Elfi Scho-AntwerpesSPD - Tierschutz
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Bildungspolitikerin meiner Fraktion, aber auch, weil es mir ganz persönlich ein Dorn im Auge ist, möchte ich die Debatte um einen wesentlichen Punkt erweitern. Wir müssen über Tierversuche sprechen, und zwar nicht nur heute, sondern dauerhaft, und das mit erhöhtem Tempo, um die Themen voranzubringen.
(Beifall bei der SPD)
Es ist mir bei diesem Thema völlig egal, ob wir von Primaten, Mäusen oder Kopffüßern sprechen:
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder von Regenwürmern!)
Tierversuche muten im Jahr 2015 – die Kollegin Maisch hat es eben schon gesagt – anachronistisch an. Wir müssen dafür sorgen, dass wir möglichst schnell komplett auf Tierversuche verzichten können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!)
Medaillen, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, haben bekanntermaßen zwei Seiten. Dass Tierversuche ein abzulehnendes Übel sind, ist die eine Seite. Dass sie ein notwendiges Übel sind, ist die andere Seite. Im Kampf gegen Krankheiten, wie zum Beispiel Aids, Krebs oder Alzheimer, sind wir nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft auf ebensolche Tierversuche angewiesen. Bei der Entwicklung von sicheren und hochwertigen Medikamenten für die Humanmedizin und auch für die Tiermedizin sind wir auf Tierversuche angewiesen. Alles andere wäre verlogen.
Die Zielsetzung lautet: grundsätzlicher Verzicht auf Tierversuche, und zwar schnellstmöglich. Das erreichen wir natürlich nicht durch plakative Parolen oder Verbote. Der Wille zu einer konsequenten Weiterentwicklung von alternativen Forschungsmethoden wird das Bestreben erleichtern, das Leiden der Tiere zu begrenzen, die Zahl der Tierversuche zu vermindern und am Ende völlig auf Tierversuche zu verzichten.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)
Im aktuellen Tierschutzbericht ist nachzulesen, dass die Zahl der Tierversuche abgenommen hat. Wir sprechen für das Jahr 2014 von 2,8 Millionen Tierversuchen. Verglichen mit dem Vorjahr sind das rund 200 000 weniger. Das ist ein Erfolg, zumal die Zahlen in den Jahren davor grundsätzlich steigend waren. Es ist gleichwohl ein Erfolg, auf dem wir uns keineswegs ausruhen dürfen.
(Beifall bei der SPD)
Wir müssen diese Entwicklung erstens verstetigen und zweitens beschleunigen.
Den Anstoß für diese positive Entwicklung hat eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates aus dem Jahr 2010 gegeben, die in der Bundesrepublik über die Änderung des Tierschutzgesetzes im Jahr 2013 und den Erlass der Tierschutz-Versuchstierverordnung im selben Jahr umgesetzt wurde. Damit sind im deutschen Tierschutzgesetz wesentliche und grundsätzliche Regelungen zu Versuchstieren enthalten. Die Verordnung geht detaillierter auf die Haltung von Versuchstieren und auf die Durchführung, Genehmigung und Anzeige von Tierversuchen ein.
Übergeordnetes Ziel ist auch bei der EU-Richtlinie, die Zahl der Tierversuche zu vermindern, Tierversuche zu vermeiden und sie dort, wo sie noch nicht zu vermeiden sind, zu verbessern, um das Leiden der Tiere zu senken. Dahinter steht das sogenannte 3R-Prinzip, das in Europa konsequent angewendet werden soll: Replacement, Reduction, Refinement; will sagen: Vermeidung, Verminderung, Verbesserung. Das ist natürlich keine neue Erfindung. Erdacht wurde das 3R-Prinzip bereits – man höre und staune! – 1959 durch zwei britische Wissenschaftler, die sich für humanere Forschungsmethoden eingesetzt haben.
Durch die Novellierung des Tierschutzgesetzes ist das 3R-Prinzip in deutsches Recht umgesetzt worden. Das heißt im Einzelfall: Wissenschaftliche Arbeiter und Arbeiterinnen, die einen Tierversuch beantragen, müssen gegenüber den jeweiligen Landesbehörden drei Kernfragen wissenschaftlich beantworten: Erstens. Gibt es für den geplanten Versuch keine alternativen Methoden? Zweitens. Ist die Anzahl der Versuchstiere auf das Minimum reduziert? Drittens. Sind die Belastungen der Tiere so gering wie möglich?
