Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa – insbesondere die europäischen Staaten – steht in diesen Zeiten vor der wohl größten Bewährungsprobe in seiner Geschichte. Das betrifft nicht Details des Binnenmarktes oder der Bankenunion, sondern ganz zentrale Fragen, wie zum Beispiel: Welche Antwort haben wir auf die nach wie vor vorhandenen ökonomischen Ungleichgewichte in Europa? Es geht aber auch um eine Antwort auf die Frage: Wie gehen wir mit den Terrorgefahren um? Und nicht zuletzt geht es natürlich auch um die Frage: Wie bewältigen wir gemeinsam die Flüchtlingsbewegungen auf der ganzen Welt?
Meine Damen und Herren, wenn es noch einer Begründung für Europa bedarf, dann sind es genau diese großen Herausforderungen der heutigen Zeit. Gelegentlich wird ja gesagt: Europa muss sich neu erfinden. Wir brauchen eine neue Legitimation für Europa, weil zum Beispiel die junge Generation – Gott sei Dank – keine Schlagbäume an den Grenzen mehr kennt, weil sie die D-Mark nicht mehr kennt, sondern nur die gemeinsame europäische Währung, weil die Erfahrungen aus zwei Weltkriegen unserer Generation und denen, die nach uns kommen, fehlt. – Wenn es noch einer Legitimation für ein gemeinsames Europa bedarf, dann sind es genau die Herausforderungen, die wir heute zu bestehen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich will das an einigen Punkten festmachen.
Der erste Punkt. Nach wie vor bestehen ökonomische Ungleichgewichte in den europäischen Staaten. In einer ganzen Reihe von europäischen Staaten ist die Arbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit hoch. In einigen Staaten fehlt es nach wie vor an Wettbewerbsfähigkeit. Da kann man sich fragen: Welche Maßnahmen sind da geeignet? Geht es darum, eine höhere Verschuldung zu akzeptieren? Dazu sage ich eindeutig Nein. Das ist nicht die richtige Antwort. Ist dieses Problem mit einer Vergemeinschaftung der Schulden zu lösen? Die Antwort darauf ist ein ebenso klares Nein. Deshalb haben wir uns erfolgreich gegen Euro-Bonds gewandt.
Eine weitere Frage: Gelingt es mit einer Vergemeinschaftung der Risiken – Stichwort „Einlagensicherung“? Auch darauf antworte ich mit einem deutlichen Nein. Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie in ihrer Regierungserklärung auch dazu eine klare Position bezogen hat. Eine Vergemeinschaftung der Risiken kann nicht die Lösung der Probleme der europäischen Staaten sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich bin der festen Überzeugung: Jedes Land muss seine eigenen Hausaufgaben machen, um wettbewerbsfähig zu sein. Wir haben das gemacht mit unserer Politik der Reformen, mit unserer Politik, keine Steuererhöhungen und keine zusätzlichen Belastungen der Wirtschaft vorzunehmen, immer mit dem Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft: keine neuen Schulden, sondern Abbau der Verschuldung. Genau das ist der richtige Weg. Das ist auch für andere Staaten ein Vorbild. Und, ja, es ist ein Vorbild für ganz Europa. Das dürfen wir uns nicht wegdiskutieren lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])
Es ist vorhin mehrfach die Frage angesprochen worden: Haben die Sparpolitik, die Stabilitätspolitik in Europa dazu geführt, dass in Frankreich oder auch in anderen Ländern die rechten, die extremen Parteien gewonnen haben? Meine Damen und Herren, diese Begründung, dieser Schluss ist zu einfach. Ja, ich möchte fast sagen: Das ist billig, und das ist auch nicht sachgerecht. Richtig ist, dass sich extreme Parteien, egal ob rechts oder links, dann etablieren, wenn die Probleme des Landes, die Probleme der Menschen nicht sachgerecht gelöst werden. Daraus müssen wir den Schluss ziehen: Wir brauchen sachgerechte Lösungen der Probleme. Das gilt für die ökonomischen Probleme genauso wie für die Flüchtlingsprobleme oder auch andere.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich will die Notwendigkeit gemeinsamer Politik an einem anderen Beispiel deutlich machen: Wie begegnen wir den Terrorgefahren? Dabei geht es um einen besseren Austausch der Informationen; dabei geht es um einen besseren Austausch von Fluggastdaten; dabei geht es um das Austrocknen von Finanzquellen des Terrorismus; dabei geht es nicht zuletzt auch um die gemeinsame Bekämpfung des IS und unsere Unterstützung, die wir in der letzten Sitzungswoche in Bezug auf Frankreich beschlossen haben. Da ist Solidarität gefragt.
