26.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 140 / Tagesordnungspunkt I.15

Mark HelfrichCDU/CSU - Einzelplan Arbeit und Soziales

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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ La question sociale“ bezeichneten es die Franzosen, und es war der Dichter Heinrich Heine, der den Begriff 1840 in Deutschland einführte. Gemeint waren die sozialen Missstände infolge der industriellen Revolution in England, in Frankreich und dann auch in Deutschland. 175 Jahre nach Heine darf sich die soziale Frage als Folge der Flüchtlingskrise in Deutschland nicht wieder stellen. Damit dies nicht passiert, statten wir den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im nächsten Jahr mit richtig viel Geld aus: 130 Milliarden Euro. Der Einzelplan 11 stellt somit auch im nächsten Jahr den mit Abstand umfangreichsten und größten Einzeletat im Bundeshaushalt dar. Mit der Höhe des Etats wächst aber zugleich auch unsere Verantwortung, die zur Verfügung stehenden Mittel richtig und sinnvoll einzusetzen, damit sie den Menschen auch wirklich helfen. Das macht eine erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damit sie nachhaltig ist, braucht sie aber immer auch eine solide finanzielle Basis und gute Rahmenbedingungen. Die haben wir in den letzten Jahren dank einer wachstumsorientierten und auf sparsames Haushalten ausgerichteten Politik unter Führung der Union geschaffen. Unsere Erfolge können sich sehen lassen. Wir haben nicht nur die Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich gemeistert, sondern auch den Bundeshaushalt konsolidiert, und wir legen im zweiten Jahr in Folge einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vor. Auch mit unserer Konjunktur verhält es sich derzeit wie einst mit dem VW-Käfer: Sie läuft und läuft und läuft.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: VW ist aber jetzt ein schlechtes Beispiel!)

– Damals war das hervorragende Arbeit made in Germany.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Früher war alles besser!)

Unser Arbeitsmarkt zeigt sich trotz krisenbehafteten Umfeldes in bester Verfassung: Es sind so wenig Menschen arbeitslos wie seit 24 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig geht der Beschäftigungszuwachs weiter. Erstmals in der Geschichte der Bundrepublik waren mehr als 31 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das führt dazu, dass die Bundesagentur für Arbeit derzeit auf einem Überschuss von rund 2,8 Milliarden Euro sitzt. Das ist ein gutes Polster.

(Beifall bei der CDU/CSU) sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])

Auch die Rentenversicherung profitiert von der steigenden Zahl der Beitragszahler. Im kommenden Jahr können die deutschen Rentnerinnen und Rentner mit einer Rentenerhöhung zwischen 4 und 5 Prozent rechnen. Das gab es seit zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Dank dieser guten Ausgangslage können wir heute darüber debattieren, wofür wir Geld in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ausgeben. Dank dieser guten Ausgangslage können wir 2,6 Milliarden Euro mehr ausgeben als ursprünglich geplant. Von diesen 2,6 Milliarden Euro werden knapp 2 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise eingesetzt.

Bei voraussichtlich mehr als 1 Million Asylbewerber in diesem Jahr muss ehrlich ausgesprochen werden: Wir werden nicht alle Flüchtlinge sofort in den Arbeitsmarkt integrieren können.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Dies zeigt schon ein Blick auf die Qualifikation der Zuwanderer; Vorredner haben es bereits genannt. Nach einer Stichprobe der Bundesagentur für Arbeit sind 81 Prozent der Flüchtlinge ohne formale Qualifikation, 11 Prozent haben eine berufliche Ausbildung, gerade einmal 8 eine akademische. Ingenieure aus Bagdad, Facharbeiter aus Kabul und Ärzte aus Aleppo sind eher die Ausnahme.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind aber junge Leute!)

Es wird daher lange dauern, bis das Gros der Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. 90 Prozent der anerkannten Flüchtlinge werden nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit zunächst auf Hartz IV angewiesen sein. Erfahrungsgemäß findet nur jeder Zehnte von ihnen nach fünf Jahren eine Arbeit, jeder Zweite erst nach zehn Jahren. So wird Herr Weise in diesen Tagen zitiert.

Damit die Zuwanderung nicht dauerhaft in die Sozialsysteme erfolgt, müssen die Flüchtlinge einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz finden. Leben aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung – nur das kann das Ziel von uns allen sein, was die Menschen betrifft, die zu uns kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])

Hoffnung macht – dies wurde gerade hier im Ple­num gesagt –, dass gut 80 Prozent der Flüchtlinge jünger als 35 Jahre sind und mehr als die Hälfte sogar jünger als 25 Jahre. Das Bildungspotenzial der Menschen, die kommen, ist sehr hoch. Wenn man dann weiß, dass es jede dritte Firma in Deutschland im letzten Jahr nicht geschafft hat, alle Ausbildungsplätze zu besetzen, und dass insgesamt 600 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten, muss man sagen: Es ist zwar ein Negativrekord, aber gleichzeitig, vor diesem Hintergrund, auch eine Chance.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir können fleißigen, motivierten und talentierten Flüchtlingen durch Bildung und berufliche Qualifizierung also eine gute Arbeitsmarktchance eröffnen. Wir haben deswegen den Jobcentern zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt: 250 Millionen Euro für die Eingliederung in Arbeit, 325 Millionen Euro für die Verwaltungskosten. Die 350 Millionen Euro, die an Ausgaberesten vorhanden sind, können dann noch dazukommen. Insgesamt können 3 800 zusätzliche Stellen in den Jobcentern in Deutschland geschaffen werden.