Hat der Tierversuch dann stattgefunden, ist es am zuständigen Bundesinstitut für Risikobewertung, eine allgemeinverständliche Zusammenfassung anzufertigen und dann zu veröffentlichen. Auch das ist eine Folge des novellierten Tierschutzgesetzes und ein wichtiger Beitrag zur Transparenz hinter den Tierversuchen. Durch die Bundesgesetzgebung fördern wir also die Transparenz und hinterfragen den Sinn von Tierversuchen – und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Tierversuchen leistet die Erforschung von Alternativmethoden. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die zuständige Zentralstelle, ZEBET, ausgebaut und erweitert wird. Zum 25. September dieses Jahres ist das bereits geschehen. Das neugeschaffene Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren wird mit zusätzlichen Stellen die Forschung an Alternativen intensivieren, entsprechende Beratung anbieten und weltweit die Anstrengungen in diesem Bereich begleiten. Das ist ein Ausbau, der uns weiterbringt und ein sozialdemokratisches Anliegen war.
(Beifall bei der SPD)
ZEBET leistet übrigens seit 1989 ganz hervorragende Arbeit: Erfolgreich waren die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dort unter anderem bei der Entwicklung von Alternativmethoden zur Toxizität an der Haut und am Auge und bei der Forschung, die Versuche an trächtigen Tieren obsolet macht. Die entwickelten Verfahren sind sinnvoll. Sie sind sowohl bei der EU als auch bei der OECD als Prüfmethoden offiziell verankert und international anerkannt. Mit dem Ausbau von ZEBET verfolgen wir mit noch mehr Tatkraft den richtigen Weg, der aber noch Beschleunigung vertragen kann.
Entsprechende Forschung gibt es natürlich auch darüber hinaus. Das Bundesministerium lobt seit 1980 einen Tierschutzforschungspreis aus, der für die Entwicklung wissenschaftlicher Alternativmethoden zu Tierversuchen vergeben wird. Preisträger dieses Jahres ist Herr Professor Dr. Leist, der mit seinem Team an der Universität Konstanz forscht. Die prämierte Arbeit befasst sich mit der Frage, wie mithilfe von In-vitro-Zellkulturen die tradierten pharmakologischen Anwendungen an Primaten und Nagern zum Beispiel in der Hirnforschung ersetzt werden können. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Leist und seiner Arbeitsgruppe auch hier im Hohen Hause sehr herzlich danken und ebenso gratulieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „der Gerechte kümmert sich um das Wohlergehen seines Viehs, aber das Herz der Gottlosen ist grausam“, ist in der Bibel zu lesen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Wir kümmern uns. Der Tierschutzbericht 2015 verdeutlicht, dass die ergriffenen Maßnahmen funktionieren. Lassen Sie uns aber am Ball bleiben. Lassen Sie uns schnell spielen und diesen ersten kleinen Erfolg zu einem großen Erfolg ausbauen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist sehr schön!)
Dazu ist eine ehrliche Debatte erforderlich. Forschung und Wissenschaft sind zu komplex und zu wichtig, als dass wir die Situation nur mit schwarz und weiß beschreiben könnten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Forschung bedeutet auch, Zeit haben zu können, auch für die Forschung an Alternativmethoden. Grundlagenforschung und die Entwicklung von Medikamenten müssen höchsten qualitativen Anforderungen genügen. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Wir müssen auch regelmäßig hinterfragen, wieweit das 3R-Prinzip in Deutschland greift und wie ehrlich wir zu uns selbst sind.
Absichtserklärungen allein helfen keinem. Wir müssen den eingeschlagenen Weg konsequent und mit Tempo weitergehen. Dabei dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Tierversuche gehören in Deutschland und in Europa so schnell wie möglich ins Gruselkabinett der Geschichte.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
(Beifall)
Ich weise vorsichtshalber darauf hin, dass der großzügige Zuschlag des Präsidiums zu der eigentlich verfügbaren Redezeit bei weiteren Reden nicht in Aussicht gestellt werden kann.
(Heiterkeit – Elfi Scho-Antwerpes [SPD]: Ich war so in Schwung!)
Im Übrigen: Sie hatten ja dieses erstaunliche Erlebnis jetzt zum ersten Mal. Wenn die Lampe am Rednerpult blinkt, ist keine Attacke zu erwarten,
(Heiterkeit)
sondern das ist eigentlich nur der Hinweis, dass die Redezeit mittlerweile abgelaufen ist.
Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der spart die Zeit ein!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6244420 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Tierschutz |