17.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 146 / Tagesordnungspunkt 4

Ralph LenkertDIE LINKE - Technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands

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Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kaufmann, es ist schön, dass Sie so loben, dass wir darüber zur Primetime diskutieren. Forschung ist wichtig. Deswegen hat die Bundesregierung wohl zehn Monate gebraucht, um sich eine Meinung über das Expertengutachten zu bilden. Das traf nämlich schon im Februar ein. Im Ausschuss wurde es am 25. Februar dieses Jahres vorgestellt, und schon nach zehn Monaten debattieren wir im Bundestag.

(Rainer Spiering [SPD]: Gut Ding will Weile haben!)

Im Schneckentempo ging es vorwärts. Plötzlich, holterdiepolter, setzen Sie dieses Thema zur besten Debattenzeit kurz vor Weihnachten auf die Tagesordnung. Warum wohl?

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Weil es wichtig ist! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das jetzt falsch?)

Seit Jahren steht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Kritik. 80 Prozent der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten mit befristeten Verträgen. Die Hälfte der Verträge ist kürzer als ein Jahr. Das Wichtigste für Forschung und Innovation sind aber unsere Nachwuchswissenschaftler.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Alles erledigt!)

Geringe Verdienste in Teilzeit und unsichere Zukunftsaussichten wegen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes machten aus dem Traumjob Wissenschaft oft einen Alptraum. Im Frühjahr, zur GEW-Konferenz, versprachen alle im Bundestag vertretenen Parteien, dieses Gesetz zu verbessern. Betroffene, GEW, Verdi und die Linke fordern drei Jahre Mindestvertragslaufzeit für Doktoranden,

(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Haben Sie überhaupt gelesen, worüber wir diskutieren?)

zwei Jahre Mindestlaufzeit für sonstige Befristungen, mehr Familienfreundlichkeit und vor allem garantierte Arbeitszeitanteile für die Qualifikation. Diese Forderungen sind gut und richtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Hunderttausende Betroffene warten sehnsüchtig auf die Korrektur des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das machen wir heute Abend! – Dagmar Ziegler [SPD]: Ihre Rede ist auch zehn Jahre alt!)

SPD und Union versprachen Besserung. Versprochen, gebrochen! Heute Abend gegen 20 Uhr werden Sie in 25 Minuten Ihre peinliche Änderung durchpeitschen, die im besten Fall den Missbrauch erschwert. Sie sind zu feige, sich in einer echten Debatte und zu diesem Zeitpunkt unseren Argumenten und Ihrem Versagen beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb haben Sie den Tagesordnungspunkt zum Expertengutachten aufgesetzt. Wie erbärmlich!

(Widerspruch bei der SPD)

Nun zum Bericht der Bundesregierung. Forschung und Innovation sind unbestritten wichtig. Das Expertengutachten beschreibt Erfolge und Defizite. Letzteres fehlt rein zufällig im Bericht der Bundesregierung. Der Anteil der Forschungsausgaben am Umsatz kleiner und mittlerer Unternehmen sinkt seit Jahren. Wenn wir über den Mittelstand sprechen, dann reden Sie davon, dass er das Rückgrat unserer Wirtschaft ist. Aber an dieser Stelle haben Sie versagt. Das muss sich wieder ändern. Deswegen muss das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand deutlich mehr Geld erhalten. Die Forschungskooperationen mit Fachhochschulen müssen deutlich ausgebaut werden. Man darf sich nicht wie Sie nur auf die Spitzenforschung konzentrieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Die Forschungsförderung für den Mittelstand steigt enorm!)

Die Regierung schwärmt von Industrie 4.0 und der digitalen Vernetzung der Gesellschaft. Cyberkriminelle verursachen unserer heimischen Wirtschaft jährlich Schäden von mehr als 50 Milliarden Euro. Die Verluste der Firmen kosten gleichzeitig Millionen an Steuergeldern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere ohne Namensnennung aus einer von vielen Mails der letzten Monate:

Sollten Sie heute von der E-Mail-Adresse ... @gmail.com eine Mail erhalten, bitten wir Sie, diese zu löschen. Es handelt sich um einen Spamaccount. Mit freundlichen Grüßen  Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro  Platz der Republik 1

Der Bundestag war im Frühsommer Ziel eines Cyberangriffs. Ein Trojaner killt Daten öffentlicher Behörden in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern. Im Expertenbericht wird dieses Problem benannt. Und die Reaktion der Bundesregierung? Ganze 36 Millionen von 15 Milliarden Euro Forschungsmitteln geben Sie für IT-Sicherheitsforschung aus. Folgen Sie den Empfehlungen Ihrer Experten: Mehr Geld für zivile Datensicherheit!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das hilft den Unternehmen und bringt auch mehr Steuermittel.

Gleich im ersten Punkt fordert das Expertengutachten eine bessere und gleichmäßigere Forschungsförderung. Recht haben die Experten. Die Vergabe von Forschungsmitteln nach Exzellenzinitiativen ist ungerecht. Als Techniker rechne ich gern nach: Baden-Württemberg erhält pro Jahr 120 Millionen Euro Exzellenzmittel; das macht 11 Euro je Einwohner. Rheinland-Pfalz erhält 4 Millionen Euro; das macht 1 Euro je Einwohner. Meine Heimat Thüringen erhält 1,9 Millionen Euro; das macht 0,8 Euro je Einwohner. Ihre Heimat, Frau Ministerin Wanka, Sachsen-Anhalt bekommt gar nichts. Ihre Exzellenzinitiative stärkt die Starken und schwächt den Rest. Das geht schief, wie es schiefgeht in einem Ruderboot mit zwei Ruderern, in dem der eine doppelte Ration bekommt und der andere hungert: Irgendwann rudert einer allein.

(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Zusammen zu rudern, wäre für beide besser.

Deshalb fordert die Linke ein Ende der Exzellenzinitiativen und eine höhere Grundfinanzierung für Forschungseinrichtungen und Hochschulen in allen Bundesländern.

(Beifall bei der LINKEN)

Sollten Sie jetzt die Vorschläge Ihrer eigenen Kommission und die meiner Fraktion aufnehmen,

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das wäre verheerend!)

dann wäre diese Debatte doch nicht umsonst gewesen.

Frohe Weihnachten.

(Beifall bei der LINKEN)

René Röspel ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6302857
Wahlperiode 18
Sitzung 146
Tagesordnungspunkt Technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands
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