Wirtschaft und Handwerk setzen als Einstiegskriterium für eine Ausbildung, für berufliche Qualifizierung und Tätigkeit gute Deutschkenntnisse voraus. Die ganz überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge bringt diese naturgemäß nicht mit. Folgerichtig haben wir auch die Mittel für Bildungsmaßnahmen um rund 180 Millionen Euro auf 312 Millionen Euro aufgestockt.

Allerdings sind die sprachlichen Unwägbarkeiten nicht die einzigen Hindernisse auf dem Weg zur beruflichen Integration. Die Menschen, die kommen, finden eine Arbeitswelt vor, die sie so mit Sicherheit noch nicht kennen. Auch unsere duale Berufsausbildung mit Lehrmodulen in Betrieb und Berufsschule ist etwas ganz Neues. Die bisherigen Erfahrungen verschiedener Handwerkskammern in der Bundesrepublik zeigen denn auch, dass dort noch Schwierigkeiten bestehen. Vielen Flüchtlingen fällt es trotz hoher Motivation – die attestieren alle – schwer, sich für eine Ausbildung zu entscheiden, die über mehrere Jahre bei geringer Bezahlung zu absolvieren ist. Es gibt auch Erfahrungen aus Bayern – das wurde heute häufig zitiert –, wonach 70 Prozent der Lehrlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak, die im Herbst 2013 eine Ausbildung begonnen haben, nicht mehr in der Ausbildung sind, aber leider ohne Abschluss. Das ist bei diesem Modellprojekt der ernüchternde Teil. Die Zahlen sind bundesweit wohl ähnlich. Umso wichtiger ist es, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter arbeitsuchende Flüchtlinge davon überzeugen können, dass eine Ausbildung langfristig die einzige Lösung ist. Deshalb haben wir die Mittel für die berufliche Integration und Beratung von Zuwanderern auf insgesamt fast 48 Millionen Euro aufgestockt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Einen weiteren Schritt bei der Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter sehe ich in dem geplanten Gesetz zur Rechtsvereinfachung im SGB II. Mit diesem Gesetz wollen wir auch im Hinblick auf die wegen der Flüchtlingswelle stärker beanspruchten Ressourcen Verwaltungsabläufe in den Jobcentern vereinfachen. Wichtig ist, dass unsere Jobcenter für die absehbar bevorstehenden Mehrbelastungen gut gewappnet sind. Sonst würden sie wie das BAMF als Behörde im Ausnahmezustand zum Flaschenhals der Flüchtlingsintegration in Deutschland werden.

Ich bin in diesem Zusammenhang auch froh – lassen Sie mich das hier erwähnen –, dass wir bei den bestehenden Sanktionsregelungen bleiben können. Das Prinzip „Fördern und Fordern“, auf dem die gute Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre basiert, ist richtig und wichtig. Letztlich sind die Sanktionen ein Kontrollmechanismus, und es gibt in unserer Gesellschaft aus gutem Grund an verschiedensten Stellen solche Mechanismen. Sie sind ein Zeichen der Gerechtigkeit und Verantwortung gegenüber denjenigen, die mit ihrer Arbeit bzw. ihren Steuerzahlungen diese Leistungen erst ermöglichen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Jobcenter in den nächsten Monaten und Jahren vor einer großen Aufgabe stehen, wäre es das falsche Signal, an dieser Stelle einen Kurswechsel einzuläuten.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es würde die Jobcenter entlasten, wenn man das abschaffen würde!)

Zum Thema Mindestlohn. Herr Ernst, Sie haben Herrn Spahn angesprochen. Es gibt auch einige andere, die aus Ihrer Sicht abwegige Vorschläge gemacht haben, unter anderem der Sachverständigenrat. Keine Sorge! Ich will dieses Fass nicht aufmachen. Ich werde mich auch nicht hinstellen und hier etwas fordern. Niemand will Menschen gegeneinander ausspielen. Niemand will, dass es in diesem Land auf der einen Seite Menschen gibt, die den Mindestlohn erhalten, und auf der anderen Seite Menschen, die nicht unter die Mindestlohnregelungen fallen. Ich bitte aber all diejenigen, die das heute betont haben, genauso vehement zu argumentieren, wenn wir darüber reden, wie Betriebe und Unternehmen in den nächsten Monaten und Jahren Stellen anbieten können, die den Menschen im Sinne eines Langzeitpraktikums die Chance eröffnen, in unsere Berufswelt zu kommen. Denn eines ist richtig: In dieser krisengeschüttelten Zeit ist das Wohlergehen unserer Wirtschaft, der deutschen Betriebe, ein wahrer Stabilitätsanker, den wir nicht riskieren sollten.

Meine Damen und Herren, ein schon den alten Römern vertrauter Grundsatz lautet: Ultra posse nemo obligatur. Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet. – Der Einzelplan 11, der Haushalt für Arbeit und Soziales, zeigt gleichwohl, wie beachtlich unser Können ist. Ich bin hoffnungsvoll, dass wir damit die Herkulesaufgabe der Integration der Flüchtlinge angehen und auch bestehen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6215629
Wahlperiode 18
Sitzung 140
Tagesordnungspunkt Einzelplan Arbeit und Soziales
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