03.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 143 / Tagesordnungspunkt 15

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Umsetzung des Inklusionsgebotes

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Werner, wenn diese Debatte so wichtig ist, dann erlauben Sie mir die Frage, warum nahezu alle, ich meine sogar, alle ordentlichen Mitglieder Ihrer Fraktion, die dem Ausschuss für Arbeit und Soziales angehören, heute mit Abwesenheit glänzen. Ich finde das eigenartig.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Werner [DIE LINKE]: Weil wir gegen den Bundeswehreinsatz demonstrieren!)

Wenn die Platzierung und die Länge dieser Debatte kritisiert werden, dann müssen wir ein wenig selbstkritisch feststellen, dass sie leider nach einem recht vorhersehbaren Muster abläuft. Die Opposition stilisiert sich zu einem einzig wahren Fürsprecher der Betroffenen, zeichnet das immer gleiche Bild von einer Koalition, die zu wenig tut, und von einem Deutschland, das in Fragen der Inklusion eher ein Entwicklungsland ist.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion und der Grünen, auch wenn Sie es nicht wahrnehmen wollen: Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit. Wir sind ganz gut unterwegs. Die Karawane zieht einfach weiter.

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Die CSU auf der Höhe der Zeit, alles klar!)

Wir alle, die wir uns mit der Inklusion beschäftigen, sind in ständigem Austausch mit den Betroffenen. Wir wissen sehr gut, wo es hakt, und wir wissen sehr gut, wo wir noch besser werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor allem weiß ich eines: Mit Ihrer Schwarzmalerei ist niemandem geholfen in diesem Land.

Das Inklusionsbarometer Arbeit, das in dieser Woche vorgestellt worden ist, hat unsere Fortschritte mit Zahlen untermauert. Wir haben momentan – die Kollegin Tack hat es erwähnt – eine Erwerbstätigkeit von mehr als 1,15 Millionen Menschen mit Behinderung. Das ist so viel wie nie zuvor. Das ist ein Rekord. Es ist auch richtig, dass das nicht spitze ist. Auch das zeigt das Inklusionsbarometer. Wir dürfen uns natürlich nicht ausruhen, aber das will ja auch keiner von uns.

Der Beteiligungsprozess zum Bundesteilhabegesetz war einmalig und richtungsweisend. So etwas hat es noch nie gegeben; übrigens auch nicht, als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, an der Regierung waren. Und während sich die grüne Fraktion immer wieder in ideologischen Diskussionen um Sonderwelten verliert, saßen im Ministerium längst behinderte und nicht behinderte Menschen auf Augenhöhe zusammen und haben sich Gedanken darüber gemacht, wie ein modernes Inklusionsrecht auszusehen hat.

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Waren Sie eigentlich bei der Diskussion auf den Inklusionstagen letzte Woche?)

Auch die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans ist für eine weitere erfolgreiche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wichtig. Auf den Inklusionstagen in der vergangenen Woche wurde der Arbeitsentwurf vorgestellt und breit diskutiert. Wenn Sie sich diesen Entwurf anschauen – knallige fast 140 Seiten –, dann werden Sie sehen: Untätigkeit kann man uns wirklich nicht vorwerfen. Es passiert so viel in unserem Land, Sie müssen es nur sehen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für eine Antwort auf Ihre Anfrage, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, bin ich der Bundesregierung im Übrigen wirklich dankbar.

Frau Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung der Kollegin Rüffer?

Ja, bitte.

(Katrin Werner [DIE LINKE], an die Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Frag mal, ob sie die Kritik der Verbände teilt!)

Sie stellen die Chancen behinderter Menschen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, und Ihre entsprechenden Ambitionen recht rosig dar. Ich habe in meinem Büro aktuell jemanden mit einer schweren Behinderung eingestellt, der in verschiedener Hinsicht Sonderbedarfe hat. Meine Büroleiterin ist seit drei Wochen damit beschäftigt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass das Arbeiten gelingen kann; das betrifft den Arbeitsvertrag usw., aber insbesondere auch die Ausstattung des Arbeitsplatzes. Das ist kein Einzelfall; darüber sind ganze Bücher geschrieben worden. Ich möchte jetzt gerne von Ihnen wissen: Was haben Sie ganz konkret vor, um diesem bürokratischen Wahnsinn – ich nenne das einmal so – ein Ende zu bereiten?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß gar nicht, wo Sie gehört haben, dass ich die Chancen behinderter Menschen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, als rosig bezeichnet hätte. Das ist überhaupt nicht der Fall. Sie haben mir offensichtlich überhaupt nicht zugehört.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz ehrlich, das hat sich auch nicht gelohnt! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber „Rekordwert“ hört sich gut an!)

Ich habe gesagt, dass die Erwerbsquote sehr hoch ist, dass das ein Rekordwert ist, aber dieser Wert selbstverständlich nicht spitze ist. Sie haben mich also ganz falsch zitiert, Frau Kollegin Rüffer. Selbstverständlich ist der bürokratische Aufwand hoch. Das ist völlig unbestritten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ist so, und zwar jedes Mal! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja – und?)

Sie haben mir nicht zugehört. Jetzt hören Sie einmal besser zu!

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerne! Ich hatte gefragt, was Sie konkret tun wollen!)

Dann können Sie vielleicht bessere Fragen stellen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollte wissen, was Sie dagegen tun!)

Ich bin der Bundesregierung für eine Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion wirklich dankbar. Sie bekennt sich nämlich klipp und klar zu den Werkstätten. Sie werden in der Antwort der Bundesregierung als wichtig für die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in das Arbeitsleben bezeichnet, also derjenigen, die wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt teilhaben können. Diese Klarstellung ist gut und richtig. Denn auch wenn Sie das nicht gerne hören: Die allermeisten Menschen sind gern in ihrer Werkstätte, sie fühlen sich dort wohl, und sie wehren sich heftig gegen all Ihre Wunschvorstellungen, die Werkstätten zuzusperren und alle 300 000 Beschäftigten dort auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schicken.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn gefordert?)

Vor ein paar Wochen hat mich der Werkstattrat der Lebenshilfe Regensburg im Bundestag besucht. Ich habe die Leute gefragt, was sie eigentlich von uns wollen. Da wurde einiges genannt, was wir in der Politik nicht unmittelbar regeln können. Eine Frau hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie schon merken, wenn andere Leute das Café verlassen, sobald sie hineingehen. Ein anderer Mann meinte, sie wollten nicht mehr von Grundschulkindern im Bus blöd angeredet werden, weil sie irgendwie anders aussehen oder sich anders bewegen. Sie wollen einfach als ganz normale Menschen wahrgenommen werden.

Für viele – dafür muss man gar nicht Kind sein – ist es immer noch schwer, mit Behinderungen und behinderten Menschen umzugehen. Sie wollen es richtig machen, aber sie haben Angst, es falsch zu machen. Deshalb ist es gut und richtig, dass eine zentrale Aussage der Antwort der Bundesregierung ist, dass man das Thema Bewusstseinsbildung nun in den Mittelpunkt stellen will.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn dieser Punkt, die Bewusstseinsbildung – Kollegin Tack hat es eben ausgeführt –, ist gerade für die Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt ganz wichtig.

Wir haben den Ausbau von Integrationsfirmen auf den Weg gebracht, und wir wollen das Budget für Arbeit über das Bundesteilhabegesetz bundesweit einführen. Aber das reicht natürlich nicht: Wir sind in letzter Konsequenz natürlich auf die Bereitschaft der Unternehmer angewiesen, Menschen mit Handicap einzustellen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war meine Frage!)

Ich will hier die Chance nutzen, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Natürlich kann man auch einem Menschen mit Schwerbehindertenausweis kündigen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, dass sie erst mal einsteigen können! Sie müssen die Bürokratie abbauen! Sie haben es nicht verstanden! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen klare Zuständigkeiten hinsichtlich der Finanzierung!)

Es ist nicht so, dass man ihn nicht mehr losbringt, wie es landläufig immer heißt. In den allermeisten Fällen geben die Integrationsämter durchaus das Okay.

Das von BMAS und Arbeitgebern getragene Projekt „Wirtschaft inklusiv“ – in dieser Woche wurde in Weiden, in meiner Heimat, der Oberpfalz, eine Halbzeit­bilanz gezogen – setzt genau an diesem Punkt an: Arbeitgeber informieren, Hemmschwellen abbauen, Chancen für Beschäftigung eröffnen. Ich halte wenig davon, Unternehmen zur Inklusion zu zwingen. Wir müssen sie davon überzeugen, und wir werden sie auch davon überzeugen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6246452
Wahlperiode 18
Sitzung 143
Tagesordnungspunkt Umsetzung des Inklusionsgebotes
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta