03.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 143 / Zusatzpunkt 3

Thomas BareißCDU/CSU - Änderung des Rechts des Energieleitungsbaus

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber verehrter Herr Lenkert, ich muss schon sagen: Wenn Sie solche Reden vor Ort halten und die Menschen auf diese Art und Weise verwirren, wundert es mich nicht, wenn wir mit dem Leitungsausbau nicht vorankommen. Wir können nur hoffen, dass hier andere anders reden.

In diesem Sinne haben wir heute große Gesetzgebungspakete zu verabschieden und wollen die Energiewende wirklich ein Stück weit voranbringen. Wir haben heute zwei große Themen vor uns. In der nachfolgenden Debatte geht es um das Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Wir wollen den Ausbau von KWK schrittweise weiter möglich machen und den Bestand sichern. Wir wollen damit auch eine verlässliche Säule neben den erneuerbaren Energien erhalten. Mit dem jetzigen Gesetzgebungspaket wollen wir mit dem Stromleitungsausbau weiter vorankommen. Das heißt, wir haben zwei große Pakete, die in Zukunft für sicheren und bezahlbaren Strom sorgen. Ich glaube, das ist ein großer Schritt, den wir im Rahmen der Energiewende machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen, meine Herren, ohne Stromnetze wird es keine Energiewende geben. Ich will nochmals betonen, welch großen Umbau wir in den nächsten Jahren vorhaben, und möchte das anhand von ein paar wenigen Zahlen beschreiben.

Vor 20 Jahren gab es in Deutschland circa 1 000 Erzeuger von Strom; heute haben wir über 1,8 Millionen Erzeuger. Früher floss der Strom nur in eine Richtung: von den Übertragungsnetzen über die Verteilernetze bis hin zum Verbraucher. Heute fließt der Strom in beide Richtungen. Wir verlieren in den nächsten sieben Jahren acht Kernkraftwerke; das heißt, wir verlieren 15 Prozent unserer gesamten Erzeugung, größtenteils im Süden unseres Landes. Demgegenüber werden wir in den nächsten sieben bis zehn Jahren über 35 Gigawatt an neuer Windleistung aufbauen, größtenteils im Norden. Das heißt, wir werden ein Drittel unserer gesamten Stromversorgung vom Süden auf den Norden umwälzen. Das wird eine enorme Herausforderung für unsere Stromnetze bedeuten. Deshalb müssen wir hier viel investieren.

All das macht deutlich: Wir kommen an einem weiteren Ausbau der Stromnetze nicht vorbei; ich wäre dankbar, wenn sich alle hier im Haus endlich einmal ohne Wenn und Aber dazu bekennen würden. Wenn wir das nicht tun, hat das enorme Folgen für die Netzstabilität. Wir bekommen Versorgungsengpässe, und die Kosten werden zusätzlich steigen.

Meine Damen, meine Herren, für uns gehören der Netzausbau und die Energiewende zwingend zusammen. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb haben wir bereits 2011 den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und gleichzeitig gesagt: Wir wollen mehr für den Netzausbau tun. – Wir haben damals das NABEG, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, und den Bundesbedarfsplan beschlossen und damit ein Bekenntnis zum Netzausbau in den nächsten Jahren abgegeben. Außerdem haben wir uns auf neue Leitungen festgelegt. Neue Stromtrassen mit einer Länge von über 2 800 Kilometern sollen gebaut und Leitungen mit einer Länge von 2 900 Kilometern ertüchtigt werden. Wir haben die Öffentlichkeitsbeteiligung ausgedehnt. Wir haben Verfahren beschleunigt und vereinfacht. Auch das waren wichtige Meilensteine beim Ausbau unserer Netze.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich habe die damalige Anhörung noch ganz gut im Kopf. Als wir damals die Experten gefragt haben, hieß es: Wir kommen beim Netzausbau schneller voran. – Damals hieß es sogar, wir könnten die Realisierungsphase von zehn Jahren auf fünf Jahre verkürzen. Leider hat sich das nicht ganz bewerkstelligen lassen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überhaupt nicht!)

Wir haben jetzt vor Ort gespürt, dass es enorme Pro­bleme und Akzeptanzschwierigkeiten gibt. Lieber Herr Krischer, auch das ist ein Thema, das uns alle bewegt. Ich habe mit vielen Bürgerinitiativen gesprochen, manch eine schwierige Diskussion geführt, immer für den Leitungsausbau vor Ort geworben und versucht, die Menschen dafür zu gewinnen. Was mich dort aber immer wieder geärgert hat, ist, dass manche politisch Verantwortlichen – ich möchte keine Partei nennen –

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CSU! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer zum Beispiel!)

den Menschen vor Ort immer wieder gesagt haben: Wir brauchen die Leitungen gar nicht. – Das haben wir auch eben wieder gehört. Es hießt manchmal auch: Durch die Leitungen fließt Braunkohlestrom, den wir nicht haben wollen. – Es hieß oftmals auch: Wir bauen autarke Systeme auf und brauchen deshalb keine neuen Leitungen. – Wenn man vor Ort solche Argumente anführt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann werden wir beim Leitungsausbau nicht vorankommen.

Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert?

Aber sehr gerne doch.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann verlängert sich die Redezeit!)

Herr Kollege Bareiß, ich habe der Studie des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, in der mit den Daten der Bundesnetzagentur gerechnet wurde, folgende Zahlen entnommen: Die Stromübertragungskapazität zwischen nord- und süddeutschen Regelzonen – sprich: dort, wo der Stromengpass besteht – beträgt 21 Gigawatt; das heißt, im Extremfall können 21 Gigawatt übertragen werden. Die Differenz zwischen der momentanen Erzeugungskapazität in Süddeutschland und dem Spitzenverbrauch – das ist der, der in dieser Jahreszeit und etwa um diese Uhrzeit anfällt; es sind wenige Stunden im Jahr – beträgt im Moment 4 Gigawatt; das heißt, bereits heute ist eine Überkapazität von 17 Gigawatt bei der Transportkapazität vorhanden.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und wie viele Kraftwerke gehen vom Netz?)

In wenigen Monaten geht die Thüringer Strombrücke – leider – in Betrieb. Dadurch kommen weitere 4 Gigawatt hinzu. Dann haben wir eine Übertragungskapazität von 25 Gigawatt. Die Atomkraftwerke, die vom Netz gehen, entsprechen 8 Gigawatt.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wollen Sie halten?)

Das heißt, in Süddeutschland haben wir dann, weil nur ein Teil von ihnen in Süddeutschland steht, einen Maximalbedarf von 10 Gigawatt Transportkapazität, und das bei einer vorhandenen Kapazität von 25 Gigawatt.

Erklären Sie mir, wieso Sie bei einer Überkapazität im Jahr 2025 von 15 Gigawatt noch 8 Gigawatt Übertragungskapazität dazubauen wollen. Das müssen Sie mir einmal erklären.

Lieber Herr Lenkert, ich weiß nicht, welche Luftzahlen Sie hier nennen,

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

und ich muss auch sagen, ich komme bei dem, was Sie hier beschreiben, nicht ganz mit.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das sind die Zahlen der Bundesnetzagentur!)

– Ich sitze auch im Beirat der Bundesnetzagentur, nehme also auch regelmäßig an den Sitzungen teil.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber rechnen können Sie nicht!)

Herr Lenkert, ich weiß nur eines: Wir haben in diesem Jahr Redispatch-Kosten von über 500 Millionen Euro.

(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: So ist das!)

Diese Kosten entstehen dadurch, dass wir im Süden Deutschlands Strom brauchen, den es dort nicht gibt – er wird dort nicht gehandelt –, während im Norden der Strom produziert wird, der eigentlich in den Süden transportiert werden sollte. Er kann aber nicht dorthin gelangen, weil wir zu wenige Leitungen vom Norden in den Süden haben. Das heißt, weil wir derzeit nicht die notwendigen Kapazitäten haben, um den Strom, der im Norden produziert wird, in den Süden zu transportieren, wo er gebraucht wird, müssen wir jetzt im Norden zwangsweise Windkraftwerke – es geht also um erneuerbare Energien, die Sie ja haben wollen – abschalten, während wir im Süden Kohle- und Kernkraftwerke hochfahren müssen, damit der Süden auch weiterhin Strom hat.

Der einzige Grund dafür ist, dass wir nicht genügend Leitungskapazitäten haben, um den notwendigen Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. Das ist ein ganz großes Thema und kostet in diesem Jahr 500 Millionen Euro. Im nächsten Jahr werden es wahrscheinlich über 1,5 Milliarden Euro sein, und die Ursache dafür liegt allein im fehlenden Ausbau der Leitungen vom Norden in den Süden. Das müssen wir jetzt entsprechend anpacken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Herr Bareiß, die Zahlen stimmen vorn und hinten nicht!)

Wir merken heute wieder, dass wir beim Thema Leitungsausbau auch Gegner haben. Die Opposition macht wieder einmal nicht mit. Die Linken und die Grünen gehen hier in Deckung.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein!)

– Die Grünen enthalten sich, die Linken stimmen mit Nein. – Dieses Verhalten ist wieder Wasser auf die Mühlen der Netzgegner. Bei der Energiewende sitzen die Grünen gemeinsam mit den Linken leider im Bremserhäuschen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thomas! Wir sitzen im Bremserhäuschen? Bei der Energiewende?)

