Florian HahnCDU/CSU - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung der NATO-Außenminister vom 2. Dezember 2015, die Phase 1 der Mission Resolute Support aufrechtzuerhalten, stellt eine notwendige Kurskorrektur dar. Wir haben erkannt, dass die öffentliche Abzugsdebatte von 2011 ein gravierender Fehler war. Sie hat den Taliban ein wichtiges strategisches Gut in die Hände gespielt, den Faktor Zeit. Mit der Verlängerung setzen wir eine klare Botschaft: Die NATO-Ausbildungsmission wird nicht mehr strikt an starren Zeitspannen oder Personalobergrenzen ausgerichtet; wir passen unseren Einsatz in Zukunft an die Sicherheitsrealitäten im Land an. Zeit ist kein strategischer Vorteil der Taliban mehr.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Noch ein endloser Einsatz!)
Für uns heißt das: Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Kabul und in der Speiche Nord auch 2016 ausbilden, beraten und unterstützen. Zusätzlich ermöglicht die vorgesehene Anhebung der Personalobergrenze mehr Flexibilität hinsichtlich unserer Auftragserfüllung.
Mit einer Verlängerung der Phase 1 nehmen wir auch die afghanische Regierung stärker in die Pflicht. Der Reformprozess, beispielsweise die Wahlrechtsreform, muss weiter angekurbelt werden und die Korruption noch stärker bekämpft werden. Noch immer fehlt es an einem designierten Verteidigungsminister. Das ist ein fatales Zeichen angesichts der volatilen Sicherheitslage in Afghanistan. Die Rechnung ist ganz einfach: Die Taliban sind so stark, wie die Regierung schwach ist.
Im Rückblick muss man sagen, dass 2015 kein leichtes Jahr für Afghanistan war. Trotzdem dürfen wir nicht dazu neigen, zu schnell zu urteilen. Wir dürfen das Land nicht an den Kategorien unseres europäischen Sicherheitsverständnisses messen. Wir haben in Afghanistan viel erreicht: Heute ist Afghanistan kein Hinterhof mehr für islamistische Terroristen, die das Land als Ausgangsbasis für Anschläge gegen die freie westliche Welt nutzten; zudem hat ein kultureller Wandel in Afghanistan eingesetzt; es gab freie Wahlen; ein Großteil der Bevölkerung hat Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung und zu Strom; 7 Millionen junge Afghaninnen und Afghanen gehen in Schulen.
Die Kontinuität des NATO-Engagements ist daher auch ein Appell an die Afghanen, die heute ihr Land verlassen: Wir werden Afghanistan nicht im Stich lassen, aber das Land braucht gerade jetzt die zahlreichen jungen Afghaninnen und Afghanen, die in der Posttalibanzeit eine erste Bildung genießen konnten. Sie sind diejenigen, die das Land mit aufbauen müssen.
Ich hatte neulich erst eine Begegnung, ein Gespräch, das mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ich war in der sogenannten Wartezone Erding. An diesem alten Luftwaffenstandort, wo früher Tornados gestartet sind, hat die Bundeswehr zusammen mit dem Technischen Hilfswerk innerhalb kürzester Zeit die Hangars der Tornados zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut. 5 000 Betten stehen dort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mich hat ein junger Hauptmann angesprochen. Er hat gesagt: Herr Abgeordneter, ich war dreimal im ISAF-Einsatz. Ich bin Patrouille gefahren. Ich habe über 50 Kameraden in Afghanistan verloren. Heute verteile ich Handtücher und gebe Essen aus an junge, gesunde Afghanen. War dieser Einsatz umsonst? Haben wir unsere Arbeit nicht richtig gemacht? – Ein Soldat, der frustriert ist.
Die Situation ist ganz offensichtlich nicht in Ordnung. Allein im Oktober sind 31 000 Afghanen nach Deutschland gekommen. Die ganz überwiegende Zahl sind junge, gesunde Männer. Präsident Ghani sprach während seines Besuchs in Deutschland Anfang Dezember von „Push- und Pullfaktoren“ und warnte vor einem Massenexodus. Mögliche Migrationswillige würden aktiv rekrutiert, Fehlinformationen würden gezielt gestreut, und die Schleuserkriminalität verfestige sich.
Wir können nicht alle aufnehmen. Die Voraussetzung für Asyl als Grundrecht ist eine Einzelfallprüfung. Asyl bleibt ein Individualrecht. Es ist kein Recht, auf das sich ganze Völker berufen können. Sonst müssten wir uns fragen, ob wir auch ein pauschales Bleiberecht beispielsweise für Asylbewerber aus Mali oder Nigeria einrichten. Insgesamt leben weltweit rund 1 Milliarde Menschen in Konfliktgebieten wie diesen. Es kann daher kein pauschales Bleiberecht für alle geben.
Abschließend: Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können aus Fehlentscheidungen lernen. So richtig die Kurskorrektur jetzt ist, so kritisch müssen wir auch ihre Umsetzung evaluieren. Wir dürfen nicht noch einmal aufgrund einer zu früh versiegenden strategischen Geduld oder aufgrund innenpolitischen Drucks zu halben Lösungen tendieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Unser Engagement beispielsweise im Kosovo zeigt, wie wichtig es ist, einen langen Atem zu haben. Präsident Ashraf Ghani brachte in einem Zeitungsinterview den zu gehenden Weg sehr prägnant auf den Punkt: „Die Afghanen wollen Frieden, das bedarf Hartnäckigkeit.“
Die Verlängerung des Mandats ist daher richtig, und ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Bevor wir jetzt zur Abstimmung schreiten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass zu diesem Punkt mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung schriftlich vorliegen. Die Kollegin Marieluise Beck hat um das Wort gebeten.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6303208 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 146 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support) |