04.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 144 / Tagesordnungspunkt 26

Dirk WieseSPD - Handelsabkommen mit den USA und Kanada

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lebenswert, offen, engagiert, vielleicht das höflichste Land der Welt, von Wissenschaftlern als friedliche Mittelmacht bezeichnet, laut einer Empfehlung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ein besonders willkommener und geschätzter Partner – die Rede ist von Kanada. Unter Partnern – das sage ich hier ganz offen – kann man reden, auch über ein Freihandelsabkommen, aber bitte sachlich. Vertreter der Fraktion Die Linke sprechen in Interviews im Hinblick auf CETA mittlerweile von einem Anschlag auf Demokratie, Sozialstaat und Umwelt. Ganz ehrlich: Solche Formulierungen sind zwischen Partnern, die lange freundschaftliche Beziehungen haben, nicht angemessen und werfen ein schlechtes Licht darauf, wie unsachlich Sie die Debatte führen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesrepublik Deutschland und Kanada pflegen seit Jahrzehnten enge freundschaftliche Beziehungen. Wir teilen gemeinsame Werte und Grundüberzeugungen. Über 3,2 Millionen Kanadier haben deutsche Wurzeln. Uns verbindet eine aktive Mitarbeit in internationalen Gremien, vor allem in Fragen der Sicherheit und Abrüstung, der Menschenrechte, bei humanitären Aktionen und bei friedenserhaltenden Maßnahmen.

Das angedachte Freihandelsabkommen soll nun ein Baustein sein, um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu vertiefen. Aktuell gehört Deutschland zwar schon zu den zehn wichtigsten Handelspartnern Kanadas; Studien zeigen aber auch auf, dass in den deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen für beide Volkswirtschaften noch mehr Potenzial liegt. Hauptexportprodukte Deutschlands sind Fahrzeuge, Fahrzeugteile, Maschinen, mechanische und elektrische Geräte.

Hinzu kommt: Abkommen und Verständigungen auf bilateraler Ebene zwischen unseren beiden Ländern sind nicht neu. Kanada und Deutschland haben 2002 ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen, das das Abkommen von 1981 ablöste, mit der EU besteht seit 1976 ein Rahmenabkommen über handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit, seit 1995 ein Abkommen über wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit, seit 2003 ein Wein- und Spirituosenabkommen und seit 2009 ein Luftfahrtübereinkommen.

Im Freihandelsabkommen mit Kanada, das jetzt im Entwurf vorliegt, ist im Industriesektor – um ein Beispiel zu nennen – ein Abbau von 99,7 Prozent der Zolllinien vereinbart, im Warenhandel von 98,4 Prozent der Zolllinien. Infolge der Marktöffnung wird es einen verbesserten Zugang für europäische Unternehmen, für Dienstleistungsanbieter geben. Zudem kommt es zu Verbesserungen bei der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen. Auch die Absicherung in sensiblen Bereichen, wie zum Beispiel im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, ist gewährleistet.

Positiv ist zudem die Ermöglichung des Zugangs heimischer Unternehmen zu Ausschreibungen in Kanada. Das gilt auch für Ausschreibungen auf regionaler und kommunaler Ebene. Man geht dabei von einem Beschaffungsvolumen von etwa 100 Milliarden kanadischen Dollar aus. Hier haben unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen überhaupt keine Möglichkeit, sich in Kanada dem Wettbewerb zu stellen. Für kanadische Unternehmen ist das hingegen schon heute in Deutschland möglich. Folglich gibt es faktisch keine zusätzliche Marktöffnung hier bei uns. Wichtig ist: Trotz der geplanten Regelung können weiterhin Ausschreibungsbedingungen von Ausschreibungsstellen festgelegt werden; die Möglichkeit, Regelungen zur Tariftreue oder Umweltbedingungen in die Ausschreibung aufzunehmen, werden nicht beschränkt. Zudem: Das WTO-Streitverfahren mit Kanada zu der Frage von hormonbehandeltem Rindfleisch wird einer endgültigen Regelung zugeführt. Es wird die Einräumung eines Zollkontingents für Qualitätsrindfleisch geben. Also kurz und knapp: Weiterhin kein Import von hormonbehandeltem Rindfleisch.

