Joachim PoßSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Kauder, vielleicht können wir uns auf Folgendes verständigen: Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen rechten, teilweise auch rechtsextremen, nationalistischen Populisten und linken Populisten – dafür gibt es verschiedene Beispiele im europäischen Umfeld –: Sie bieten den Menschen eines nicht, sie bieten den Menschen keine realitätstüchtigen Antworten. Sie predigen die Flucht aus der Verantwortung in den Nationalismus, in eine nationalistische Sackgasse.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)
In dieser Sackgasse finden die Menschen keine Sicherheit und auch keine Arbeitsplätze. Das ist die Realität, die wir hier ansprechen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da, glaube ich, müssen wir in der Tat, soweit es eben geht, trotz aller unterschiedlichen Akzente zusammenarbeiten. Das heißt nicht, dass wir uns gegenseitig schonen müssen, wenn es wie in Polen zu offenkundigen Verfassungsbrüchen kommt. Wenn sich führende Mitglieder der Regierungspartei PiS im Stile politischer Desperados bewegen, dann muss Europa mit allen Möglichkeiten des europäischen Rechts dagegen einschreiten.
(Beifall bei der SPD)
Wir haben diese Möglichkeiten des europäischen Rechts.
Das gilt auch für das, was Herr Orban zu verantworten hat. Das hat zwar immer wieder zu Nachfragen aus Brüssel, aber nicht, glaube ich, zu einer eindeutigen und politisch notwendigen Abrechnung mit Herrn Orban geführt. Er war nämlich sozusagen der Vorgänger dessen, was jetzt in Polen passiert. Alles gemeinsam untergräbt unsere Handlungsfähigkeit in Europa, die allerdings dringend benötigt wird, gerade im Epochenjahr 2015.
Die Frau Bundeskanzlerin, Herr Oppermann und andere haben die Krisen aufgeführt. Diesen Krisen müssen wir uns parallel stellen. Wir können nicht sagen: „Wir müssen jetzt erst die Flüchtlingskrise und dann den Terrorismus usw. angehen“, sondern wir müssen gleichzeitig auch in der Wirtschafts- und Währungsunion vorankommen. Es ist ja nicht so, dass uns in den letzten Jahren nicht einiges gelungen wäre. Wir sollten nicht verschweigen, dass wir kräftig vorangekommen sind. Wir sind sogar bei der Frage des Steuerdumpings vorangekommen, aber eben noch nicht weit genug, um den Menschen in Europa zu signalisieren: Auch wenn ihr uns teilweise euer Vertrauen entzogen habt, möchten wir mit der konkreten Arbeit, die wir leisten, verlorengegangenes Vertrauen in Europa zurückgewinnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Bewährungsprobe, vor der wir gemeinsam hier im Parlament – nicht nur in der Großen Koalition – stehen.
Eines ist passiert, Herr Kauder – das kann man ja in einzelnen Ländern beobachten –: Durch das verstärkte Aufkommen des politischen Populismus und des Extremismus in Europa sind der Wille und die Fähigkeit, die genannten Probleme anzupacken, in vielen Staaten gesunken. Wir müssen Obacht geben, dass der Wille und die Fähigkeit, uns mit der Flüchtlingsproblematik und mit anderen Themen auseinanderzusetzen, nicht auch in Deutschland sinken, weil man zu sehr nach Rechtsextremen oder rechten Kräften schielt. Auch das können wir ja feststellen, auch in Deutschland.
Natürlich sollten wir nicht verschweigen, dass wir von Frankreich, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, eine größere Solidarleistung erwarten. Ich füge für mich hinzu: Es bringt nichts, Sicherheit gegen wirtschaftliche Stabilität auszuspielen, wie es teilweise geschieht. Das alles macht Europa nicht stärker. Das alles vergrößert nicht die Handlungsfähigkeit in Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn man ehrlich ist, stellt man fest: Die wachsende populistische Gefahr konzentriert sich gerade in einem so großen Land wie Frankreich – aber auch Beispiele aus Skandinavien zeigen das – besonders auf der Rechten. Damit will ich den linken Populismus, den wir zum Beispiel bei Syriza und anderswo sehen können, nicht verniedlichen. Ich setze mich auch mit ihm sehr offensiv auseinander, weil ich finde, wir dürfen es nicht durchgehen lassen, wenn es heißt, dass da sozusagen für Gerechtigkeit gekämpft wird,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
wenn den Leuten aber nur Scheinlösungen angeboten werden.
Wir müssen natürlich die realen Größenverhältnisse sehen, und wir müssen aus dem defensiven politischen Verhalten herauskommen. Teilweise ist es Angst, die wir sehen können. In Großbritannien ist es doch die pure Angst von Herrn Cameron. Er lässt sich doch von UKIP und vom rechtskonservativen Teil seiner eigenen Partei treiben, verheddert sich in Widersprüchen und fängt eine unfruchtbare Brexit-Debatte an, von der niemand in Europa etwas hat – Großbritannien übrigens, wie wir wissen, auch nicht.
Warum hat Herr Cameron denn nicht einmal den Versuch gewagt, seine Bürgerinnen und Bürger von den Vorteilen Europas zu überzeugen, zumindest von den wirtschaftlichen, und zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Handels zwischen Großbritannien und dem Land Nordrhein-Westfalen größer ist als die des Handels zwischen Großbritannien und dem Commonwealth-Land Indien? Dort ist, glaube ich, eine Situation entstanden, in der man keine Defensivhaltung mehr einnimmt. Das kann man in anderen Ländern in gleicher Weise sehen.
Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen uns an das halten, was Helmut Schmidt in seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag 2011 erwähnt hat. Helmut Schmidt sagte, dass das strategische Interesse der Mitgliedstaaten an der europäischen Integration zunehmend an Bedeutung gewinnt, den Nationen dieses Interesse von ihren Regierungen aber nicht ausreichend bewusst gemacht werde. Meine Damen und Herren, Helmut Schmidt hatte recht. Auch in Deutschland sollten wir ehrgeiziger werden, wenn es darum geht, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern deutlich zu machen, welches strategische Interesse wir an der weiteren positiven Entwicklung Europas und der Euro-Zone haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Der nächste Redner: Alexander Ulrich für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6299752 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 145 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |