04.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 144 / Tagesordnungspunkt 29

Lothar BindingSPD - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich will das Bild von Richard Pitterle aufnehmen, aber etwas korrigieren. Da ist ein Dieb, der die Bank bestiehlt. Daraufhin macht die Bank ein Extraschloss an die Tür. Jetzt kommt der Dieb durchs Fenster. Erst die Totalvergitterung der Bank macht diese Bank diebstahlsicher. Aber immer war Diebstahl kriminell und gesetzeswidrig. Insofern ist also etwas passiert, aber solche kriminellen Handlungen kann man möglicherweise nicht ausschließen, obwohl es eine Vergitterung gibt, obwohl es eine gute Gesetzgebung gibt und gab.

Wir sprechen über den größten bekannten Steuerbetrug seit Jahrzehnten – das stimmt; da stimmen wir zu –, in einer Größenordnung, soweit wir das wissen, von 12 Milliarden Euro. Wir haben schon gehört, wie die Cum-Ex-Geschäfte funktionieren. Cum-Ex-Geschäfte klingt schon kompliziert. Man kann sagen, dass es ohne die Hilfe von Banken diese Geschäfte gar nicht gegeben hätte. Man kann sagen: Die Banken haben den Dieben dabei geholfen, einzubrechen, aber natürlich nicht bei sich selbst, sondern bei den Steuerzahlern. Das ist verwerflich. Deshalb ist es gut, dass wir uns heute darum kümmern.

Gestern Abend erst hat die ARD berichtet, dass die HypoVereinsbank eine Buße von immerhin 10 Millionen Euro zu akzeptieren hatte. Das Amtsgericht Köln hat diese Buße verhängt. Man kann also schon sehen, dass im Moment zumindest unsere Strafverfolgung an dieser Stelle ganz gut funktioniert. Nun hören wir noch von vielen anderen Banken, die das gemacht haben. Deshalb wird es spannend sein, sich darum zu kümmern.

Grundlage der Geschäfte – das haben Sie schön ausgeführt – waren Leerverkäufe rund um den Dividendenstichtag und die Tatsache, dass die Stelle, die die Kapitalertragsteuer abgeführt hat, und die Stelle, die den Kapitalertrag bescheinigte, auseinanderfielen. Durch dieses Auseinanderfallen gab es die Möglichkeit, sich zweimal etwas erstatten zu lassen, was man aber nur einmal bezahlt hat.

Schon allein an diesem Punkt – sich zweimal etwas erstatten zu lassen, was man nur einmal bezahlt hat – erkennt man die kriminelle Energie; denn es versteht sich von selbst, egal nach welcher Gesetzgebung, dass das wohl nicht richtig sein kann, zumal schon die Erstattung ein Entgegenkommen gegenüber dem Steuerzahler ist. Man räumt einen Grund für die Erstattung ein, und plötzlich will einer die Erstattung doppelt haben. Ich würde sogar auf jeglichen Verweis auf die Gesetzgebung verzichten und sagen, dass es sich von selbst versteht, dass man das nicht macht. Das ist unanständig und kriminell.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Wenn sich das für Sie nicht von selbst versteht, dann finde ich auch das verwerflich. Gewisse moralische Grundsätze gelten auch für die Grünen.

Da wir und auch das BMF offensichtlich die Komplexität eine gewisse Zeit unterschätzt haben – ich zumindest; vielleicht haben manche hier das rechtzeitig gesehen –, waren unsere ersten Regelungen unzureichend. Auch das wurde schon erwähnt. Wir haben nämlich nur die Inlandsfälle geregelt. Die Lücken waren dann dicht, wunderbar. Aber die freundlichen Herren haben sich dann grenzüberschreitende Modelle überlegt, die von uns erst wieder ganz langsam entdeckt werden mussten. Dazu muss man sagen: Es ist nicht so, dass wir im Parlament im Regelfall solche Gestaltungsmodelle und die Vollzugsverwaltung in den Blick nehmen, sondern wir machen Gesetze und gehen davon aus, dass sie eingehalten werden. Wenn nicht, dann ist das ein kriminelles Verhalten, und die Strafverfolgungsbehörde kümmert sich darum.

Kollege Binding, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Schick?

Probieren wir es einmal. – Also, eine Frage von Gerhard Schick.

(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Probieren bezieht sich auf die Frage und nicht auf die Antwort!)

– Ja, klar. Danke.

Ich glaube, ich bin in der Lage, eine Frage zu stellen. – Es ist von Ihnen und von Kollegen Hauer dargelegt worden, dass das von Anfang an als betrügerisch, also als kriminell, zu bewerten gewesen ist. Vielleicht ist die Frage, die ich dazu stellen möchte, aus Ihrer Sicht schon zu beantworten; aus meiner Sicht ist das noch offen. Wenn klar war, dass es kriminell ist, warum hat dann die Finanzaufsichtsbehörde zehn Jahre lang zugelassen, dass Banken in Deutschland in einem Milliardenumfang kriminelle Geschäfte machen, ohne einzuschreiten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich bin mir gar nicht sicher, ob der BaFin das von Anfang an klar war.

(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Frage!)

Die Frage ist, ob man von Anfang an merken konnte, was da eigentlich passiert; denn die Gesetzeslage war klar, und auch die Erstattung war zunächst ganz klar. Dann gab es eine zweite Erstattung. Die war zwar kriminell, aber sie ist nicht aufgefallen, weil in diesem System die beiden Stellen, von denen ich sprach, auseinanderfielen und auf diese Weise nicht festgestellt werden konnte, was passiert.

