Oliver KrischerDIE GRÜNEN - Änderung des Rechts des Energieleitungsbaus
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Flexibilität ist die neue Währung in einem Stromsystem, das immer mehr auf der schwankenden Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie basiert. Das Stromnetz ist neben anderen Lastmanagementspeichern eine sehr wichtige und eine entscheidende Flexibilitätsoption. Es trägt, Herr Lenkert, dazu bei – das ist Physik –,
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Erzeugung und Verbrauch zusammenzubringen. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir den Ausbau und die Optimierung des Stromnetzes, übrigens nicht nur im Bereich des Übertragungsnetzes, sondern auch im Verteilnetz; aber darüber reden wir in der Regel gar nicht. Wir reden über das Übertragungsnetz. Das ist eine richtige Sache. Man kann sich im Detail über viele Fragen streiten. Aber sich hierhinzustellen und zu sagen: „Das alles brauchen wir gar nicht“, das halte ich für eine absolute Fehlentscheidung. Wer das tut, stellt die Energiewende infrage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will Ihnen eines sagen: Es war richtig, 2011 einen Bedarfsplan zu verabschieden, ein Gesetz, mit dem deutlich wurde: Auf der Basis von Energieszenarien entwickeln wir den Leitungsausbau. – Das war gut. Das haben wir unterstützt. Das haben wir immer gefordert. Das ist richtig. Was wir 2011 aber nicht gemacht haben, jedenfalls die Mehrheit nicht, war, weitestgehend die Erdverkabelung zu ermöglichen. Die Erdverkabelung sollte verhindert werden. Das war damals der Grund, weshalb wir Grüne uns enthalten haben.
Jetzt machen Sie genau das Gegenteil. Aber jetzt, vier Jahre später, ist dieses Gesetz von 2011 de facto gescheitert, und zwar deshalb, weil Sie Erdverkabelung nicht zulassen wollten.
(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)
Jetzt fangen wir wieder bei null an. Hätten Sie damals auf die Grünen und viele Sachverständige gehört, hätten wir heute möglicherweise dieses Problem nicht. Wir hätten beim Netzausbau nicht vier Jahre verloren. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Bareiß, bei allem, worin wir übereinstimmen mögen: Ihr Problem in dieser Frage sind doch nicht Sozialdemokraten und Grüne.
(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Manchmal schon!)
Ihr Problem sind vielleicht die Linken, aber auch die CSU. Das, was ich von Herrn Lenkert eben gehört habe, habe ich in ähnlicher Form auch von Herrn Seehofer gehört. Genau das ist das Problem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich hätte es mir 2011 nicht vorstellen können, dass ausgerechnet die Union, die uns Grüne dafür beschimpft hat, dass wir für Erdverkabelung sind, heute dafür sorgt, dass dieses Gesetz scheitert. Das zeigt, dass Sie an dieser Stelle das Ganze nicht verstanden haben und dass es damals ein Fehler war, dass Sie auf unsere Vorschläge nicht gehört haben.
Meine Damen und Herren, was Sie jetzt machen, ist, der Erdverkabelung Vorrang einzuräumen. Sie sagen: Erdverkabelung muss überall Vorrang haben. Damit schaffen Sie neue Probleme; das hat die Anhörung sehr deutlich gezeigt. Es wird Konflikte mit der Landwirtschaft und dem Naturschutz geben. Ich habe die ganz große Sorge, dass wir in drei Jahren wieder hier stehen und uns vielleicht von Herrn Seehofer oder jemand anderem anhören müssen: Nein, Erdverkabelung geht gar nicht, weil das meine Bauern in Bayern schädigt – oder was auch immer. Und das ist das Problem, nämlich dass Sie an dieser Stelle das gesunde Maß und die Mitte nicht finden, um zu angepassten Lösungen zu kommen. Der Kollege Saathoff hat es angesprochen: Dazu gehört auch der Bereich des Wechselstroms. Man kann den Menschen nicht erklären, warum bei HGÜ jetzt alles unter die Erde gelegt wird, aber im Bereich des EnLAG, beim Wechselstrom, nur nach unklaren Kriterien Pilotstrecken ausgewählt werden,
(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Weil das viel teurer ist, Herr Kollege! Das ist auch Physik!)
und das wird die neuen Konflikte auslösen.
Gehen Sie doch einmal nach Hürth bei Köln – um nur ein Beispiel zu nennen. Dort wird dieser Konflikt genau dazu führen. Man kann es den Menschen gar nicht vorwerfen, dass sie vor Gericht gehen. Deshalb habe ich die ganz große Sorge, dass wir in drei Jahren tatsächlich wieder hier stehen und das Ganze wieder neu machen müssen, weil Sie einfach das gesunde Maß nicht finden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Bareiß, Sie sagen an einer Stelle, wir seien Pacesetter, das gehe ganz schnell. Es ist jetzt fast zehn Jahre her, dass das EnLAG verabschiedet wurde, und in dieser Zeit regiert die CDU. Sie haben es in diesen zehn Jahren geschafft, gerade einmal 20 Prozent des Leitungsausbaus von 2 000 Kilometern zu bewerkstelligen.
(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Weil Sie dagegen demonstrieren!)
Beim Bedarfsplangesetz sind Sie ganz gescheitert. Das ist keine Erfolgsstory, was Sie hier in zehn Jahren Regierungszeit hingelegt haben. An dieser Stelle wäre ein bisschen Demut darüber angebracht, dass Sie das offensichtlich nicht geschafft haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich hoffe nur, dass wir den Leitungsausbau hinkriegen, dass ich mich am Ende hier irre und dass er aufgrund Ihres Gesetzes doch gelingen wird.
(Beifall des Abg. Thomas Bareiß [CDU/CSU])
Ich fürchte, das wird nicht der Fall sein, aber ich hoffe, dass der Leitungsausbau gelingen wird. Sonst werden wir 2022 hier eine Debatte mit Horst Seehofer oder wem auch immer führen, und der wird dann sagen: Na ja, jetzt haben wir den Leitungsausbau nicht geschafft, jetzt müssen wir darüber reden, dass Atomkraftwerke weiterlaufen. – Und das möchte ich nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das wäre das Allerschlimmste, was man Deutschland, der Energiewende und der Welt antun könnte.
Herzlichen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6246559 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Rechts des Energieleitungsbaus |