03.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 143 / Tagesordnungspunkt 9

Andrea LindholzCDU/CSU - Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beide Anträge der Opposition zielen im Kern darauf ab, jedem afghanischen Asylbewerber pauschal ein Bleiberecht einzuräumen. Sie begründen das mit der prekären Sicherheitslage in Afghanistan. Ich frage mich, warum Sie diese Forderung nur für Afghanistan aufstellen. Genauso gut könnten Sie auch ein pauschales Bleiberecht für alle Asylbewerber aus Nigeria oder Mali fordern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Schließlich werden auch manche Gebiete in diesen Ländern von islamistischen Milizen beherrscht.

Laut dem heute in Berlin vorgestellten UN-Weltbevölkerungsbericht leben weltweit 1 Milliarde Menschen in Konfliktgebieten. Ein pauschales Bleiberecht, wie Sie es für bestimmte Staatsangehörige fordern, ist unverantwortlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deutschland wird dieses Jahr wohl 1 Million Asylbewerber aufnehmen. Das sind fünfmal mehr als im Vorjahr. Eine der Ursachen ist auch, dass wir für syrische Flüchtlinge ein pauschales Bleiberecht umgesetzt haben, das wir jetzt zu einer Einzelfallprüfung hin korrigieren müssen. Inzwischen sollte jedem klar sein, dass Deutschland den Flüchtlingszustrom, den wir in diesem Jahr erlebt haben, nicht dauerhaft bewältigen kann. Viele deutsche Kommunen haben längst ihre Belastungsgrenze erreicht.

Sogar die humanitäre Großmacht Schweden hat inzwischen die Notbremse gezogen. Stockholm hat die Asylrechtsverfahren extrem verschärft und strikte Grenzkontrollen eingeführt. Der schwedische Botschafter hat in dieser Woche hier vor den Europapolitikern der Union ausdrücklich für ein Umdenken in der Asylpolitik plädiert. Schweden kann, so seine Aussage, keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Auch Schweden hat erkannt, dass man Fehlanreize, die die Menschen dazu veranlassen, zu uns zu kommen, abschaffen muss.

Ihre Anträge würden die Politik der Fehlanreize fortsetzen, anstatt sie zu korrigieren. Sie würden weiterhin falsche Signale aussenden, sie würden Hoffnungen wecken, die wir so nicht erfüllen können.

Jeden Monat verlassen Tausende Afghanen ihr Land und zahlen für die Reise nach Europa bis zu 10 000 Dollar an die Schleusermafia. Mit Ihren Anträgen spielen Sie auch den kriminellen Schleusern in die Hände.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt weltweit über 60 Millionen Flüchtlinge. Wir müssen angesichts dieser Dimension ganz eindeutig klarstellen, dass unser Asylrecht – hierum geht es – nur im begründeten Einzelfall helfen kann.

(Zuruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])

– Da nützt Ihre Schreierei auch nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Asyl ist und bleibt ein Individualrecht, und es ist kein Recht, auf das sich ganze Völker berufen können. Deswegen fordert weder der Bundesinnenminister noch die Unionsfraktion, das Asylrecht oder gar die Einzelfallprüfung für bestimmte Gruppen aufzuheben. Im Gegenteil: Wir fordern eine Einzelfallprüfung für alle Asylbewerber, egal ob Afghanen oder Syrer. Wir wollen, dass endlich wieder europäisches und nationales Asylrecht konsequent angewendet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kriegt ihr nicht hin!)

Das bedeutet im Übrigen, dass Schutzberechtigte natürlich bei uns bleiben dürfen und die, die abgelehnt wurden, unser Land verlassen müssen.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst das kriegt ihr nicht hin! 320 000 Anträge liegen beim BAMF!)

Ja, die Sicherheitslage in Afghanistan ist schwierig. Die Bundeswehr unterrichtet den Innenausschuss darüber regelmäßig. Auch der letzte Bericht betont, dass die Bedrohungslage landesweit sehr unterschiedlich ist. Die aktuell tagende Innenministerkonferenz ist sich darüber einig – zumindest sind das die ersten Pressemeldungen –, dass eine Rückführung in sichere Gebiete Afghanistans grundsätzlich möglich ist.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Und welche sind das?)

