03.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 143 / Tagesordnungspunkt 9

Nina WarkenCDU/CSU - Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen hier heute über zwei Anträge von Linken und Grünen, die die Lage in Afghanistan, die Situation von Flüchtlingen aus Afghanistan und die Überlegungen und Vorschläge der Koalition hierzu zum Inhalt haben. Ich denke, es ist passend, dass wir das gerade heute tun können, nachdem die Kanzlerin gestern den afghanischen Staatspräsidenten zu Gast hatte.

Dies gibt mir auch die Gelegenheit, die Vorschläge der Koalition zu den aufgeworfenen Fragen darzustellen, und das ist gut so; denn ich glaube, wir befinden uns derzeit noch immer – das sieht man, wenn man in die Kommunen blickt – in einer Art Notfallsituation bzw. im Notfallmodus.

Vielerorts kann die Unterbringung nur in provisorischen Unterkünften, wie Turnhallen, erfolgen, und die Versorgung findet durch Ehrenamtliche statt. Nach wie vor kommen trotz des Wintereinbruchs täglich Tausende Menschen zu uns nach Deutschland. Laut der EASY-Statistik sind in diesem Jahr schon über 129 000 Asylsuchende aus Afghanistan zu uns eingereist. Afghanistan steht somit an zweiter Stelle.

Es ist daher wichtig, dass man über Lösungsansätze für einzelne Personengruppen, die zu uns kommen, nachdenkt und dass Maßnahmen ergriffen werden. Das haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD in den Beschlüssen vom 5. November 2015 getan, und das tun auch wir als Koalition.

Ein wichtiger Schritt ist, dass in jedem Einzelfall genau geprüft werden muss, wer schutzbedürftig ist und wer nicht – auch wenn jemand aus Afghanistan oder Syrien kommt. Nur das ist angesichts der aktuellen Lage gerecht und vermittelbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Genau das, was die Kollegin Amtsberg gesagt hat, nämlich im Einzelfall maßvoll und umsichtig zu prüfen, wollen wir tun. Verbunden damit müssen dann auch Rückführungen sein, wenn sie im Einzelfall angezeigt und vertretbar sind. Von pauschalen Abschiebungen spricht niemand.

Forderungen nach einem pauschalen Abschiebestopp und einer pauschalen Anerkennung von Asylbewerbern aus Afghanistan sind weder gerecht noch vermittelbar. Dennoch verstehe ich die Intention Ihrer Anträge. Weite Teile Ihrer Fraktionen lehnen Abschiebungen generell und grundsätzlich ab. Es fehlt Ihnen die Einsicht, dass Abschiebungen notwendig sind, um Entscheidungen im Asylverfahren auch durchzusetzen und ein faires und vermittelbares Asylsystem zu erhalten. Es muss ja schließlich einen Unterschied machen, ob jemand bleiben darf oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihre Parteikollegen, die in den Kommunen und in den Ländern politische Verantwortung tragen, wissen das.

Es verwundert daher nicht, dass sie aus dieser grundsätzlichen Ablehnung heraus auch die Dinge bezüglich der Situation der Migranten aus Afghanistan teilweise einseitig darstellen. So wird pauschal von einer prekären Sicherheitslage gesprochen, weshalb niemand nach Afghanistan abgeschoben werden könne.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gerade ausgeführt!)

Das trifft keineswegs zu. Vielmehr ist es so, dass die Sicherheitslage in Afghanistan von Region zu Region sehr unterschiedlich ist.

Es ist unbestreitbar: In bestimmten Gebieten – das haben wir eben auch gehört – ist die Lage sehr gefährlich. Afghanistan hat in vielen Bereichen Probleme. Aber wie das Auswärtige Amt schon mehrmals betont hat, gibt es auch Gebiete, in denen die Situation anders, besser ist, nämlich dort, wo unterschiedliche Volksgruppen wie Paschtunen, Usbeken oder andere weitestgehend unter sich bleiben. Es kommt stets auf den Einzelfall an, ob eine Rückführung in eine sichere Region möglich ist. Das und nichts anderes soll angesichts der steigenden Zahlen von Asylbewerbern aus Afghanistan künftig genauer geprüft werden.

(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine weitere Tatsache sollten wir in der heutigen Debatte nicht ausblenden. Deutschland und andere Länder unterstützen Afghanistan bei der Bewältigung der vorhandenen Probleme massiv. Allein Deutschland stellt dafür jedes Jahr Hunderte Millionen Euro als Entwicklungshilfe zur Verfügung und unterstützt die afghanischen Streitkräfte. Für 2016 sind das 250 Millionen Euro Entwicklungshilfe. Weitere 180 Millionen Euro kommen für den zivilen Wiederaufbau und 150 Millionen Euro für die nationalen Sicherheitskräfte hinzu. Die Unterstützungsmission der Bundeswehr, wodurch vor Ort die Sicherheitskräfte ausgebildet werden, wurde auf 980 Soldaten erhöht. Auch darüber haben wir eben gesprochen.

