Niels AnnenSPD - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass wir heute den Bundeswehreinsatz Resolute Support verlängern werden,
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir nicht!)
ist sicherlich keine gute Nachricht.
(Zuruf von der LINKEN: Das ist richtig!)
Das ist kein Grund zur Freude, weil sich Afghanistan in den letzten Jahren nicht so entwickelt hat, wie wir uns alle das erhofft haben. Wir alle haben hart für den Erfolg gearbeitet. Dass er nicht wie erwünscht ausgefallen ist, ist vor allem für die Menschen in Afghanistan eine bedrückende Situation. Dennoch ist die Lage nicht nur schwarz-weiß. Deswegen ist es zumindest für die Mehrheit in diesem Hause keine Option, die Fortschritte, die es auch in Afghanistan gegeben hat, einfach zu ignorieren.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das tut keiner!)
Es ist für uns keine Option, das Land einfach seinem Schicksal zu überlassen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das tut auch keiner!)
Die Verlängerung und die Aufstockung von Resolute Support, die wir heute beschließen werden, sollen aus meiner Sicht zwei deutliche Botschaften transportieren.
Die erste Botschaft lautet: Wir stehen zu unserer Verantwortung in Afghanistan. Vor allem lassen wir die Menschen in Afghanistan in dieser schwierigen Situation nicht allein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die zweite Botschaft ist mir genauso wichtig. Wir wissen, dass die gegenwärtige Instabilität nicht nur etwas mit den Aktivitäten der Taliban zu tun hat. Sie hat auch etwas mit der Instabilität der afghanischen Regierung zu tun. Deshalb richtet sich die zweite Botschaft auch an den Präsidenten und den CEO in Afghanistan: Legt endlich eure internen Streitigkeiten bei! Denn auch das hat zur Instabilität beigetragen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Henning Otte [CDU/CSU])
Der Fall von Kunduz war auch für uns ein Schock; denn die Bundeswehr und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit waren in dieser Region ganz besonders aktiv. Es war vor allem für die Menschen in Afghanistan ein Schock, weil es das erste Mal war, dass eine Großstadt zwischenzeitlich an die Taliban gefallen ist. Ich will versuchen, diese Entwicklung in den Kontext zu stellen. Jedem war doch klar, dass es mit dem Ende des Kampfeinsatzes der internationalen Gemeinschaft, mit dem Ende von ISAF, eine Offensive der Taliban geben würde. Das war quasi eine Einladung zu einem bestimmten Datum und war in gewisser Weise absehbar.
Obwohl es Rückschläge gegeben hat, muss man an dieser Stelle sagen: Die afghanischen Sicherheitskräfte, vor allem die afghanische Polizei, die afghanischen Armeeangehörigen, sind in den letzten Jahren und auch in diesem schwierigen Jahr in der Lage gewesen, diese Angriffe abzuwehren und für die Sicherheit in Afghanistan zu sorgen. Ja, es gibt die negativen Bilder – wir haben darüber häufig diskutiert –; aber es gibt eben auch Grund zur Hoffnung, weil sich die afghanischen Sicherheitskräfte bewährt haben, vor allem aber, weil es in Afghanistan selbst Fortschritte gibt.
Es geht mir nicht darum, dass wir nach so vielen Jahren, in denen es in diesem Haus – seien wir ganz ehrlich – manchmal ritualisierte Debatten gab, zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns alle einig darüber sind, was in der Vergangenheit richtig und was in der Vergangenheit falsch war. Die Diskussion darüber ist legitim. Aber meine Bitte ist, dass wir auch wegen der Menschen in Afghanistan, die die Diskussion hier über die sozialen Medien verfolgen, dazu kommen, uns ein bisschen ehrlicher auch über die wichtigen Fortschritte zu unterhalten. Das jedenfalls ist mein Appell an die Teile der Opposition, die diesem Einsatz nicht zustimmen werden.
Herr Kollege Annen, darf der Kollege Ströbele eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung machen?
Das darf der Kollege Ströbele gerne tun.
Bitte, Herr Ströbele.
Herr Kollege Annen, ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie behaupten, dass die Rückeroberung von Kunduz ein Beweis dafür ist, wie stark und funktionsbereit die afghanischen Kräfte sind. Können Sie mir bestätigen, dass diese Rückeroberung überhaupt nur gelungen ist durch einen massiven Einsatz von US-Sondereinheiten und durch massive Bombardierungen, unter anderem des dortigen Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen, mit unendlich vielen zivilen Opfern? Können Sie bestätigen, dass das der Grund für die Rückeroberung von Kunduz war und dass das kein Beweis dafür ist, dass die afghanische Armee und die afghanische Polizei in der Lage sind, zu kämpfen?
Nehmen Sie des Weiteren zur Kenntnis, dass sie nicht mehr kämpfen wollen, weil die afghanischen Kräfte kriegsmüde sind, dass jedes Jahr zwischen 20 und 30 Prozent von ihnen, unter anderem auch solche, die von Deutschen ausgebildet worden sind, weglaufen? Sie laufen zu den Taliban über, bleiben einfach zu Hause, fliehen nach Europa oder machen sonst etwas. Wollen Sie das zur Kenntnis nehmen, oder wollen Sie auch die nächsten 14 Jahre die Situation in Afghanistan schönreden? Der Krieg dort ist verloren. Wollen Sie der Bundesregierung nicht endlich den Auftrag geben, sich dort einmal dafür einzusetzen, dass substanzielle Verhandlungen in Gang kommen, statt sich immer nur auf die militärische Lösung zu konzentrieren? Jetzt kündigt die Ministerin auch noch an, dass der verstärkte Einsatz in Afghanistan lange dauern wird. Werden es weitere 14 Jahre sein oder doch weniger?
