04.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 144 / Zusatzpunkt 5

Rolf MützenichSPD - Bundeswehreinsatz gegen Terrororganisation IS

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anschläge von Paris werden sich ins europäische Gedächtnis einbrennen. Ebenso müssen wir an andere Gewaltorte erinnern – Sindschar, Aleppo, Beirut, Bagdad, Bamako und viele andere Orte –, in denen der IS so brutal und grenzenlos zugeschlagen hat. Meine Fraktion ist überzeugt: Es gibt keine isolierte militärische Lösung gegen diesen gewaltsamen Extremismus. Aber der „Islamische Staat“ muss eingedämmt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, anders als mancher glaubt, scheint es im Bundestag dazu eine gemeinsame Auffassung zu geben, zumindest gewinnt man den Eindruck, wenn man sich einige Einträge im Netz anschaut. Mit Erlaubnis des Präsidenten würde ich gerne zitieren:

Ich fahre jetzt zur türkisch-syrischen Grenze. Solidarität mit den tapferen kurdischen Kämpferinnen! Halte Stand, Kobane.

Annette Groth, Fraktion Die Linke, 5. Oktober 2014.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Kobane befreit vom Joch der ISIS ... Es lebe der Widerstand in Kobane.

Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.

... eine wichtige Erfolgsmeldung: ... die Stadt ... (Sindschar) ... vom IS zu befreien. ... Möglich wurde die Befreiung ... durch eine breite Allianz kurdischer Gruppierungen, ... bis hin zu den Peschmerga der irakisch-kurdischen Regionalregierung.

Ulla Jelpke, Die Linke, 19. November 2015.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben eines übersehen – offensichtlich haben Sie sich gescheut, es aufzuschreiben –: Es waren auch die Angriffe aus der Luft und die Unterstützung vonseiten Deutschlands bei der Ausbildung der Peschmerga, die genau dazu geführt haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die Kurden haben Sindschar befreit!)

Ich werfe Ihnen das nicht vor – man kann das ja mal übersehen –, nur, ich bitte um Redlichkeit. Vielleicht stellen Sie sich auch mal hier in den Deutschen Bundestag und sagen: Ja, vielleicht bin ich auch zerrissen.

Ich sage: Ich bin stolz, Mitglied einer sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu sein, die diese Zerrissenheit und eine lange Debatte in der Fraktion zulässt; möglicherweise ringt der eine oder andere Kollege hier noch mit sich. Ich finde, das ist Parlamentarismus, und das müssen Sie zeigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandat stellt Deutschland militärische Technik und militärisches Gerät zur Verfügung, die andere Nationen so nicht bieten. Wir glauben, das ist angemessen und politisch vertretbar. Insbesondere ist festzuhalten: Es findet nicht alleine statt. Damit folgen wir der grundsätzlichen Festlegung, die wir hier im Deutschen Bundestag, in der Bundesregierung, aber auch in Europa getroffen haben. Wir agieren immer gemeinsam mit europäischen Partnern und bieten das an, was wir politisch verantworten können. Das ist, glaube ich, die Essenz der Diskussion hier im Deutschen Bundestag.

Es gibt in der Mandatsbegründung überzeugende rechtliche Herleitungen. Die Resolutionen sind angesprochen worden. Insbesondere die UN-Sicherheitsratsresolution 2249 hat in den Beratungen eine wichtige Rolle gespielt. Ich möchte die Resolution 2249 zitieren, die mit allen Stimmen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beschlossen worden ist. Da wird von „einer der schwersten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ gesprochen; das ist der Bezug zur Charta der Vereinten Nationen. Die Staatengemeinschaft wird aufgefordert, die Bedrohung „mit allen Mitteln zu bekämpfen“. Es wird in der Sicherheitsratsresolution darauf hingewiesen, dass auch die irakische Regierung um den Einsatz gebeten hat, weil eine Bedrohung des irakischen Gebiets von außen, durch ISIS, stattfindet. – Ich finde, das sind drei Bemerkungen, drei Festlegungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die so deutlich sind, dass diese Aufforderung auch trägt. – Das ist die eine Sache.