Die Sicherheitslage erlaubt dies in einigen Gebieten, und die Innenministerkonferenz bittet die Bundesregierung ausdrücklich, die Rahmenbedingungen für Rückführungen und freiwillige Ausreisen durch Absprachen mit der afghanischen Regierung und dem UNHCR zu verbessern und auch zu Einzelfallprüfungen zurückzukehren.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn die sicheren Gebiete, Frau Lindholz? Die kann man ja mal nennen!)

An dieser Innenministerkonferenz nehmen meines Wissens nicht nur Innenminister der Union teil.

(Rüdiger Veit [SPD]: Gott sei Dank werden es immer weniger!)

Deutschland engagiert sich darüber hinaus massiv für mehr Sicherheit und Stabilität in Afghanistan. Den zivilen Wiederaufbau unterstützen wir mit 430 Millionen Euro pro Jahr. Deutschland hat die Leitung der EU-Polizeiausbildungsmission übernommen und stellt eines der größten Kontingente der insgesamt 12 000 Mann starken NATO-Unterstützungsmission in Afghanistan.

Am Dienstag hat der NATO-Rat beschlossen, den Truppenabzug weiter zu verzögern und die aktuellen militärischen Kräfte mindestens bis Ende 2016 im Land zu belassen. Auch wir werden unser Kontingent aufstocken. Denn es muss unser Ziel bleiben, dass die Afghanen eigenverantwortlich für die Sicherheit ihres Landes sorgen. Auch das ist eine aktive Bekämpfung von Fluchtursachen.

Die Bewertung, ob eine Abschiebung zulässig ist oder nicht, obliegt aus gutem Grund nicht uns, sondern in jedem Einzelfall der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aber die Vorgaben macht das BMI!)

Die Schutzquote für afghanische Bewerber lag bis Oktober bei rund 45 Prozent. Aktuell sind rund 7 700 Afghanen ausreisepflichtig. Der Kollege von der SPD hat gerade die Zahlen zur tatsächlichen Abschiebung in diesem Jahr und in den vergangenen Jahren ausgeführt. Man sieht daran eben ganz genau, dass wir unserer Verantwortung im Rahmen der Einzelfallentscheidung nachkommen und daher auch keine pauschalen Behandlungen einzelner Gruppen beschließen sollten.

Die mangelhafte Durchsetzung der Ausreisepflicht ist ein strukturelles Problem, das wir aktuell im deutschen Asylsystem haben. Das Rückübernahmeabkommen der EU mit Afghanistan, das im Übrigen auch andere Länder schon abgeschlossen haben, wäre ein weiterer sinnvoller Schritt, der in erster Linie der Durchsetzung unseres Asylrechts dienen würde.

In unserer Debatte sollte es grundsätzlich nicht darum gehen, pro oder kontra Flüchtlinge zu argumentieren.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach, das ist ja ganz neu!)

Entscheidend ist die Frage, wie wir unsere begrenzten Mittel einsetzen. Die Wirtschaftsweisen prognostizieren uns, dass die Versorgung der Asylbewerber im nächsten Jahr bis zu 14,3 Milliarden Euro kosten könnte. Das wiederum wäre fast doppelt so viel wie der Etat des Bundesentwicklungsministeriums. Die Hilfe vor Ort ist – das weiß wirklich jeder von uns – um ein Vielfaches effektiver als die Hilfe in Deutschland. Wir müssen daher immer wieder schauen, wo und in welchem Umfang wir Hilfe leisten und worauf wir unseren Fokus richten. Deutschland engagiert sich deshalb auch in Mali, im Irak und in Afghanistan.

Bundeswehrsoldaten riskieren ihre körperliche und seelische Gesundheit nicht nur für ihr Land, sondern vor allem auch für die Sicherheit der Bevölkerung vor Ort. Ihnen gebühren heute unser Dank und unsere Anerkennung. Ihre Anträge ignorieren diesen Einsatz vollständig. Wir haben im Tagesordnungspunkt zuvor über eine Verlängerung des Einsatzes gesprochen. Insgesamt sind Ihre Anträge an vielen Stellen nicht zielführend und werden von uns daher abgelehnt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit schließe ich die Aussprache.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6245677
Wahlperiode 18
Sitzung 143
Tagesordnungspunkt Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan
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