Sebastian HartmannSPD - Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr passend, dass die jetzige Debatte direkt an die Debatte zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt anknüpft. Denn wir werden dadurch noch einmal damit vertraut gemacht, dass Innen- und Außenpolitik untrennbar miteinander verknüpft sind. Wir leiten allerdings unterschiedliche Schlüsse daraus ab, Frau Kollegin Jelpke. Ich werde auf Ihre Position auch eingehen; denn es tut not, das zu differenzieren.
Zunächst einmal ist es entscheidend, dass es einen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan gibt. Wir haben die unterschiedlichen Entwicklungen über die Jahre verfolgen müssen. Das sage ich in aller Klarheit, die das Auswärtige Amt uns auch gibt. Wir, die SPD-Fraktion, nehmen diese Berichte sehr ernst; denn sie sind auch die Maßgabe unseres Handelns. Wir nehmen das nicht nur einfach als regierungsamtliche Dokumentation zur Kenntnis, sondern daraus ergibt sich auch unsere Positionierung.
Wir wissen auch, dass sich die Menschenrechtssituation nur sehr, sehr langsam verbessert hat. Aber es gibt einen Unterschied zu 2001, und auch das muss man einmal sagen: Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr, auch wenn dies schwieriger wird.
Die Situation von Frauen, die in der Region insgesamt schwierig ist, ist ebenso wie die Problematik des Innen- und Justizsystems angesprochen worden. Die humanitäre Situation in Afghanistan ist in keiner Weise bestritten worden. Auch aufgrund dessen hat die vorherige Debatte stattgefunden und zu einer entsprechenden Entscheidung der Großen Koalition geführt.
Aber es gibt einen Unterschied je nach Sicherheitslage in den einzelnen Gebieten Afghanistans, und wir haben entsprechende Anstrengungen unternommen. Das machen zum Beispiel die Berichte des BMZ deutlich.
Für uns ist die militärische Option keine ausschließliche und nicht die einzige. Tatsächlich wird sie in eine gesamtpolitische Strategie eingebettet.
Frau Merkel hat zu Recht gesagt: Deutschland hat sich dem Wohlergehen aller Afghaninnen und Afghanen verpflichtet. Das haben wir nicht nur hier vor Ort zu tun, sondern auch in Afghanistan. Daraus leiten wir auch unsere internationale Verantwortung ab.
Aber wir belassen es nicht bei einem Lippenbekenntnis. Wir bringen auch entsprechende Sicherheitskräfte zur Ausbildung und kümmern uns darum, dass sich die Sicherheitslage vor Ort verbessert. Deutschland hat einen entsprechenden Beitrag geleistet und ist seinen internationalen Verpflichtungen nachgekommen. Dass über 55 Soldaten der Bundeswehr, die gekämpft und Verantwortung übernommen haben, verwundet wurden oder gefallen sind, spricht eine sehr deutliche Sprache. Auch das zeigt, was Deutschland hier getan hat.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat sich das geändert?)
Sie haben von Zynismus gesprochen. Tatsächlich sind Sie inkonsequent. Wenn Sie einerseits gegen ein militärisches Engagement sind und andererseits die Taliban und die verschärfte Sicherheitslage in Afghanistan als Grund dafür nennen, dass sich die Flucht verstärkt, dann ist das in sich inkonsequent; denn entweder tun wir vor Ort etwas, dass Flucht nicht notwendig ist,
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ging doch nach hinten los!)
und nehmen unsere internationale Verantwortung wahr, oder wir machen es uns so einfach wie Sie, die Sie am Ende der Debatte über den vorangegangenen Tagesordnungspunkt gegen ein militärisches Engagement gestimmt haben, um dann anschließend keine Abschiebungen zu fordern, weil Flucht die einzige Möglichkeit ist, dem Wüten der Taliban oder anderer Terrorgruppen in Afghanistan zu entkommen. Das bezeichne ich als zynisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wenn Sie das als internationalen Maßstab an jeden Konflikt anlegen, dann würde ich Ihre Position zur Krim gerne hinterfragen, meine Damen und Herren von der Linken.
(Frank Tempel [DIE LINKE]: Dann fragen Sie doch!)
Die Position zu Merkel und Ghani habe ich dargelegt. Es ist wichtig, dass Deutschland mittlerweile mit einem souveränen Staat Afghanistan verkehrt und dass wir Gespräche darüber führen, wie wir die Sicherheitslage vor Ort verbessern können. Wenn Sie sich generell für einen Abschiebestopp aussprechen, dann bedeutet das, dass das Asylverfahren gar nicht mehr durchgeführt werden muss. Aber wir wollen eine Einzelfallprüfung.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dafür spricht doch die Anerkennungsquote!)
– Die Anerkennungsquote spricht dafür, dass es ein geordnetes, rechtsstaatliches Verfahren gibt. Die geringe Anzahl derjenigen, die zurückgeführt werden, bedeutet, dass es keine pauschale Gruppenprüfung gibt und dass wir entsprechenden Schutz zuweisen.