Herr Kollege.
Können Sie das beantworten?
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Lieber Herr Kollege Ströbele, ich bin nicht so ganz sicher angesichts der Frage, die Sie an mich richten, ob Sie meiner Rede zugehört haben.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hat er nicht!)
Von „schönreden“ kann überhaupt nicht die Rede sein.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich habe im ersten Satz meiner Rede gesagt, dass es keinen Grund gibt, zufrieden zu sein. Ich habe darauf hingewiesen, dass es eigentlich ein trauriger Anlass ist, dass wir uns im Moment in der Lage sehen, darüber entscheiden zu müssen, den Einsatz fortzusetzen, statt ihn, wie wir es uns gewünscht haben, zu beenden.
Ein zweiter Punkt. Ich frage mich, woher Sie die Festigkeit in Ihrem Urteil nehmen. Ich habe ja nicht über Kunduz gesprochen, sondern darüber, dass es absehbar war, dass es mit dem Ende von ISAF eine große Offensive der Taliban und übrigens auch anderer oppositioneller Kräfte geben werde; sie hat auch stattgefunden. Diese Offensive hat aber nicht nur in Kunduz stattgefunden, sondern in vielen Provinzen Afghanistans. Dort hat es, wie in Kunduz, an der einen oder anderen Stelle Rückschläge gegeben. Das habe ich erwähnt. Insofern ist Ihr Vorwurf des Schönredens nicht aufrechtzuerhalten. Insgesamt sind die Sicherheitskräfte in der Lage gewesen, die Kontrolle über das von der Regierung gehaltene Territorium zu behalten. Das wäre nicht gelungen, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte nicht selber gekämpft hätten.
Das, was Sie erwähnt haben als weitere Unterstützung, ist nur für absolute Notfälle vorgesehen, und das ist ein absoluter Notfall gewesen. Es gibt keine Kampfoperationen der internationalen Gemeinschaft mehr, weder der Bundeswehr noch der amerikanischen Kräfte. Dass Sie jetzt indirekt unterstellen, die tragische Bombardierung eines Krankenhauses in Kunduz habe dazu beigetragen, die Stadt zurückzugewinnen, dem kann ich, ehrlich gesagt, intellektuell nicht folgen. Das ist ein tragischer Unfall gewesen,
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist aber kein Argument!)
den wir alle miteinander verurteilt haben. Sie haben die Hoffnung, die ich vorhin ausgedrückt habe, enttäuscht, dass wir ein bisschen realistischer und angemessener und vor allem im Sinne der Menschen über Afghanistan diskutieren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich möchte in der verbleibenden Zeit noch einen weiteren Aspekt in die Debatte einbringen. Wir haben wegen der Flüchtlingssituation in Deutschland auch eine Afghanistan-Debatte gehabt, die sich wiederum nicht an den Menschen in Afghanistan orientiert hat. Ich habe die Sicherheitslage angesprochen. Es stimmt, es gibt einige Regionen in Afghanistan, in denen die Lage glücklicherweise besser ist. Aber die Vorstellung, die es gegeben hat, man könnte jetzt in großem Rahmen Rückführungen von Flüchtlingen nach Afghanistan vornehmen, halte ich auch nach den Lageberichten unserer eigenen Botschaft für unrealistisch.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deswegen unterstützen wir die Botschaft, dass wir Afghanistan nicht alleine lassen – dafür bin ich der Bundesregierung dankbar –, auch durch eine intensive Informationskampagne in Afghanistan selber, indem wir über die Risiken dieser gefährlichen Flucht aufklären und darüber, dass viele der Versprechungen, die von kriminellen Schleuserbanden in Afghanistan verbreitet werden, eben nicht der Wahrheit entsprechen. Das verbinden wir mit dem Versprechen, dieses Land nicht alleine zu lassen. Dafür brauchen wir funktionierende Sicherheitskräfte, nicht nur die Armee, sondern auch die Polizei. Wir brauchen auch das psychologische Element, dass wir nach so vielen Jahren des Einsatzes in Afghanistan gerade dann, wenn es schwierig wird, diese Regierung nicht alleine lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, leicht fällt mir die Entscheidung nicht – ich glaube, das gilt für jeden von uns –, weil sie ein Stück Eingeständnis ist, dass wir nicht so weit gekommen sind, wie wir kommen wollten. Aber wenn Sie sich alleine anschauen, wie viele junge Mädchen und Jungen heute in Afghanistan zur Schule gehen, oder die erste Generation von Absolventen von Schulen und Hochschulen betrachten, die das Land heute schon verändert haben und die nicht akzeptieren werden, dass dieses Land in das Mittelalter der Taliban-Herrschaft zurückkehrt, dann erkennen Sie, dass es einen guten Grund gibt, diesem verantwortungsvoll formulierten Mandat zuzustimmen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte Sie um Zustimmung für dieses Mandat.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6303069 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 146 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support) |