16.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 145 / Tagesordnungspunkt 2

Michael StübgenCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Ende dieser Debatte kurz zwei Themen ansprechen, die möglicherweise dem einen oder anderen etwas theoretisch anmuten, die aber nach meiner Überzeugung für die Zukunft der Europäischen Union von fundamentaler Bedeutung sind. Diese Themen werden indirekt auch beim bevorstehenden Europäischen Rat eine Rolle spielen.

Einerseits versteht sich die Europäische Kommission als politische Kommission. Sie versteht sich als Motor der europäischen Entwicklung. Sie versteht sich als eine Institution, die dazu da ist, die weitere Vertiefung der Europäischen Union voranzutreiben. Im Übrigen unterscheidet das diese Europäische Kommission nicht wesentlich von allen ihren Vorgängern. Ich will das gar nicht kritisieren; denn es ist ein wesentlicher Bestandteil der Europäischen Union, dass die Kommission versucht, mit ihren Vorschlägen voranzugehen. So ist das ganze System ja auch organisiert.

Die Europäische Kommission hat aber auch noch eine andere fundamentale Aufgabe: als Hüterin der europäischen Verträge. Zwischen diesen Aufgabenfeldern, einerseits die Europäische Union voranzubringen und andererseits für die Rechtsdurchsetzung im Sinne der Rechtsgemeinschaft zu sorgen, hat das Missverhältnis in den letzten Jahren zugenommen. Wenn dieses Missverhältnis nicht reduziert wird, besteht möglicherweise Sprengkraft für die Europäische Union insgesamt. Die Rechtsdurchsetzung durch die Europäische Kommission funktioniert einerseits erstaunlich detailliert: Wenn ein deutscher Landwirt seine Wiese zwei Wochen zu früh mäht, muss er Strafe zahlen. Das ist auch richtig so; denn er hat Geld dafür bekommen, dass er sie zwei Wochen später mäht. Wenn aber, wie 2011 geschehen, ein europäisches Land – in diesem Fall Griechenland – vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, weil es nicht die fundamentalen humanitären und sozialen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass Flüchtlinge, die in dieses Land kommen, anständig untergebracht und versorgt werden, dann passiert fünf Jahre nichts. Es ist eindeutig, dass Griechenland in diesem Fall fundamental europäisches Recht verletzt und nicht umsetzt. Aber die Europäische Kommission hat weder ein Vorverfahren noch ein Vertragsverletzungsverfahren noch irgendetwas anderes eingeleitet, um diese Missstände zu beheben. Schon vor fünf Jahren wäre es möglich gewesen, korrigierend einzugreifen.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Stattdessen haben wir nun das Problem, dass Schengen und Dublin insgesamt fundamental gefährdet sind. Der Europäische Rat wird sich morgen und übermorgen damit intensiv befassen und versuchen müssen, kurzfristig Lösungen oder zumindest Teillösungen zu finden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das bestehende Missverhältnis stellt ein Problem für die Durchsetzung europäischen Rechts und für die Zukunft der Europäischen Union dar. Zu diesem Schluss bin ich gekommen, als ich mir angehört habe, was Jean-Claude Juncker gestern vor dem Europäischen Parlament in Straßburg gesagt hat. Er hat offensichtlich mit Blick auf eine Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums zu dem Fünf-Präsidenten-Bericht, in dem es heißt, es sei wichtig, dass die politische Aufgabe der Kommission nicht ihrer Rechtsdurchsetzungsaufgabe als Hüterin der Verträge schadet, erklärt, er lässt sich die Kommission nicht durch die Mitgliedsländer schwächen, indem mehr auf eine unabhängige Rechtsdurchsetzung geachtet werden soll. Nach seiner Auffassung ist es so, dass alles, was zu entscheiden ist, politische Entscheidungen sind und dass die Europäische Kommission nur dem Europäischen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Vielleicht hat er es nicht so gemeint; aber man kann es so verstehen.

Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Es liegt nicht im Ermessen der Europäischen Union, selber festzustellen, wo das europäische Recht durchgesetzt wird und wo nicht,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und es liegt auch nicht im Ermessen des Europäischen Parlamentes, zu entscheiden, wo europäisches Recht durchgesetzt wird und wo europäisches Recht großzügig vernachlässigt wird. Wenn diese Europäische Union nicht als Rechtsunion funktioniert, dann wird sie scheitern. Dann wäre es nämlich eine Willkürunion,

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

und dann würde Recht von Opportunitätsüberlegungen ausgehend entweder mal durchgesetzt – ganz scharf und ganz straff – oder links liegen gelassen.

Leider zeigt der Fünf-Präsidenten-Bericht, über den wir schon mehrfach diskutiert haben, genau dieselbe Richtung auf. Ich will nur dieses eine Beispiel nennen: Die fünf Präsidenten kommen richtigerweise zu dem Ergebnis, dass eine Richtlinie von 2009 zur Einlagensicherung bisher – sechs Jahre ist es her – in fast der Hälfte der Mitgliedsländer nicht umgesetzt worden ist. Das heißt, fast die Hälfte der Mitgliedsländer ist ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, leistungsfähige und krisenfeste Einlagensicherungssysteme zu schaffen.

Anstatt jetzt nach Wegen zu suchen, wie diese Richtlinie in den Mitgliedsländern endlich umgesetzt werden kann – natürlich gibt es objektive Gründe dafür, dass das in Spanien und in Portugal noch nicht geschehen ist; insofern hat jeder Verständnis dafür –, kommt man auf die Idee, vorzuschlagen: Okay, lassen wir das. Dann machen wir eine europäische Einlagenrückversicherung. – Das heißt, wir verlagern die Haftung für mögliche Probleme in den Ländern, in denen die Richtlinie von 2009 nicht umgesetzt worden ist, auf die Europäische Union.

Auch hier muss eine Grenze gezogen werden; denn die Menschen in Europa und auch die Menschen in Deutschland werden es nicht akzeptieren, dass die Nichtumsetzung von europäischem Recht in den Mitgliedstaaten dazu führt, dass immer weniger Staaten, die noch leistungsstark sind, die Haftung für nicht umgesetztes Recht in den anderen Mitgliedstaaten übernehmen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Richtig!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf dem morgen beginnenden Europäischen Rat besteht die Möglichkeit, über leichte Korrekturen nachzudenken. Ich halte das für sehr notwendig, und ich wünsche der Bundeskanzlerin, die jetzt leider nicht mehr da sein kann, alles Gute für die wichtigen und wesentlichen Beratungen morgen und übermorgen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Detlef Seif hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6299853
Wahlperiode 18
Sitzung 145
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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