Wichtig ist jetzt, dass wir schnell mit dem Ausbau der drei Stromautobahnen vorankommen. Dafür brauchen wir die Menschen und die Akzeptanz vor Ort. Deshalb wollen wir bei Gleichstromleitungen auf Erdkabel setzen. Damit wird es möglich sein, dass die großen Stromautobahnen durch Deutschland zu einem Großteil unter der Erde verlaufen. Das betrifft insbesondere die großen Nord-Süd-Trassen, wie SuedLink, und die Gleichstrompassage Süd-Ost.

In der Nähe von Wohnbebauungen führen wir ein generelles Verbot von Freileitungen ein. Ausnahmen für Gleichstromfreileitungen kann es nur dann geben, wenn Naturschutzgründe dafür sprechen, wenn bereits bestehende Stromtrassen genutzt werden oder wenn die betroffenen Gebietskörperschaften eine Freileitung wirklich ausdrücklich verlangen.

Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland in den nächsten Jahren über 1 700 Kilometer Gleichstromkabel in der Erde verlegen werden. Diese Dimension ist einzigartig in der Welt. Wir gehen damit einen riesigen Schritt voran. Das wird, offengestanden, anspruchsvoll und auch teuer. Wir stellen damit aber wieder unter Beweis, dass die Energiewende eines der größten Technologieprojekte der Welt ist. Wir sind damit wieder einmal Pionier und Schrittmacher in der Energielandschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem dürfen wir uns aber auch nicht überfordern. Auch bei den Erdkabeln müssen wir Maß und Mitte behalten. Deshalb sind wir bei der Erdverkabelung bei Wechselstromleitungen auch etwas zurückhaltender als die Opposition und manchmal vielleicht auch als die SPD. Bei Wechselstromleitungen sind die Kosten nämlich wesentlich höher, und auch technisch ist dies um ein Vielfaches anspruchsvoller.

Schon allein der Landschaftseingriff – das sollte für die Grünenfraktion ein besonders Thema sein – ist doppelt so groß wie der bei HGÜ-Leitungen. Die Breite beträgt nämlich 40 bis 50 Meter. Diese Einschnitte werden auch von Naturschutzfreunden sehr kritisch gesehen.

Bei dem einzigen derzeit laufenden Vorhaben bei Raesfeld kostet die Verlegung von 3,4 Kilometer Erdkabel 30 Millionen Euro. Jeder Meter kostet hier also 9 000 Euro.

(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Super!)

Deshalb haben wir im vorliegenden Gesetzentwurf klar zum Ausdruck gebracht, dass Wechselstromerdkabel zunächst im Rahmen von Pilotvorhaben getestet werden. Wir haben jetzt Kriterien und die Anzahl der Pilotvorhaben für eine Erdverkabelung maßvoll auf elf erweitert. Allein diese Erweiterung wird uns 400 Millionen Euro kosten. Das Erdkabel ist für Wechselstrom zukünftig sehr eingeschränkt einzusetzen. Wir wollen den Pilotcharakter weiterhin beibehalten. Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit sind uns oberste Priorität. Hier darf es keine Kompromisse geben. Wir dürfen auch hier den Menschen keine Versprechungen machen, die wir nicht einhalten können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, vielleicht noch einmal ein Bericht aus der Praxis. In der zweiten Januarhälfte dieses Jahres gab es an einem Wochenende ein Rekordhoch im Bereich der Windenergie. 30 000 Megawatt Wind­energie wurden allein an einem Wochenende ins Netz eingespeist. Die Nord-Süd-Verbindungen, wie vorhin beschrieben, haben nicht ausgereicht, um diese Menge wirklich nach Süden zu transportieren.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil die Kohlekraftwerke noch liefen! Wäre die Kohle abgeschaltet worden, wäre es gegangen!)

Wir mussten im Norden die Windräder zwangsweise abschalten, im Süden mussten wir die Kernkraftwerke zwangsweise hochfahren.

(Johann Saathoff [SPD]: Und importieren!)

Allein an diesem einen Wochenende, lieber Herr Lenkert, haben wir 7 Millionen Euro an Redispatchkosten gehabt. Diese Kosten werden in den nächsten Jahren eher mehr als weniger werden. Deshalb brauchen wir Leitungen. Wir brauchen Ihre Mithilfe. Deshalb kann ich alle nur darum bitten, dass wir jetzt geschlossen für mehr Leitungen kämpfen, damit die Energiewende Schritt für Schritt vorangeht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6246538
Wahlperiode 18
Sitzung 143
Tagesordnungspunkt Änderung des Rechts des Energieleitungsbaus
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