An einigen wichtigen Punkten bedarf die bisherige Verständigung noch Änderungen und der Feinjustierung. Hieran arbeiten Sozialdemokraten an vorderster Stelle mit. Das nennt man übrigens: Politik machen und Zukunft gestalten. Denn wer sich allen Gesprächen und Verhandlungen, die jetzt gerade stattfinden, verweigert, der gestaltet Globalisierung nicht mit, sondern der wird gestaltet werden. Bezogen auf die Weltwirtschaft heißt dies: Wer den Ball nicht aufnimmt, der spielt nicht mit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lieber Kollege Klaus Ernst, wenn Sie im Januar Zugang zu den Dokumenten haben, dann haben Sie das einem zu verdanken, und das ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der sich immer wieder dafür eingesetzt hat, dass wir als nationale Abgeordnete Zugang zum Vertragstext bekommen. Geben Sie Sigmar Gabriel mal einen aus; sagen Sie ihm Danke schön. Er sorgt dafür, dass Sie endlich aufgeklärt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich empfehle Ihnen das Positionspapier von Bernd Lange „Wandel durch Handel – Faire Handelspolitik im 21. Jahrhundert“ wärmstens als Lektüre für die ruhigen Weihnachtstage, dann werden sich nämlich viele Ihrer Fragen klären.

Die Anmerkungen, die ich an der einen oder anderen Stelle gemacht habe, gelten eins zu eins auch für das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, TTIP. Es wird übrigens – das möchte ich deutlich formulieren – noch sehr, sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, bis wir zu möglichen Ergebnissen kommen.

Einen Satz noch zu CETA. Sie suggerieren bzw. behaupten fälschlicherweise immer, dass sogenannte Briefkastenfirmen, Mailbox Companies, Klagemöglichkeiten haben.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)

Das ist faktisch falsch und gelogen. Briefkastenfirmen haben in CETA keine Klagemöglichkeit mehr; das ist ausgeräumt. In alten Schiedsgerichtsabkommen, von denen die Bundesrepublik Deutschland eine Menge abgeschlossen hat, gab es diese Möglichkeit. Wenn die Befürchtungen, die Sie hinsichtlich der sogenannten Briefkastenfirmen haben, nämlich dass US-amerikanische Firmen in anderen Ländern schnell ein Büro eröffnen und einen Briefkasten einrichten, um Klagemöglichkeiten zu bekommen, wahr wären, dann müssten wir im Rahmen der bereits abgeschlossenen Abkommen – es sind über hundert – mit unzähligen Klagen überzogen worden sein. Wissen Sie, wie oft wir verklagt worden sind? Dreimal. Das ist einfach nur Angst, was Sie erzeugen, und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)

Wir Sozialdemokraten wollen Prinzipien und Werte global verankern. Darüber diskutieren wir auch auf dem Bundesparteitag, der in der kommenden Woche ansteht.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie müssen mit der Basis reden!)

Aufgrund des Stillstands in der Welthandelsorganisation ist die Möglichkeit, Fortschritte multilateral zu erzielen, derzeit nicht gegeben. Daher stellen bilaterale Abkommen aktuell ein Instrument dar, globalen Handel zu verändern. Es ist darum richtig, in den kommenden Wochen mit dem Partner, der neuen kanadischen Regierung, zu sprechen. Wir tun das: gestern mit Cecilia Malmström, heute Morgen mit dem Chefunterhändler Steve Verheul von kanadischer Seite. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Wochen noch zu Ergebnissen kommen werden, die Sie überraschen werden. Vielleicht werden die Ergebnisse Sie dazu bringen, dem Ganzen möglicherweise doch zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Der Kollege Dr. Matthias Heider hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6249431
Wahlperiode 18
Sitzung 144
Tagesordnungspunkt Handelsabkommen mit den USA und Kanada
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