Anita SchäferCDU/CSU - Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Vor etwas mehr als sieben Monaten haben wir das erste Mal den Jahresbericht für 2014 debattiert, der noch von Ihrem Vorgänger Hellmut Königshaus verantwortet wurde. Angesichts der Ereignisse in der Zwischenzeit scheint der Berichtszeitraum kurz vor Ende des Jahres 2015 in weite Ferne gerückt.
Im letzten Jahr war unser Augenmerk vor allem auf die Ukraine-Krise gerichtet. Wir sprachen über eine Rückbesinnung auf die klassische Bündnisverteidigung, über die notwendige Rückkehr zur Vollausstattung von Kampftruppenbataillonen mit Großgerät, über die Stärkung schneller Eingreifkräfte und über lange nicht geübte Fähigkeiten zur Truppenverlegung in Europa. In diesem Sommer wurden dann die Folgen des seit vier Jahren andauernden Bürgerkriegs in Syrien und der Schreckensherrschaft des sogenannten „Islamischen Staates“ auch hierzulande für jedermann deutlich; denn die Flucht vor Gewalt und Terror in Syrien war wesentlich für die Zuspitzung der aktuellen Flüchtlingskrise verantwortlich.
Seither ist auch die Bundeswehr stark in der Flüchtlingshilfe engagiert, mittlerweile mit durchschnittlich 7 500 Soldaten. Die Bundeswehr hilft beim Aufbau und dem Betrieb von Unterkünften, bei der Aufnahme von Flüchtlingen, bei der Organisation, bei Transport und medizinischer Betreuung und durch die Abgabe von Verpflegung, Betten und anderem Material. All das geschieht neben ihren eigentlichen Aufgaben im Grundbetrieb und im Auslandseinsatz.
Gestern haben wir nun über die Unterstützung Frankreichs im Kampf gegen den IS nach den neuerlichen Anschlägen in Paris debattiert und werden morgen voraussichtlich die Einsätze über Syrien und im Mittelmeer beschließen. Damit kommen neue gefährliche Aufgaben auf die Bundeswehr zu. Gleichzeitig sind die bisherigen Herausforderungen nicht verschwunden. Lieber Herr Wehrbeauftragter, vor diesem Hintergrund haben Sie sich bereits mehrfach und auch heute zu den Bedürfnissen der Bundeswehr geäußert, unter anderem auch zum Ausstattungsgrad mit Großgerät, wobei, so glaube ich, fast jeder darin übereinstimmt, dass kein Weg an der Rückkehr zur Vollausstattung vorbeiführt.
Im Hinblick auf die Vielfalt der Herausforderungen kann es aber nicht nur darum gehen, dass jedes Kampftruppenbataillon des Heeres einen vollständigen Fahrzeugbestand hat. Wir müssen auch darauf achten, welcher Anteil der vorhandenen Bestände überhaupt einsatzbereit ist. Insbesondere bei den Flugzeugen und Hubschraubern gibt es weiterhin niedrige Bereitschaftsstände. Das ist teilweise mit der Einführung neuen Geräts zu erklären, bei dem die Versorgungsreife noch nicht erreicht ist, und umgekehrt mit dem Alter von Luftfahrzeugen, die vor der Ausmusterung stehen. Allerdings zeigt sich auch weiterhin, dass frühere Sparmaßnahmen bei der Ersatzteilbeschaffung erst Jahre später ihre vollen Auswirkungen entfalten. Eine vorausschauende Sicherheitspolitik kann aber nicht zulassen, dass auf Kosten der Zukunft gespart wird. Das ist eine Lektion, die wir nicht vergessen dürfen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, so viel zur Ausrüstung. Viel wichtiger aber sind die Menschen in der Bundeswehr. Die bereits hohe Einsatzbelastung wird sich natürlich mit neuen Aufgaben weiter erhöhen. Das gilt besonders für Organisationsbereiche und Truppengattungen, die ohnehin stark gefordert sind. Dazu kann man praktisch alle zur See fahrenden Teile der Marine zählen. Der gerade beendete Patriot-Einsatz in der Türkei hat auch die Flugabwehrtruppe der Luftwaffe sowohl materiell als auch personell sehr beansprucht.
Beim Heer tragen die Spezialpioniere, die für Bau und Betrieb von Feldlagern verantwortlich sind, eine große Last. Schließlich ist die Situation im Sanitätsdienst weiterhin verbesserungsbedürftig, nicht zuletzt, weil sich Einsatzbelastung und Personalprobleme gegenseitig verstärken. Bereits absehbar ist, dass die Verpflichtungen weiter zunehmen, wenn wir 2019 wieder die Führung der NATO-Speerspitze übernehmen.
Umso wichtiger ist es, zumindest gute Grundbedingungen und Ausgleichsmöglichkeiten im Dienst zu gewährleisten. Einer der entscheidenden Themenblöcke bleibt daher die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr. In der letzten Debatte hatte ich angesprochen, dass uns mit dem damals gerade erst beschlossenen Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz ein großer Schritt gelungen ist. Mittlerweile haben wir mit dem Besoldungsänderungsgesetz darüber hinaus einige zusätzliche Verbesserungen eingeführt.
