17.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 146 / Tagesordnungspunkt 7

Ute Finckh-KrämerSPD - Fluchtursachen

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Als ich die beiden Anträge, über die wir jetzt hier diskutieren, gelesen habe, hatte ich das Gefühl, ich habe es kurz vor Weihnachten mit Wunschzetteln ohne Priorisierung und ohne Überlegungen dazu zu tun,

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wie sich die verschiedenen Forderungen eigentlich zueinander verhalten und wie sie in endlicher Zeit umsetzbar sind. Aus meiner Sicht wäre weniger mehr gewesen.

Ich möchte mit einer Situation beginnen, die uns allen vertraut klingt: eine gescheiterte Revolution in mehreren nebeneinander liegenden Ländern. Die Regierungen setzen Militär gegen die Revolutionäre ein. Viele von ihnen fliehen in Nachbarländer, um einer politischen Verfolgung zu entgehen, und dann, als die Repression in ihren Heimatländern anhält, weiter in ein Land, das seine Grenzen für diese Menschen weit öffnet. Viele von ihnen sind akademisch gebildet, stammen aus wohlhabenden Familien und integrieren sich schnell in die aufnehmende Gesellschaft. „ Wo Freiheit ist, ist Heimat“ ist ihr Grundsatz. Wer die Staatsbürgerschaft des neuen Heimatlandes erhält, mischt sich als Demokrat kräftig in die Politik ein. Einer von ihnen wird Innenminister.

Spätestens hier ist klar, dass es nicht um den Arabischen Frühling geht, sondern um ein historisches Beispiel. Die Rede ist von der gescheiterten Revolution 1848 in Deutschland. Das Zielland waren die USA. Der bekannteste 48er, wie sie bis heute genannt werden, der Innenminister wurde, war Carl Schurz. Wenn man Texte über ihn liest, wird er nicht als Flüchtling, sondern aus deutscher Perspektive als „Auswanderer“ oder aus US-amerikanischer Perspektive als „Einwanderer“ bezeichnet. Nach heutigen Kriterien wären die 48er eindeutig politische Flüchtlinge. Einen Teil des demokratischen Denkens, das sie mit in die USA genommen haben, haben wir im 20. Jahrhundert im Dialog mit den USA zurückbekommen.

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik hat gerade eine kompakte Stellungnahme dazu vorgelegt, was Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen kann. Dabei wird – das ist für unsere Diskussion wichtig – folgende Definition von Flucht zugrunde gelegt. Danach

ist Flucht eine Reaktion auf eine Bedrohung der physischen oder psychischen Integrität, die durch Krieg und Bürgerkrieg, Terror, Gewalt, Repression, Nahrungsmangel oder Naturkatastrophen verursacht werden kann.

Der Begriff wird gegen den Begriff der Migration oder der Aus- und Einwanderung, wie es früher hieß, abgegrenzt:

Auch wenn die Abgrenzung zu Flucht nicht immer eindeutig ist, sollte man von Migration sprechen, wenn Menschen gezielt außerhalb ihrer Heimat nach Möglichkeiten suchen, um ihre sozioökonomischen Lebensbedingungen zu verbessern.

Ich bin dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik außerordentlich dankbar dafür, dass es eine klare Definition von Flucht in die aktuelle Debatte um Fluchtursachen einbringt. Denn leider vermischen die vorliegenden Anträge Flucht und Migration und damit auch die Frage nach Flucht- und Migrationsgründen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht definieren wir es einfach anders!)

Unsere Debatte darüber, wie wir kurz-, mittel- und langfristig die Zahl der Flüchtlinge, aber nicht unbedingt die Zahl der Migranten weltweit verringern können, gewinnt an Schärfe und wird erschwert, wenn wir die Begriffe nicht klar definieren.

Die meisten Flüchtlinge und intern vertriebenen Menschen kommen aus Regionen, in denen Krieg und Bürgerkrieg herrschen. Sie hoffen auf ein Ende der Gewalt und eine Rückkehr in ihre Heimat. Daher bleiben die meisten im eigenen Land oder in der Region. Um ihnen kurzfristig zu helfen, gibt es drei wichtige Ansätze, und dabei spielt Außenpolitik eine große Rolle.

Ein Ansatz ist die Unterstützung von Waffenstillstands- und Friedensprozessen. In der Ukraine und in Libyen ist Deutschland sehr aktiv dabei, solche Waffenstillstandsprozesse als Voraussetzung für Friedensprozesse zu unterstützen. Auch in Syrien und im Irak spielt Deutschland zumindest auch eine wichtige diplomatische Rolle, unabhängig davon, wie der einzelne oder die einzelne von uns über die Militäreinsätze und die Unterstützung durch Waffenlieferungen in den Irak denkt.

Der zweite wichtige Punkt – das ist schon angesprochen worden und kommt auch in beiden Anträgen vor – ist die humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge. Da hat Deutschland nicht nur die eigenen Mittel im Bundeshaushalt 2016 deutlich erhöht, sondern Deutschland ist auch immer wieder Gastgeber für Geberkonferenzen und bemüht sich darum, dass andere Staaten oder die EU unserem Beispiel folgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung der Aufnahmeregionen in einer Form, die den Flüchtlingen und den Aufnahmegemeinden gleichermaßen zugutekommt, wird wiederum nicht nur von der Bundesregierung, also überwiegend vom BMZ, betrieben, sondern auch Kulturinstitutionen, Nichtregierungsorganisationen oder Landesregierungen sind dort aktiv, ganz aktuell die baden-württembergische Landesregierung mit einem Projekt für die Region Dohuk im Nordirak oder das Deutsche Archäologische Institut, das in Zusammenarbeit mit jordanischen Einrichtungen Qualifizierungsmaßnahmen für syrische Flüchtlinge in den Bereichen Restaurierung und Konservierung anbietet, und zwar in Zusammenarbeit mit jordanischen Handwerkern. Dieses Projekt wird aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert.

Mittelfristig brauchen wir keine Liste von Einzelmaßnahmen, sondern einen umfassenden Neuansatz für die Regionen, aus denen Flüchtlinge stammen. Dazu bedarf es eines internationalen Ansatzes, in dem alle, die irgendetwas dazu beitragen können – von internationalen Organisationen bis zur Zivilgesellschaft in den entsprechenden Ländern –, beteiligt werden. Es werden aber nicht nur demokratische und aus unserer Sicht vollakzeptable Gesprächspartner dabei sein können, sondern wir werden auch mit Regimen wie dem von Saudi-Arabien und des Iran verhandeln müssen – im Interesse der Menschen, die von Krieg und Bürgerkrieg betroffen sind.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Dr. Bernd Fabritius.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6303490
Wahlperiode 18
Sitzung 146
Tagesordnungspunkt Fluchtursachen
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