Wir müssen uns aber auch immer wieder vor Augen halten: Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze, sondern sie gehören zusammen. Das eine ist ohne das andere nicht sicherzustellen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist unsere Aufgabe, es ist die originäre Aufgabe eines freiheitlichen Rechtsstaats, immer dafür zu sorgen, auch unter schwierigen Bedingungen. Dazu gehört eine gute, ja, eine optimale personelle und sachliche Ausstattung unserer Sicherheitsdienste. Dazu gehört aber genauso eine enge internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste. Ohne dieses ist die Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger nicht zu gewährleisten. Auch das gehört zum Gedanken „Freiheit und Sicherheit“.
Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, in den Haushaltsberatungen die entsprechenden Beschlüsse zu fassen. Ich bin auch sehr froh, dass einige Länder, insbesondere Bayern, am selben Strang ziehen, und würde mich freuen, wenn auch andere Länder ihre Versäumnisse in den letzten Jahren gerade bei der Ausstattung der Sicherheitsbehörden nachholen würden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch dies ist eine Aufgabe, die nicht nur national, sondern eben auch international und europäisch zu bewerkstelligen ist.
Das Gleiche gilt für die große Aufgabe der Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen. Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung. Das zeigen wir tagtäglich durch die Mitarbeiter der Behörden, der Kommunen, aber auch durch die vielen Ehrenamtlichen in den Städten und Gemeinden, denen wir sehr dankbar sind. Das können wir nicht oft genug sagen.
Aber der gute Wille alleine reicht nicht. Wir müssen auch erkennen, dass unsere Aufnahmekraft und Integrationskraft begrenzt sind und dass wir deshalb alles tun müssen, um die Flüchtlingszahlen zu reduzieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])
Dazu haben wir eine ganze Reihe von nationalen Entscheidungen getroffen. Die meisten sind schon in Kraft; einige sind noch auf dem Weg. Ich appelliere an die Länder, die das alles mitentschieden haben, dass das, was entschieden wurde, auch tatsächlich durchgeführt wird, beispielsweise die Umstellung auf Sachleistungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen, um Fehlanreize zu verhindern, oder die konsequentere Rückführung derjenigen, die keine Anerkennung als Flüchtling oder Asylberechtigter haben.
Ich möchte aber auch betonen, dass die Hauptarbeit natürlich im internationalen und europäischen Bereich liegt. Da würde ich mir schon ein Stück mehr Solidarität der europäischen Staaten wünschen, als das bislang zum Ausdruck gebracht wurde.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es kann nicht sein, dass Europa von einigen Staaten nur als sogenannte Zugewinngemeinschaft verstanden wird. Wir sind keine Zugewinngemeinschaft. Dieses Europa ist stark geworden und immer noch stark, weil es eine Wertegemeinschaft ist und weil immer wieder, gerade in schwierigen Situationen, darum gerungen wurde, dieses zum Ausdruck zu bringen und Solidarität zu zeigen. Das müssen wir jetzt auch in diesen Fragen mit einfordern.
Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie bei den offenen Fragen – ob es um die Sicherung der EU-Außengrenzen, die Entscheidung über die Hotspots oder die Verhandlungen mit der Türkei geht – immer an vorderster Front mitarbeitet, um das Ziel „weniger Flüchtlinge“ zu erreichen.
Eines will ich noch dazu sagen: Natürlich ist auch die Bekämpfung der Fluchtursachen international notwendig. Aber ich finde es nicht angebracht, wenn ein Zusammenhang zwischen den sogenannten Agrarsubventionen der Europäischen Union und den Zuständen in den Flüchtlingslagern hergestellt wird. Das ist nicht sachgerecht. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, die Landwirte gegen die Flüchtlinge auszuspielen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann halt jeden Euro nur einmal ausgeben! Sie sollten das wissen!)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind ein buntes Land geworden, nicht erst in den letzten Tagen und Wochen, sondern schon seit Jahrzehnten, ein Land, das nach dem Krieg schon viele, die aus anderen Ländern gekommen sind, integriert hat. Diese Aufgabe ist in manchen Bereichen gut und in anderen Bereichen weniger gut gelöst worden. Aber im Grunde genommen können wir auf diese Leistung auch stolz sein, nicht nur wir, die schon da waren, sondern auch diejenigen, die gekommen sind.
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])
Jetzt haben wir aber eine noch viel größere Verantwortung durch die Aufgabe der Integration derjenigen, die aus anderen Kulturkreisen kommen, die mit anderen Werten aufgewachsen sind. Diese Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir nicht nach Europa abschieben, sondern sie müssen wir selbst erfüllen, unsere Gesellschaft hier. Ich lade Sie ein und bitte Sie darum, daran gemeinsam aktiv mitzuwirken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat die Kollegin Annalena Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6299783 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 145 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |