumfahren – das war meines Erachtens vollkommen deplatziert und neben der Sache –; vielmehr geht es darum, dass wir Flüchtlinge passgenau unterstützen durch Integrations- und Förderketten. Genau dies tun wir.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Spracherwerb, Kompetenzfeststellung, Qualifizierung, ganzheitliche Betreuung und Wertevermittlung, das sind die wesentlichen Bausteine einer gelingenden Integration. Bayern zeigt, wie es geht. Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen setzt Bayern beispielgebend bei den ankommenden Kindern und Jugendlichen an, indem sie die Sprache lernen und die Grundwerte für das Leben in Deutschland kennenlernen.

Das erfolgt zunächst in Übergangsklassen durch Sprachförderangebote der Grund- und Mittelschulen sowie in Berufsintegrationsklassen der Berufsschulen. Gerade die Berufsintegrationsklassen leisten unglaublich viel. Zweijährig, in Vollzeit verbinden sie Spracherwerb mit gezielter Berufsvorbereitung. Dies trifft auf viel Zustimmung der Wirtschaft, aber auch der Flüchtlingsorganisationen.

Bayern zeigt, wie es mit pragmatischen Lösungen für die Menschen geht. Deswegen freut es mich, dass es in Bayern einen engen Schulterschluss der Partner am Arbeitsmarkt gibt: Wirtschaft, Bundesagentur für Arbeit und Staatsregierung ziehen an einem Strang. „ Keiner darf verloren gehen“, das ist das Motto. Die Mittel dafür heißen Spracherwerb, Qualifizieren und umfassend Betreuen. Die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit nimmt allein 45 Millionen Euro für das nächste Jahr in die Hand für berufssprachlichen Deutschunterricht mit anschließender Berufsorientierung, mit Praktika, gegebenenfalls ergänzt durch assistierte Ausbildung oder ausbildungsbegleitende Hilfen. Ich finde, das ist vorbildlich.

Aber: Ohne eine Begrenzung der aktuellen Zuwanderungszahlen werden wir an unsere Grenzen kommen – trotz größter Anstrengungen, trotz immensen Mitteleinsatzes. Deshalb ist es richtig, die Zuwanderung zu begrenzen. Wir sollten uns an all das halten, was wir gemeinsam in dieser Koalition ausgemacht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Aufstockung des Einzelplans 11 ist in dem Umfang, wie sie vorgenommen wird, sicherlich erforderlich. Der größte Ausgabenblock des Bundes, 40 Prozent der Gesamtausgaben, ist im Haushalt des BMAS vereint. Wir geben hier insgesamt zusätzlich 2,6 Milliarden Euro aus. Davon entfallen 1,9 Milliarden Euro auf Ausgaben im Zusammenhang mit der gestiegenen Flüchtlingszahl. Ich bin sehr gespannt, wie lange diese Zahlen tatsächlich gelten werden. Wir fahren in diesem Bereich derzeit sicherlich auf Sicht.

Da die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt in den Orten bewältigt werden muss, in denen sie sich tatsächlich befinden, muss das zusätzlich erforderliche Geld dorthin fließen, wo die Arbeit anfällt. Das heißt, die zusätzlichen Mittel für die Jobcenter im Jahr 2016 dürfen nicht auf der Grundlage der bisherigen Verteillogik verteilt werden, weil diese in keiner Weise den Flüchtlingszugängen Rechnung trägt.

Es muss der Grundsatz gelten: Jeder Flüchtling muss uns gleich viel wert sein und die gleichen Chancen auf Teilhabe haben – egal ob er sich in Berlin befindet oder im Bayerischen Wald.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Im Wald?)

Ich hoffe, dass dieser Ansatz beherzigt wird und auch vonseiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgegriffen wird. Das ist nur fair; insbesondere ist es fair gegenüber den betroffenen Menschen.

Angesichts der Situation dürfen wir keine weiteren Experimente auf dem Arbeitsmarkt machen. Der Mindestlohn hat sich aufgrund des guten konjunkturellen Umfelds bislang nicht als massiver Einschnitt dargestellt.

(Ewald Schurer [SPD]: Im Gegenteil, im Gegenteil! Wirtschaftsförderung! Mehr Kaufkraft! Mehr Konsum!)

Es ist jetzt allerdings zu früh für eine seriöse Bewertung der Wirkungen des Mindestlohns. So haben es jedenfalls die Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten dargelegt. Ich warne vor zu großem Optimismus. Wir müssen hier die Entwicklungen genau in den Blick nehmen. Wir haben noch viele ungeklärte Fragen, insbesondere auch was Abgrenzungen angeht, was die Arbeitgeberhaftung angeht. Überall da besteht noch Handlungsbedarf.

Umso genauer gilt es jetzt bei der Reform der Zeitarbeit und der Werkverträge hinzuschauen. Von Frau ­Nahles wurde in der letzten Woche ein Referentenentwurf zur Regulierung der Zeitarbeit und der Werkverträge vorgelegt. Ich erachte ihn als nicht zustimmungsfähig.

(Bernd Rützel [SPD]: Oh!)

Er geht in den entscheidenden Teilen weit über den Koalitionsvertrag hinaus, schafft neue Bürokratie und konterkariert die Aufgabenteilung und Spezialisierung.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wenn es in die richtige Richtung geht, können Sie sich doch freuen! Dann kann man doch zustimmen!)

Deswegen bin ich dankbar, dass die Kanzlerin auf dem Arbeitgebertag klargestellt hat, dass das Gesetz in dieser Form nicht kommt.

(Dr. Carola Reimann [SPD]: Wir sind der Bundestag und nicht der Arbeitgebertag!)

Wir müssen darauf achten, dass wir bei der Zeitarbeit Spielräume für tarifgebundene Unternehmen lassen. Beim Werkvertrag müssen wir darauf achten, dass wir nicht zu Vermutungstatbeständen und Kriterien kommen, die insgesamt als praxisfremd anzusehen sind.

All das zeigt: Wir haben viel vor. Wir haben viel vor bei der Beteiligung von Menschen im Rentenalter; es geht um längeres Arbeiten. Wir haben viel vor, was das Bundesteilhabegesetz angeht. Ich freue mich auf die im nächsten Jahr auf uns zukommenden Aufgaben. Wir werden diese mit der gleichen Begeisterung angehen, wie wir es bislang gemacht haben – für gute Arbeit, für mehr Chancen, für die Menschen in diesem Land.

Herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber sehr begeistert haben Sie nicht gesprochen! Die Begeisterung hat man jetzt nicht gehört!)

Als nächste Rednerin hat Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Weiler [CDU/CSU])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6215560
Wahlperiode 18
Sitzung 140
Tagesordnungspunkt Einzelplan Arbeit und Soziales
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