Insgesamt ist das ein deutliches Signal an die afghanische Regierung und an die afghanische Bevölkerung. Wir lassen Afghanistan jetzt und auch in Zukunft nicht im Stich, weder in der Übergangsphase noch beim Wiederaufbau. Wir lassen Afghanistan nicht allein. Im Gegenzug – da pflichte ich dem Bundesinnenminister vollkommen bei – können wir erwarten, dass die Afghanen selbst und vor allem die Jugend am Wiederaufbau des Landes mitwirken. Wie wichtig das ist, zeigt eine Kampagne einer Gruppe junger Afghanen mit dem Namen „Afghanistan needs you“. Die Initiatoren sagen selbst: Es kann nicht sein, dass der Wegzug der Jungen das Land in die Krise stürzt. Die letzten 15 Jahre dürfen nicht umsonst gewesen sein.

Es trifft sehr wohl zu, auch wenn die Opposition das immer wieder bestreitet: Seitdem es den massiven Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland gibt und in den Medien pausenlos darüber berichtet wird, machen sich immer mehr Menschen aus Afghanistan auf den Weg, darunter auch viele, die nicht gefährdet sind, die der Mittelschicht angehören und für den Wiederaufbau dringend gebraucht werden. Wie die Bundeskanzlerin und auch der afghanische Präsident gestern gemeinsam betont haben, müssen wir gegen diesen Trend der illegalen Migration vorgehen.

Deutschland wird seiner humanitären Verantwortung gerecht. Selbstverständlich helfen wir Afghanen, die für die Bundeswehr oder andere deutsche Einrichtungen gearbeitet haben und deswegen nun in Gefahr sind. Diejenigen jedoch, die allein aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, müssen wir nach Afghanistan zurückschicken.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen. Unsere Aufgabe ist es doch auch, die Menschen, die sich zu uns auf den Weg machen, über alle Folgen der Flucht aufzuklären. Das hat nichts mit Abschreckung zu tun, sondern ist ehrlicher und menschlicher, als falsche Hoffnungen zu wecken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Grund für die gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern aus Afghanistan falsche Gerüchte und Lügen über die Flucht nach Deutschland sind. Schleuser streuen insbesondere in den sozialen Medien gezielt Falschinformationen, um ihr kriminelles Geschäft zu beleben. Dazu gehört etwa die falsche Behauptung, dass Flüchtlinge in Deutschland sofort eingebürgert werden. Richtigerweise geht das Auswärtige Amt dagegen mit einer Aufklärungskampagne vor; denn es ist wichtig, die Menschen darüber zu informieren, was sie auf der Flucht und in Deutschland erwartet.

(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wir müssen verhindern, dass sie mit völlig falschen Erwartungen ihre Existenz und ihre Heimat aufgeben. Auch Staatspräsident Ghani hat gestern betont, seine Landsleute müssten „ein realistisches Bild von Deutschland erhalten, wo die Straßen mitnichten mit Gold gepflastert sind“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich deshalb noch einmal ganz deutlich sagen: Ein Abschiebestopp und eine pauschale Anerkennung für Asylbewerber aus Afghanistan mit mindestens subsidiärem Schutz wären ein völlig falsches Signal. Ich möchte nicht bestreiten, dass es in Afghanistan Gegenden gibt, in denen geschlechtsspezifische Gewalt und die Ausgrenzung von Frauen oder andere schlimme Dinge geschehen. Doch das trifft eben nicht bei jedem zu, der nach Deutschland kommt. Deswegen brauchen wir genaue und zügige Einzelfallprüfungen sowohl bei der Schutzbedürftigkeit als auch bei der Rückführung. Falsch wäre auch der Verzicht auf Widerrufsprüfungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den die Opposition ebenfalls fordert.

Zu einem gerechten Asylsystem gehört, dass in regelmäßigen Abständen überprüft wird, ob die Schutzgründe im Einzelfall weiterhin vorliegen oder ob eine Rückkehr unter Würdigung aller Umstände möglich ist. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Anwendung unseres geltenden Rechts.

Neben diesen Aspekten müssen wir dazu beitragen, dass die Menschen in Afghanistan innerstaatliche Flucht­alternativen haben. Das tun wir bereits durch unser Engagement zur Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte, durch Entwicklungshilfe und nicht zuletzt auch durch eine von Deutschland mitinitiierte und vom UNHCR koordinierte Strategie zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingsrückkehrern und Binnenvertriebenen. Dazu gehören unter anderem beschäftigungsorientierte Bildungsprogramme für bis zu 180 000 junge Menschen sowie Alphabetisierungskurse für Frauen.

Vor diesem Hintergrund ist auch das europäische Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan zu sehen. Hier geht es um ein geordnetes Verfahren, womit wir den Menschen eine Möglichkeit geben, in ihre Heimat zurückzukehren, und wodurch sie die notwendige Unterstützung bekommen, dort auch wieder Fuß zu fassen. Viele andere Länder haben solche Abkommen bereits mit Afghanistan geschlossen.

Meine Damen und Herren, das ist der Kurs, den wir, die Union, in Bezug auf Afghanistan verfolgen. Es ist ein Kurs, der stets die humanitäre Verantwortung Deutschlands, aber genauso auch die Akzeptanz unseres Asylsystems durch unsere Bürgerinnen und Bürger im Blick hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Kollegin Warken. – Nächste Rednerin in der Debatte: Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6245581
Wahlperiode 18
Sitzung 143
Tagesordnungspunkt Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan
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