Katja KippingDIE LINKE - Fluchtursachen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kiesewetter, wenn Sie dem sogenannten Schlepperwesen wirklich die Geschäftsgrundlage entziehen wollen, gibt es ein ganz einfaches Mittel: Schaffen Sie einfach legale Flucht- und Einreisemöglichkeiten! Ich sage: Fähren statt Frontex.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum Thema Fluchtursachen. Wer Waffen in alle Welt verkauft, braucht sich nicht zu wundern, wenn diese Waffen anderswo Menschen in die Flucht treiben. Ja, Waffenexporte sind Fluchtursachen made in Germany, und damit müssen wir aufhören.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie werden nun womöglich einwenden, dass Deutschland gar keine Waffen direkt in die Länder verkauft hat, aus denen gerade besonders viele Menschen fliehen. Ja, die Wege der Waffengeschäfte sind oft verschlungen. Es gibt weltweit einen Schwarzmarkt für Waffen, und der größte Teil der Waffen, die dort gehandelt werden, besteht aus einst legalen Waffen. Im Laufe der Jahre wurden sie aber – sei es durch Korruption, durch Diebstahl, durch politische Umbrüche oder anderes – illegale Waffen, und sie kamen auf den Schwarzmarkt. So fanden sie ihren Weg in die verschiedenen Kriegsgebiete.
Die einzige Möglichkeit, diesen Schwarzmarkt für Waffen auszutrocknen, besteht darin, die ursprüngliche Quelle trockenzulegen, nämlich den legalen Waffenhandel, und deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Fluchtursachen bekämpfen heißt auch, alle Rüstungsexporte sofort zu stoppen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir reden über Fluchtursachen und wissen, dass es Bereiche gibt, in denen wir mehr Geld in die Hand nehmen müssen, zum Beispiel für die Flüchtlingscamps der UN.
Fluchtursachen bekämpfen heißt aber auch, das Falsche, das für die Entwicklungsländer Schädliche, zu unterlassen, zum Beispiel Land Grabbing. Der Begriff „Land Grabbing“ beschreibt eine sehr fragwürdige Praxis der Landaneignung. Lokale Machthaber verkaufen Land an internationale Konzerne, Banken und Fonds – allerdings ohne Rücksicht auf die Familien zu nehmen, die auf diesem Land seit Jahren leben und es bewirtschaften. Und wir reden hier nicht über eine kleine Dimension, sondern Schätzungen zufolge hat Land Grabbing eine Größenordnung von 50 bis 220 Millionen Hektar. Nur einmal zum Vergleich: Die gesamte EU verfügt über Ackerland in einer Größenordnung von 180 Millionen Hektar. Wir reden hier also über eine große Dimension.
Infolge von Land Grabbing, von Landraub, verlieren Familien ihre Lebensgrundlage, und sie haben oft nur die Wahl zwischen einem Leben in Slums oder der lebensgefährlichen Flucht. Wenn wir uns also dafür einsetzen, deutschen und europäischen Unternehmen und Banken die Beteiligung an dieser Form von Landraub zu verbieten, dann tun wir etwas Richtiges, um die Not in anderen Ländern abzubauen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Flüchtling Jan aus dem Kongo, dessen Familie selbst Opfer von Landraub wurde, hat die Situation in seiner Heimat für einen Dokumentarfilm, wie ich finde, sehr treffend auf den Punkt gebracht. Er sagt – ich zitiere –: Ihr nehmt uns unsere Lebensgrundlage, weil ihr unsere Rohstoffe ausbeutet, und unsere Regierungen nehmen uns unsere Zukunft, weil sie nicht auf Bildung setzen, sondern Raffgier vorleben. – Ich finde, das ist eine sehr treffende Beschreibung für die Komplizenschaft von westlichen Konzernen mit Machthabern vor Ort.
Nun gibt es ganz konkrete Schritte, die wir gehen können, um Fluchtursachen abzubauen. Wir schreiben darüber in unserem Antrag. Ich finde aber auch, dass wir die Augen vor einer Tatsache grundsätzlich nicht verschließen können: Unser Wohlstand hier basiert auf einer Ausbeutung dort. – Wer flüchtet denn schon freiwillig?