Ich glaube, dass die BaFin oder andere Aufsichtsbehörden, die sich darum vielleicht kümmern konnten, zunächst gar nicht gemerkt haben, was passiert. Daraus, dass jemand etwas übersehen hat, kann man sicherlich einen Vorwurf ableiten. Deshalb finde ich es gut, dass wir nach einer geraumen Zeit gesetzgeberisch aktiv wurden, wie gesagt, nicht vollständig und nicht umfänglich, weil nur die Inlandsfälle geregelt wurden. Daran erkennt man, dass ganz viele Leute – übrigens auch Sie und ich – gar nicht gemerkt haben, was da tatsächlich passiert.

Deshalb ist uns wichtig, sich nicht nur um die Vergangenheit zu kümmern, sondern auch um die Zukunft. Denn wir wissen auch in dieser Sekunde nicht, was geschieht und ob nicht vielleicht kriminelle Dinge passieren. Es ist also wichtig, sich darum zu kümmern. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass ein Parlament keine Vollzugsverwaltung ist. Insofern sind wir auf Hinweise angewiesen. Denen sollte man nachgehen. Ich glaube, ein Versäumnis ist gewesen, dass man bestimmten Hinweisen nicht schnell genug nachgegangen ist. Darum müssen wir uns auch im Untersuchungsausschuss darum kümmern.

Was ich gerne vermeiden würde, ist, dass wir uns jetzt vornehmlich und ausschließlich um die Exekutive kümmern, aber die Gauner und die Betrüger und die Diebe und die Kriminellen aus dem Blick verlieren. Ich meine, dass wir im Untersuchungsausschuss unseren Blick sehr stark darauf lenken müssen, wer am Markt in welcher Weise agiert, wie er sich verhält, mit welchem Ziel und auf wessen Kosten er dies tut.

Auch das wurde schon gesagt: Der Steuerbetrüger betrügt ja nicht irgendwie den abstrakten Staat, sondern er betrügt seinen Nachbarn, der seine Steuern ehrlich bezahlt, und das sind die meisten. Wie wir wissen, fließen die höchsten Steuereinnahmen aus der Einkommen- und Lohnsteuer sowie aus der Mehrwertsteuer. Insofern haben sich Menschen mit relativ gutem Einkommen an jenen bereichert, die ein relativ schlechtes Einkommen haben. Ich glaube, das ist eine Sache, die es sich zu untersuchen lohnt.

Wir wissen inzwischen, wie das Problem gelöst wurde, nämlich, was gar nicht einfach ist, durch einen vollständigen Systemwechsel. Wir mussten das alte System verlassen. Ich bin froh, dass das BMF so eine gute Lösung gefunden hat; diese Lösung wurde ja nicht im Parlament entwickelt. Ich glaube, das Finanzministerium hat eine sehr gute Arbeit geleistet.

Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Es herrscht auch kein Mangel an Transparenz. Die Fragen der Opposition waren sehr gut. Auch die Linken haben Fragen in dieser Richtung gestellt. Ich glaube, es gab sogar eine Kleine Anfrage, die sehr ausführlich beantwortet worden ist.

Außerdem gibt es eine öffentliche Kontrolle, wofür wir ebenfalls sehr dankbar sind. Klaus Ott, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, hat sehr ausführlich recherchiert. Er kam zu dem Ergebnis: Ein Untersuchungsausschuss ist nicht nötig. Er hat alle Akten, die ihm wichtig waren, einsehen können. Es war ihm möglich, sehr weitgehend zu recherchieren. Er war mit hinreichenden Erkenntnissen ausgestattet, um den Gesamtvorgang zu beurteilen. In diesem Fall war der Journalismus wieder ein gutes Stück voraus. Deshalb meinte er, ein Untersuchungsausschuss sei überflüssig. Aber wenn wir denken, es wäre eine gute Sache, sich das Ganze noch einmal anzuschauen, dann sollten wir das machen. Außerdem ermitteln die Staatsanwaltschaften.

Was uns damals gestört hatte, war die Idee, einen Sonderermittler einzusetzen; denn der Sonderermittler ist kein Instrument des Parlaments, sondern ein Instrument der Regierung. Wir haben gemeint: Wenn sich jemand darum kümmern sollte, dann wir.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr dann keinen Untersuchungsausschuss eingesetzt?)

– Ich hatte angeregt, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo ist der Antrag?)

Aber die einfache Begründung dagegen war, dass seinerzeit Prozesse liefen, die wir abwarten sollten, auch um mehr über die Geschäfte zu lernen. Das ist ja relativ einfach, weil es um Betrug und nicht um falsche Gesetzgebung geht. Insofern ist die Interpretation der Gesetzgebung hinsichtlich der betrügerischen Absichten eigentlich eindeutig abgegrenzt. Dass das Gebaren rechtswidrig ist, ist völlig klar.

Es ist gut, dass wir jetzt einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Allerdings steht in der Antragsbegründung ein Wort, das mich ein bisschen irritiert hat; dort ist nämlich von einem „Ermittlungsbeauftragten“ die Rede. Meine Sorge ist, dass wir in dem Untersuchungsausschuss sehr viel beauftragen und sehr wenig selber tun. Mein Anspruch an den Untersuchungsausschuss ist aber, dass wir selbst Aktenstudium betreiben, um eigenständig urteilsfähig zu werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass wir dabei neben der Exekutive die Betrüger nicht vergessen, ist sicherlich eine wichtige Aufgabe des Parlaments. Gelingt uns das, haben wir eine Gesamtschau dessen, was auf dem Markt passiert ist; dann kommen wir sicher zu guten Ergebnissen, verbunden mit der Hoffnung, dass wir daraus auch gesetzgeberische Konsequenzen für die Zukunft ableiten können.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Wort hat der Kollege Philipp Graf Lerchenfeld für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6249837
Wahlperiode 18
Sitzung 144
Tagesordnungspunkt Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
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