Die zweite Sache. Die Bundesregierung war genauso klug beraten, als sie sich entschied, den Lissabon-Vertrag in der Mandatsbegründung anzuführen, im Hinblick auf die Solidarität zu Frankreich, aber auch zu vielen anderen Nationen, die in den vergangenen Jahren von islamistischem Terror betroffen waren. Artikel 42 (7) EUV trägt als Grundlage einer europäischen Politik. Was wollen Sie eigentlich gegen eine solche europäische Politik einwenden? Da bekennt sich Deutschland letztlich doch zu dem, was diese Gemeinschaft wertvoll gemacht hat, nämlich europäische Solidarität zu üben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der letzte Punkt – ihn hat der Justizminister eingebracht –: der Bezug des Mandats auf das System kollektiver Sicherheit, also auf das, was das Bundesverfassungsgericht von uns verlangt.

In der Tat: Kapitel VII der UN-Charta ist in der Mandatsbegründung nicht ausdrücklich erwähnt. Aber das hat leider auch etwas mit der internationalen Situation zu tun, mit der Erfahrung aus Libyen – gar keine Frage –, aber auch damit, dass es keine Einigkeit über die Zukunft von Assad gibt. Genau deswegen führen wir doch die Gespräche in Wien: damit wir ein gemeinsames politisches Konzept für Syrien erreichen. In der Sicherheitsratsresolution 2249 wird ausdrücklich gewürdigt – das wollen Sie nicht wahrhaben –, dass sich dieses Mandat innerhalb des politischen Rahmens der Konferenz von Wien befindet, die die Bundesregierung und viele andere europäische Regierungen erst möglich gemacht haben. – Ich finde, das ist auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Fragen, die gestellt sind, eine gute Herleitung.

Meine Damen und Herren, ich finde, dass gerade das, was die Bundesregierung in den letzten Wochen im Rahmen der Debatte immer wieder gefordert hat, nämlich die Stärkung der Vereinten Nationen, eines der wichtigsten Argumente für die Solidarität ist, die Deutschland üben sollte. Der Einsatz findet in einem System kollektiver Sicherheit statt.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Welches System denn? Welches?)

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stand die Charta der Vereinten Nationen im Mittelpunkt; es war uns wichtig, die Instrumentarien, die die Vereinten Nationen vorhalten, zu nutzen. Es war der deutsche Außenminister, der de Mistura, den Beauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, endlich in Wien an den Tisch gebracht hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dort wurden der Zeitplan und letztlich auch die Ziele verabredet, die da lauten: lokale Waffenruhen, Übergangsregierung und Wahlen.

Heute Morgen war zu lesen, dass Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, gesagt hat, dass er hofft und mit der internationalen Staatengemeinschaft dafür arbeitet, dass es gelingt, zu dieser Waffenruhe zu kommen. Es wäre schon ein Fortschritt, lokale Waffenruhen zu vereinbaren. Wir Sozialdemokraten wollen gleichzeitig – auch das ist Bestandteil der Verabredungen von Wien – endlich das Finanzsystem austrocknen,

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Endlich!)

das dem IS diese Möglichkeiten erlaubt, und auch die Hintermänner dingfest machen. Genau das wird auch in der Resolution 2170 des Sicherheitsrates gefordert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sagen wir sehr selbstbewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es lohnt sich, innerhalb des Systems der Vereinten Nationen an der Verwirklichung des Ziels – das wir alle im Deutschen Bundestag haben –, in Syrien, aber auch in anderen Gebieten so schnell wie möglich zum Frieden zu kommen, zu arbeiten. Das haben wir in den vergangenen Jahren im Rahmen einer politischen Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten immer wieder versucht.

Ich kann mich an die eine oder andere kritische Bemerkung von Ihnen erinnern. Sie haben gesagt: Eine Einigung mit dem Iran wird nie gelingen, Sie brauchen sich nicht auf den Pfad der Vereinten Nationen zu begeben. – Wir stimmen heute auch darüber ab, dass das ein gutes Mittel ist. Das Ziel Deutschlands bleibt es, Frieden für die Menschen in Syrien zu erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dennoch will ich darauf hinweisen – auch wenn es eine entsprechende Verabredung im Rahmen der Vereinten Nationen in Wien gegeben hat –, dass für meine Fraktion feststeht: Die Vereinbarung von Wien darf nicht die Verfolgung schlimmster Verbrechen in Syrien verhindern. Deswegen bin ich der Bundesregierung dankbar, dass unter der deutschen Präsidentschaft im Menschenrechtsrat Dossiers über schwerste Menschenrechtsverletzungen erstellt wurden. Die internationale Strafjustiz muss in den nächsten Jahren über die dafür Verantwortlichen entscheiden. Genau dahin wird die Entwicklung gehen. Das ist auch ein Teil des Systems der Vereinten Nationen. Ich wäre dankbar, wenn Sie zumindest diese Möglichkeit weiterhin ins Auge fassen und uns bei dieser wichtigen Arbeit unterstützen würden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen. Meine Fraktion hätte heute gerne einen gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgelegt. Ich finde es schade, Herr Kollege Kauder, dass es dazu nicht gekommen ist.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt viele Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung. Gerade weil es auch um den politischen Rahmen dieser Frage geht, hätte eine selbstbewusste Koalition hier und heute einen Entschließungsantrag vorlegen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch an die Bundesregierung habe ich eine Bitte. Ich weiß, wie wichtig der Partner Saudi-Arabien gerade im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Oppositionsparteien ist, die wichtig sind, um die in Wien vereinbarte Lösung umzusetzen. Aber ich finde dennoch, dass öffentlich auch angesprochen werden muss: Die Staats­ideologie Saudi-Arabiens ist ein Teil des Nährbodens für den „Islamischen Staat“; das gehört nach meinem Dafürhalten zu einer ehrlichen Debatte dazu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es eben angesprochen: Meine Fraktion hat sich wirklich Zeit genommen, um über das Mandat zu beraten. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen haben die Befürchtung geäußert, das Mandat könnte das Risiko von Anschlägen in Deutschland erhöhen. Ich kann das persönlich nicht ausschließen. Aber ich will deutlich sagen: Deutschland ist längst im Fokus des internationalen Terrorismus. Es ist dem Zufall, dem Glück, aber auch der Aufklärungsarbeit zu verdanken, dass das eine oder andere verhindert wurde. Ich glaube, die Terroristen in Paris haben ganz bewusst das Fußballspiel Deutschland gegen Frankreich als Ziel gewählt; denn dann wären noch mehr deutsche Terroropfer unter den Verletzten oder Toten gewesen. Der entscheidende Punkt wird sein, ob auch die Gesellschaft in Deutschland es versteht, mit dieser Herausforderung umzugehen.

Ich erinnere mich: Vor zweieinhalb, drei Jahren habe ich in einer Schule mit, glaube ich, 150 Schülerinnen und Schülern diskutiert. Dort musste ich eine Diskussion mit einem Jungen, der 17 oder 18 Jahre alt war, führen, der der Meinung war: Eigentlich ist das Kalifat besser als die Demokratie. Ich war entsetzt. Ich habe mich dieser Diskussion gestellt, aber ich war entsetzt, wie teilnahmslos Schülerinnen und Schüler und Lehrer dieser Debatte gefolgt sind. Ich habe mir schon damals gewünscht, dass eine Auseinandersetzung stattfinden würde. Sie ist dringend notwendig. Diese Auseinandersetzung müssen wir jetzt führen, weil es letztlich eine Angelegenheit der gesamten Gesellschaft ist, dagegen vorzugehen. Deswegen appelliere ich auch von dieser Stelle: Das ist eine Aufgabe des gesellschaftspolitischen Dialogs – in allen Institutionen, nicht nur in diesem Parlament, sondern in der gesamten Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen: Wir müssen festhalten an sozialer Demokratie, an Freiheit und an Respekt; denn das sind die besten Mittel im Kampf gegen einen gewaltsamen Extremismus.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU)

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Sahra Wagenknecht das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6248719
Wahlperiode 18
Sitzung 144
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz gegen Terrororganisation IS
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