(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Dazu gehören die Erhöhung diverser Stellenzulagen und die Einbeziehung weiterer Gruppen wie die Bundeswehr-Feuerwehr sowie die Schaffung zusätzlicher höherdotierter Dienstposten, insbesondere in der Feldwebellaufbahn.
Zum 1. Januar 2016 wollen wir zudem die EU-Arbeitszeitrichtlinie für die Bundeswehr umsetzen. Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen wird damit eine gesetzlich geregelte Arbeitszeit für Soldaten im Grundbetrieb eingeführt. Allerdings ergeben sich dadurch auch neue Probleme, gerade bei der Marine, wo die Besatzungen bislang im Hafen an Bord ihrer Schiffe untergebracht sind, was auch entsprechende Wachdienste erfordert, die das ganze Konstrukt der geregelten Arbeitszeit zum Zusammenbrechen bringen würden. Erschwerend kommt hinzu: Bislang erhalten die Besatzungen für solche Dienste Zulagen.
Künftig müssen sich die nicht unterkunftspflichtigen Soldaten eigene Unterkünfte an Land besorgen. Allein am Marinestützpunkt Wilhelmshaven betrifft das 1 200 Männer und Frauen. Schon die notwendigen Unterkünfte in dieser Zahl zu finden, stellt eine gewaltige Herausforderung dar. Das Bundesministerium der Verteidigung hat aber erklärt, auch unkonventionelle Lösungen wie Wohngemeinschaften verfolgen zu wollen, sodass sich hoffentlich im Laufe der nächsten beiden Jahre die Situation zufriedenstellend einspielt.
Allerdings wird die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie Auswirkungen auf alle Teilstreitkräfte haben, gerade was das Ableisten von Wachdiensten betrifft, die sehr viel Zeit binden. Dadurch wird sich voraussichtlich ein noch stärkerer Bedarf an Bewachung von Bundeswehrobjekten durch zivile Dienstleister ergeben.
Wichtig ist vor allem, dass die Soldaten jederzeit umfassend über die Entwicklung informiert sind. Am Ende muss und wird dann klar werden: Niemals zuvor ist so viel für die Verbesserung der Bedingungen im Grundbetrieb der Bundeswehr getan worden wie in dieser Legislaturperiode, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Wehrbeauftragter, ich möchte zum Schluss auf ein Interview eingehen, das Sie im Sommer der Wochenzeitung Bundeswehr aktuell gegeben haben. Besonders interessant fand ich dabei Ihre Aussage zur Diversität in der Truppe. Dazu gehört das Thema „Frauen in der Bundeswehr“, bei dem wir auf einem guten Weg sind. Der Frauenanteil liegt bereits bei über 10 Prozent, nicht mehr weit entfernt beispielsweise von den knapp 14 Prozent bei der Bundespolizei.
Gleichwohl hat im vergangenen Jahr die Studie „Truppenbild ohne Dame?“ auch noch Probleme bei der Integration aufgezeigt, die wir im Blick behalten müssen. Gerade angesichts der Flüchtlingskrise und der Debatte um bestmögliche Integration von Zuwanderern geht es bei Diversität aber auch um den gemeinsamen Dienst von deutschen Staatsbürgern unterschiedlicher Herkunft. Deshalb sollten wir nicht nur darauf hinweisen, dass die Bundeswehr Seite an Seite mit vielen anderen Institutionen und Freiwilligen Großartiges in der Flüchtlingshilfe leistet –
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
was auch von den anderen Helfern anerkannt wird, die teilweise sogar wie hier in Berlin um den Einsatz der Bundeswehr bitten, selbst wenn sie politisch eigentlich eher, ich sage mal, bundeswehrfern sind –, sondern auch darauf, dass die Bundeswehr selbst ein gelungenes Beispiel von Integration ist.
Mittlerweile ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei der Bundeswehr genauso groß wie in der gesamten Gesellschaft. Diese Soldaten erfahren in der Truppe nach Aussage des Vereins „Deutscher. Soldat.“ im Vergleich zur Gesamtgesellschaft praktisch keine Diskriminierung. Der Verein hat sich gerade deshalb gegründet, um gesellschaftlichen Vorurteilen sowohl von links, von rechts als auch unter Immigranten selbst entgegenzuwirken, dass man als – in Anführungszeichen – „Ausländer“ doch nicht bei der Bundeswehr sein könne. Diese Vorreiterrolle der Bundeswehr können wir ruhig ab und zu mal betonen.
Meine Damen und Herren, am Ende eines Jahres, das uns alle in Atem gehalten hat, möchte ich besonders den Soldatinnen und Soldaten sowie den Zivilangestellten der Bundeswehr und ihren Familien danken:
für das, was sie geleistet haben und in den neuen Einsätzen leisten werden, und für die persönlichen Opfer, die sie für die Sicherheit in Deutschland und Europa bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nicht zuletzt möchte ich auch dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern noch einmal für ihre Arbeit danken. Frau Präsidentin, gestatten Sie mir, dass ich auch unserem früheren Wehrbeauftragten Herrn Königshaus noch einmal für seine besondere Arbeit danke. Herzlichen Dank!
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ihnen und uns allen wünsche ich ein hoffentlich friedliches Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Bis dahin ist noch Zeit!)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten |