Franziska BrantnerDIE GRÜNEN - Lebenssituation von Alleinerziehenden
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Häufig schreiben mir Mütter und Väter – übrigens fast gleichermaßen Väter wie Mütter –, die für ihre Kinder allein verantwortlich sind. Sie fragen: Warum bekomme ich weniger Geld vom Staat, obwohl ich meine Kinder allein ernähre und betreue? Warum organisiere und bezahle ich eine Kinderbetreuung, damit ich Vollzeit arbeiten kann, wenn es am Ende des Monats dann doch nicht für den Urlaub mit dem Kind reicht?
Was sollen wir diesen Müttern und Vätern antworten? Dass wir alle wissen, dass das aktuelle System ungerecht ist, und wir es trotzdem nicht ändern? Sollen wir ihnen antworten, dass wir alle Studien dazu haben und alle Studien ihnen recht geben, wir aber trotzdem nicht handeln?
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Tja, so ist es ja wohl!)
Was sollen wir diesen Müttern und Vätern eigentlich antworten?
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da muss man mal zur Union gucken!)
Dass wir – natürlich zu Recht – 275 Millionen Euro für die Erhöhung des Kindergeldes ausgegeben haben, den Kinderzuschlag aber nicht wirklich reformiert haben? Oder dass es uns immer noch nicht gelungen ist, den Unterhaltsvorschuss so zu reformieren, dass es diese absurden Altersgrenzen und die Begrenzung der Bezugsdauer nicht mehr gibt? Es kann doch wirklich keiner von uns begründen, warum ein 14-jähriges Kind diese Leistung nicht mehr bekommen soll, ein 11-jähriges Kind aber schon. Ich habe bis jetzt keine Antwort auf diese Frage gehört.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wie ich sehe, ist der Herr Ausschussvorsitzende gerade nicht da.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch, ich bin hier drüben! – Gegenruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr unhöflich!)
– Ich wollte gerade etwas zu Ihnen sagen, Herr Lehrieder.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Dann setze ich mich wieder hin!)
Herr Lehrieder, die Höhe der Rückholquoten ist sehr unterschiedlich – Frau Zollner hat das schon gesagt –, und das ist natürlich ein Problem. Ich würde mir wünschen, dass wir, wenn wir die Anhörungen durchführen, Experten einladen, die sich zur Frage äußern, wie man die Rückholquote verbessern kann; denn hier gibt es einen Missstand. Er hängt zwar von den Verhältnissen in den Bundesländern und vor Ort ab, aber es gibt hier auch gemeinsame Schwierigkeiten, über die wir nicht nur diskutieren sollten, sondern die wir endlich auch angehen müssen. Wir könnten es hier in diesem Hause doch vielleicht wirklich schaffen, gemeinsam Reformvorschläge einzubringen, um wenigstens bei diesem Aspekt voranzukommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Da wir über Geld sprechen, möchte ich kurz auch noch eine aktuelle Reform ansprechen. Es wird gerade die Reform und die Vereinfachung der Grundsicherung diskutiert. Das betrifft zwar nicht primär unseren Haushalt, aber wenn man weiß, dass jedes zweite Kind, das im ALG-II-Bezug ist, in einem Ein-Elternteil-Haushalt aufwächst, dann ist auch klar, wie sehr es dabei auch um diese Gruppe geht.
Es bietet sich hier die Chance, diese Reform dazu zu nutzen, die Situation der Alleinerziehenden und auch der Elternteile, die sich die Erziehung partnerschaftlich aufteilen, zu verbessern und sie besserzustellen. Momentan besteht die Gefahr, dass es eher in die andere Richtung geht, dass nämlich durch die Reform jene Elternteile benachteiligt werden, die es schaffen, sich die Sorge um ihre Kinder nach ihrer Trennung wenigstens einigermaßen gleichmäßig aufzuteilen.
Ich glaube, wir haben hier wirklich eine Verantwortung, darauf zu schauen und zu sagen: Bei dieser Reform darf es nicht zu einer Schwächung der Alleinerziehenden kommen. Es darf keine negativen Anreize geben, sodass man sich die Sorge nicht teilt, sondern es muss einen Anreiz dafür geben, dass man es auch nach der Trennung gemeinschaftlich und partnerschaftlich schafft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dafür ist es notwendig, dass der Regelsatz nur dann hälftig gezahlt werden darf, wenn das Kind auch annähernd hälftig in beiden Haushalten lebt; denn dann gibt es auch einen Mehrbedarf für beide. Es ist nämlich nicht so, dass man als Mutter einen Raum weniger benötigt, nur weil der Vater in der anderen Hälfte der Zeit das Kind betreut. Die Miete für den Raum muss immer bezahlt werden. Auch die Milch wird schlecht – unabhängig davon, ob das Kind am nächsten Tag beim Vater ist –, sodass man sie neu kaufen muss. Deswegen gibt es hier Mehrbedarfe, wenn sich beide Elternteile die Erziehung gleichberechtigt aufteilen. Diese müssen dann auch entsprechend finanziell gewürdigt werden. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Wenn wir das in den Ausschüssen nicht erreichen, dann können wir einen erheblichen Schaden anrichten. Auch hier lautet mein Appell an uns alle: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Die Alleinerziehenden tragen sehr viel Verantwortung und schaffen Unglaubliches. Sie gehen permanent über ihre Grenzen. Lassen Sie uns diese Arbeit würdigen und ihnen das Leben nicht noch schwerer machen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Dr. Fritz Felgentreu von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6245857 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Lebenssituation von Alleinerziehenden |