Frau Kollegin Kipping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Huber?
Mit Vergnügen.
Frau Kollegin Kipping, ich fühle mich geehrt. – Sie haben von Landraub und im Zusammenhang damit unter anderem über das Engagement von Rohstoffkonzernen in Afrika gesprochen. Daneben haben Sie auch in Bezug auf den Kongo von Rohstoffausbeutung gesprochen.
Vielen Dank für die Zusammenfassung.
In diesem Kontext haben Sie einen Antrag für die verbindliche Zertifizierung von Rohstoffen in den Ausschuss eingebracht.
Bis dahin ist alles richtig.
Ich bin jüngst im Kongo gewesen und habe mich dort mit Bergbauarbeitern unterhalten. Es gibt ein Äquivalent zu dem Antrag, den Sie eingereicht haben; das ist der Dodd-Frank Act, Artikel 1502.
Es ist folgendermaßen: Wenn Sie nach dem Prinzip Lessons Learned gehandelt hätten, dann hätten Sie feststellen müssen, dass allein in der Region Katanga 400 000 Minenarbeiter – also kleine Bergbauarbeiter – ihren Arbeitsplatz zugunsten von multinationalen Konzernen verloren haben.
Mir erschließt sich hier die Logik nicht. Auf der einen Seite wollen Sie das Kleinbergbauerntum unterstützen, die Fluchtursachen bekämpfen und dafür sorgen, dass die Leute ihre Arbeitsplätze behalten, und auf der anderen Seite unterstützen Sie – gewollt oder nicht – eine Strategie der multinationalen Konzerne, damit die Leute ihr Land und ihre Arbeitsplätze verlieren. Jetzt frage ich mich, wie diese Logik zustande kommt.
Dasselbe lässt sich natürlich auch übertragen. Ich denke hier daran, dass Sie immer eine Diskussion über die Kleinbauern anregen.
Herr Kollege Huber. Eine kurze Frage, bitte.
Meine Frage, genau formuliert: Welches ist die Logik, die Sie uns versuchen zu offenbaren, wenn Sie sagen, Sie unterstützen im Prinzip den kleinen Mann,
(Zurufe von der LINKEN)
obwohl Sie in der praktischen Auswirkung indirekt die multinationalen Konzerne unterstützen? Haben Sie das genau evaluiert?
Sehr geehrter Herr Huber, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Frage, weil ich in meinen vier Minuten Redezeit das Handeln der Bundesregierung nicht so kritisch im Detail würdigen konnte, wie Sie das getan haben. Sie sind ja Mitglied der Regierungsfraktionen. Sie wissen, dass in der Außenpolitik der Einsatz für entsprechende bilaterale und internationale Abkommen, zum Beispiel um die Beteiligung an Land Grabbing zu verbieten, in den Händen der Bundesregierung liegt, auf die Sie womöglich sogar Einfluss haben. Bisher hat die Regierung hier nichts gemacht.
Ich will auch darauf hinweisen, dass sich beispielsweise meine Fraktion im Entwicklungsausschuss dafür eingesetzt hat, dass die Praxis der DEG, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, einer kritischen Würdigung unterzogen wird, weil sie im Kongo multinationale Konzerne beim Land Grabbing unterstützt hat, was dazu geführt hat, dass Familien ihre Lebensgrundlage verloren haben. Ich sehe also Ihre Frage eher als eine Kritik an der bisherigen Politik der Bundesregierung. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Charles M. Huber [CDU/CSU]: Das ist falsch! – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das ist Dialektik!)
Noch einmal: Unser Wohlstand hier basiert auf einer Ausbeutung dort. Ich fand, dass die Losung der Refugee-Bewegung dies gut auf den Punkt gebracht hat: „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.“ Die vielen Menschen, die Grenzen unter Lebensgefahr überwinden, führen uns damit die Begrenztheit unserer Sichtweise auf unsere Art, zu wirtschaften, und unsere Art, Handel zu treiben, vor Augen. Insofern trägt die Fluchtbewegung eine Botschaft nach Europa: So, wie wir wirtschaften, wie wir konsumieren und wie wir Handel betreiben, so kann es nicht weitergehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6303430 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 146 |
Tagesordnungspunkt | Fluchtursachen |