Michael Roth - Bundeswehreinsatz Mittelmeer (OAE)
Guten Abend, liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen!
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guten Abend, Herr Staatsminister!)
In diesen Tagen diskutieren wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und in der Welt über Solidarität und militärischen Beistand unter Partnern. Die Frage, ob und wie wir unsere französischen Freunde nach den brutalen Anschlägen von Paris auch militärisch im Kampf gegen den Terror unterstützen wollen, beschäftigt uns diese Woche hier im Deutschen Bundestag ganz besonders intensiv. Fast erscheint es wie ein Déjà-vu; denn vor 14 Jahren haben wir in diesem Hohen Hause schon einmal über eine militärische Operation beraten, die eine unmittelbare Antwort auf den islamistischen Terror war, nämlich auf die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und in Washington.
Damals hat die NATO zum ersten und bislang einzigen Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags ausgerufen. In der Folge wurde im Oktober 2001 die Operation Active Endeavour ins Leben gerufen, um durch eine Überwachung des Mittelmeerraums die Terrorgefahr an der Südflanke der NATO abzuwehren. Seitdem – Sie wissen das mindestens genauso gut wie ich – ist diese Operation mehrfach verlängert worden.
Aktuell schätzt die Bundeswehr die terroristische Bedrohung im Mittelmeerraum als eher abstrakt ein, und es stellt sich die Frage: Warum brauchen wir die Operation auch noch im Jahr 2015 und länger?
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Richtige Frage!)
Dazu möchte ich drei Begründungen formulieren:
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Eine würde mir schon reichen!)
Erstens. Wir sollten uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Wie schnell aus einer abstrakten Bedrohung ein konkreter Anschlag werden kann, das haben wir zuletzt auf ganz dramatische Weise erlebt. Nicht nur in Paris, auch in Tunesien, in Ägypten, im Libanon und in der Türkei sind Hunderte Menschen dem islamistischen Terror zum Opfer gefallen. Nicht nur die Anschlagsziele liegen in Ländern, die unmittelbar an das Mittelmeer grenzen. Das gilt ebenso für die Gebiete, in denen Terroristen rekrutiert und ausgebildet werden.
(Marcus Held [SPD]: Sehr richtig!)
Die Gefahren des internationalen Terrorismus für unsere europäischen Gesellschaften sind heute so präsent wie vermutlich selten seit 2001.
Zweitens. Die Sicherheitslage im Mittelmeer ist seit 2001 vielschichtiger, ich könnte auch sagen, komplizierter geworden. Organisierte Kriminalität, Schlepper, Schleuser sowie eine zunehmende und nur schwer zu berechnende Präsenz Russlands im Mittelmeer sind Entwicklungen, über die wir uns ein umfassendes Bild verschaffen müssen, auch um uns notfalls vor daraus erwachsenden Gefahren zu schützen.
Drittens. Der internationale Terrorismus bedroht – auch das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren – nicht nur unsere Sicherheit, sondern auch eine der wichtigsten Lebensadern unseres wirtschaftlichen Wohlstands.
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Daher weht der Wind!)
Das Mittelmeer hat für Deutschland als Transport- und Handelsweg eine überragende Bedeutung. 300 Millionen Tonnen Fracht wurden allein 2014 auf dem Seeweg aus und nach Deutschland importiert und exportiert. Der größte Teil der Handelsrouten nach Asien verläuft eben durch das Mittelmeer. Wir sind also auch im Mittelmeer wirtschaftlich verwundbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Punkte verdeutlichen: Es gibt auch heute noch nachvollziehbare, gute Gründe, die Operation Active Endeavour fortzusetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Klar ist aber auch – darüber sollten wir reden, und darüber reden wir ja auch schon seit längerem –: Die Operation muss inhaltlich und konzeptionell weiterentwickelt werden, und sie muss sich den veränderten Anforderungen anpassen. Denn die ursprüngliche Ausrichtung der Operation aus dem Jahr 2001 wird der Einsatzrealität nicht mehr gerecht. Heute benötigen wir ein viel breiteres Einsatzprofil, um die vielschichtigen Risiken und die Bedrohungen im Mittelmeer noch stärker in den Blick nehmen zu können.
Das heißt also: weg vom robusten Mandat der Anfangszeit hin zu einer breitaufgestellten Lagebilderstellung und der Schaffung einer Plattform zur Zusammenarbeit vor allem mit den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeeres und anderen Nationen, die sich an dieser Operation beteiligen.
Ein weiteres Gravamen – darüber haben wir auch intensiv mit Ihnen gesprochen – ist die Rechtsgrundlage, die seit 2001 gilt. Diese beruht immer noch auf dem NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Das ist 14 Jahre nach den Terroranschlägen in den USA schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb setzt sich die Bundesregierung seit mehreren Jahren dafür ein, das Einsatzprofil zeitgemäß auszugestalten und die Operation von Artikel 5 des NATO-Vertrags zu entkoppeln.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen haben diesen Prozess im Februar 2014 angestoßen. Wir haben uns dazu mit dem NATO-Generalsekretär in Verbindung gesetzt. Seitdem haben wir in Brüssel und in den Hauptstädten unserer NATO-Partner intensive Überzeugungsarbeit geleistet.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und das Ergebnis?)
Wir werben dafür, die Operation in eine maritime Sicherheitsoperation der NATO umzuwandeln.
(Inge Höger [DIE LINKE]: Besser wäre, sie würde beendet!)
Diese soll sich dem spezifischen Bedarf im Mittelmeer anpassen. Sie muss für jedes Aufgabenfeld auf einer soliden rechtlichen Grundlage stehen.
Dafür bietet sich die maritime Strategie der NATO aus dem Jahr 2011 an. Diese beruht auf insgesamt sieben Sicherheitsaufgaben. Diese sieben Aufgaben der sogenannten maritimen Sicherheitsstrategie sind nicht gleichermaßen relevant für das Mittelmeer. Deshalb sollte das künftige Operationsprofil eine Auswahl vornehmen: zwischen aktiv wahrzunehmenden Aufgaben einerseits und ruhenden Aufgaben andererseits. Letztere sind nur bei nachvollziehbarer und konkreter Notwendigkeit einzeln durch einen Beschluss aller 28 NATO-Mitglieder zu aktivieren.
Sie haben mich vorhin danach gefragt, Herr Kollege Gehrcke: Unsere Bemühungen waren erfolgreich. Am 3. Juli 2015 haben die NATO-Bündnispartner einvernehmlich die Umwandlung der Operation im Grundsatz beschlossen. Die Umsetzung dieses Kompromisses, der auch die Entkopplung von Artikel 5 des NATO-Vertrags vorsieht, ist damit auf einem guten Weg. Nun müssen wir noch einen neuen Operationsplan erstellen. Das soll bis zum NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli des nächsten Jahres gelingen.
Um diese Arbeiten abschließen zu können, bitten wir Sie um Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung unter unveränderten Bedingungen. Wir werden aber die Laufzeit dieses Mandates bis zum 15. Juli 2016 begrenzen. Damit signalisieren wir gegenüber dem Bündnis, aber auch Ihnen gegenüber die ganz klare Erwartung: Die Umwandlung der Operation muss bis zum NATO-Gipfel in Warschau im Juli abgeschlossen sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn das geschehen ist, werden wir uns erneut mit einem Mandatsantrag an den Bundestag wenden. Bis dahin bitte ich Sie um Unterstützung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Alexander Neu für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6245697 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz Mittelmeer (OAE) |