Reden wir konkret über die Anzahl der Abschiebungen. 2010 wurden 16 Abschiebungen, 2011 zwölf Abschiebungen, 2012 neun Abschiebungen, 2013 acht Abschiebungen und 2014 ebenfalls neun Abschiebungen vorgenommen. Für uns, die SPD-Fraktion, gibt es überhaupt keinen Anlass zur Abkehr von der Einzelfallprüfung und der Zuerkennung eines besonderen Schutzes für einzelne, gefährdete Gruppen, wie sie von den Grünen und der Linken genannt wurden. Darin besteht großes Einvernehmen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum gibt es dann aktuell diese Anträge?)
Wenn sich die Parteivorsitzenden allerdings auf eine bestimmte Vereinbarung einigen, dann ist das Ergebnis durch diese Vereinbarung nicht vorweggenommen. Tatsächlich lautet der vollständige Beschluss:
Deutschland wird sich weiterhin an der Stabilisierung von Afghanistan beteiligen, sein finanzielles Engagement zur Entwicklung des Landes aufrechterhalten und gemeinsam mit den USA und weiteren Partnern auch sein militärisches Engagement in Afghanistan verlängern.
Das bedeutet gerade nicht Flucht vor der Verantwortung. Weiter heißt es:
Wir wollen zur Schaffung und Verbesserung innerstaatlicher Fluchtalternativen beitragen und vor diesem Hintergrund
– man muss das im Zusammenhang lesen –
die Entscheidungsgrundlagen des BAMF überarbeiten und anpassen. Dies ermöglicht auch eine Intensivierung der Rückführungen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir sind doch nicht blöd!)
Aber das eine bedingt das andere. Aus der Sicherheitslage vor Ort ergibt sich überhaupt erst eine Änderung der Rechtspraxis. Umgekehrt wäre das völlig falsch interpretiert. Sie dürfen diese Chimäre nicht aufbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der Linken.
Wir werden das alles immer unter Berücksichtigung der Sicherheitslage vor Ort tun. Wir werden die Berichte des Auswärtigen Amtes immer als Maßgabe nehmen, wenn wir zu solchen Punkten kommen. Selbst wenn es zu einer Einigung zwischen der deutschen Regierung und Afghanistan kommen sollte und entsprechende Rückführungsabkommen geschlossen würden, wie sie übrigens andere europäische Staaten haben, die weiterhin Asyl- und Bleibegründe im jeweiligen nationalen oder europäischen Rechtsrahmen kennen, bleibt es uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern überlassen, darüber noch einmal gesondert zu befinden. Aber wir werden aus einer besonders hohen Anerkennungsquote bei denjenigen, die zu Recht bleiben können, nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass ein pauschaler Abschiebestopp notwendig ist; denn dann kann man sich das ganze Verfahren schenken und braucht kein Vertrauen in das rechtsförmige Verfahren eines Rechtsstaates zu haben, der Asyl als Grundrecht für jeden anerkennt, dem dieses nachweisbar zusteht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Abschließend möchte ich noch zu einem weiteren Punkt kommen. Wenn man anerkennt, dass die Lage in Afghanistan schwierig ist und dass sich die Sicherheitslage nur sehr mühsam und langsam verbessert, man sich aber zugleich weigert, internationale Verantwortung dadurch zu übernehmen, dass man auch einer militärischen Beistandsverpflichtung nachkommt, dann kann man es sich nicht so einfach machen und sagen: Wir waren gegen den Krieg, wir waren gegen ein militärisches Engagement und setzen uns deswegen nicht für die Bevölkerung in Afghanistan ein, die Schutz und internationale Unterstützung braucht.
Denn das bedeutet, dass es dann, wenn man weder für den militärischen Beistand noch für die Zusammenarbeit im Entwicklungsbereich ist, nur eine einzige Alternative für die Menschen in Afghanistan gibt, die fliehen wollen, nämlich dass sie ihr Hab und Gut verkaufen, das Wenige, das sie haben, nehmen, sich in die Hände zumeist krimineller Schleuser begeben und möglicherweise auf dem Weg hierhin ihr Leben verlieren. Ehrlicher ist es, zu sagen, dass das der Weg nicht sein kann.
Wir sagen sehr deutlich: Wir wollen, dass sich die Sicherheitslage vor Ort verbessert, wir wollen dafür sorgen, dass es überhaupt keinen Fluchtgrund mehr gibt.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: 5 000 Tote und Verletzte allein in diesem Jahr!)
Wer den Abschiebestopp fordert, aber auf der anderen Seite nicht bereit ist, internationale Verantwortung zu übernehmen, der ist der denkbar schlechteste Anwalt für die Rechte der Menschen in Afghanistan.
Deswegen sehen wir in aller Ruhe den Verhandlungen zwischen der deutschen und der afghanischen Regierung entgegen. Wir wissen, dass dort entsprechende Kenntnisse vorliegen. Die Anfragen sind hier im Plenum beantwortet worden. Das ist die Grundlage für die weiteren Beratungen auch im Innenausschuss. Ich sage Ihnen zu, dass wir, die SPD-Fraktion – ich bin mir sicher, dass das für die gesamte Große Koalition gilt –, uns die Entscheidung nicht einfach machen; denn wir wollen die Sicherheit der Menschen vor Ort garantieren, und wir werden niemanden ohne ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren – Einzelfallprüfung und Rechtsschutz – abschieben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Kollege Sebastian Hartmann. – Letzte Rednerin in dieser Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6245646 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan |