Claudia Lücking-MichelCDU/CSU - Fluchtursachen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von Ihnen kennen bestimmt den BBC‑Spielfilm Der Marsch von 1990. Er zeigt ein beklemmendes Szenario. Er erzählt von einer Gruppe hungernder Afrikaner, die sich auf die Flucht nach Europa begeben. Die Verantwortlichen in Brüssel sind hilflos, während der Anführer des Marsches seine Botschaft in Richtung Europa verkündet. Er sagt: Wir werden sowieso sterben; aber wir wollen, dass ihr uns dabei zuseht. – Als die Afrikaner schließlich mit ihren Booten die spanische Küste erreichen, treffen sie auf schwerbewaffnete Soldaten. Sie sind angekommen in der Festung Europa. – So weit der Film.
Heute ist „Flüchtling“ Wort des Jahres. Der Film von 1990 könnte ein Beitrag in den Tagesschauen von 2015 sein. Das Anliegen, man wolle und man müsse Fluchtursachen bekämpfen, ist zu Recht in aller Munde. Wenn Sie allerdings einen Antrag mit dem Titel „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“ einbringen, dann ist das – bei aller Liebe – ziemlich unverfroren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist unfair!)
Sie tun so, als ob das die Wirklichkeit in unserem Land widerspiegeln würde.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: An den EU-Außengrenzen!)
Was sagt die Kanzlerin, was bestimmt ihre Politik, und was ist Richtschnur für das Handeln dieser Bundesregierung? Es kommen keine Menschenmassen, sondern es kommen einzelne Menschen zu uns. Wie verhalten sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land? Jeden Tag treffen die Flüchtlinge auf großes Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Die Kommunen, die Kirchen und die vielen Ehrenamtlichen leisten unter schwierigsten Bedingungen Herausragendes. Aber Sie sprechen im Antragstitel davon, dass man hier Flüchtlinge bekämpft.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: An den EU-Außengrenzen!)
Da habe ich mich gefragt: Wo leben Sie eigentlich?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Lassen Sie uns über die Gründe für die Flucht reden. Wir haben heute Mittag schon vieles dazu gehört. Wir haben erfahren, dass es ganz unterschiedliche Gruppen von Gründen gibt: Kriege, militärische Konflikte und Verfolgung, das ist die erste Gruppe von Gründen. Die zweite Gruppe bilden Folgen des Klimawandels, Überschwemmungen und Dürren. Die dritte Gruppe umfasst die strukturellen Ursachen wie schlechtes Regierungshandeln, Armut, Ressourcenknappheit und das Versagen der verantwortlichen Eliten vor Ort. Eine weitere Gruppe von Ursachen – ja, da haben Sie recht – ist begründet in den Folgen der globalen Handelspolitik. Und da tragen wir Mitverantwortung.
Wenn wir jetzt darüber reden, wie man die Ursachen bekämpfen soll, dann gehört es eigentlich dazu, dass man auf die unterschiedlichen Ursachen mit unterschiedlichen Antworten und Strategien reagiert. Aber eines gilt aus meiner Sicht immer: Wer nachhaltig und sinnvoll Fluchtursachen bekämpfen will, der muss gute Entwicklungspolitik machen, und zwar immer und nicht nur in Krisenjahren. Und auch das ist zum Glück Richtschnur der Bundesregierung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben heute Mittag viel darüber gehört, was nicht gut läuft. Aber lassen Sie mich auch einmal anhand einiger Zahlen zeigen, was tatsächlich läuft. Wir haben den höchsten Etat in der Geschichte des BMZ, die stärkste Steigerung der ODA-Quote. Wir setzen damit Prioritäten. Damit wird deutlich: Es geht darum, in wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung vor Ort zu investieren, um Perspektiven für die Menschen in den Krisengebieten möglich zu machen. Die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit einem Etat von jetzt 7,4 Milliarden Euro für 2016 arbeitet in diesem Sinne am Erhalt von Lebensperspektiven und an der Schaffung von Zukunftsperspektiven. Mehr als 1 Milliarde Euro stellt das BMZ allein für direkte Flüchtlingshilfe zur Verfügung. Der Großteil geht in die Nachbarländer Syriens und nach Afrika. Insgesamt mehr als 12 Milliarden Euro werden voraussichtlich in dieser Legislaturperiode in Maßnahmen zur strukturellen Fluchtursachenbekämpfung angelegt worden sein. Geld allein ist zwar nicht alles, aber ohne Geld geht es auch nicht. Wir brauchen zusätzlich auch gute Konzepte. Es war sehr vorausschauend von unserem Bundesentwicklungshilfeminister, schon sehr früh drei Sonderinitiativen aufzulegen und darin einen Titel mit Fluchtursachenbekämpfung prominent zu benennen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Aber – wir haben es gehört – es kommt auch darauf an, langfristig zu handeln. Dazu dienen zum Beispiel ein Infrastrukturprogramm in Nahost, Nordafrika, Westafrika und der Ukraine mit weiteren 1,7 Milliarden Euro, ein Sonderprogramm „Gesundheit in Afrika“ mit 55 Millionen Euro und insgesamt weitere 600 Millionen Euro bis 2019 für die Entwicklung des Gesundheitssystems in Afrika.
Wir haben schon mehrfach gehört: Klima- und Entwicklungspolitik hängen zusammen, natürlich. Das brauche ich hier nicht weiter zu entwickeln; das kennen wir alle. Deshalb finanziert das BMZ den Großteil der in Paris vereinbarten Verdopplung von Klimaschutzmaßnahmen auf 4 Milliarden Euro jährlich bis 2020. Außer diesem finanziellen Einsatz – ich habe es deutlich gemacht – bedarf es dann auch guter entwicklungspolitischer Konzepte, und auch da hat das BMZ, haben wir aktuell vieles zu bieten.
Wer unterschiedliche Ursachengruppen benennt und auf unterschiedlichen Ebenen reagieren will, der kommt dann auch zu internationaler Verantwortung, zu Handelsfragen und Weiterem. Wenn ich mir dann aber angesichts all dieser Anstrengungen den Antrag der Linken ansehe und feststelle, dass Sie eigentlich nichts Besseres zu tun haben, als die Abscheu gegenüber den USA und die grundsätzliche Ablehnung gegenüber TTIP relativ undifferenziert in einem großen Textblock zu verrühren, dann muss ich sagen: Das ist mir doch zu sehr ideologisch und weltanschaulich geprägter Mischmasch.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Da steht schon noch mehr drin! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Die sind auch unbelehrbar!)
Meine Damen und Herren, die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge sucht Schutz in Nachbarländern. 90 Prozent von ihnen landen in Staaten, die ihrerseits instabil sind, und einen weiteren großen Block der Maßnahmen könnte man eigentlich am besten unter die Überschrift „Fluchtfolgenbekämpfung“ stellen. Denn es kommt darauf an, die Situation in den Flüchtlingslagern der direkten Nachbarstaaten von Syrien und dem Irak zu verbessern und – ganz wichtig – auch die Lage in den Staaten insgesamt zu stabilisieren. Auch hier ist das BMZ nicht untätig. Es entstehen Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Wir haben über die Bedeutung von Bildung insgesamt gerade schon einiges gehört. Wir können verweisen auf die Versorgung mit Trinkwasser, Abwasserinfrastrukturmaßnahmen, Beschulungsmöglichkeiten für Kinder oder auch auf die Tatsache, dass mindestens 15 000 Menschen im Irak wieder nachhaltig in Beschäftigungsstrukturen gekommen sind und eine Chance haben, für sich selber zu sorgen. Hier entstehen neue Lebensperspektiven. Aber: Während wir über Infrastrukturmaßnahmen und Bildung für Flüchtlinge in den Lagern reden – da stimme ich den Anträgen vollkommen zu –, herrscht dort Hunger, weil das World Food Programme nicht ausreichend finanziert ist. Das ist zugegebenermaßen ein echter Skandal.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Es ist gut, dass die Bundesregierung ihren Anteil übernommen hat, und es ist auch gut, dass sich die Bundeskanzlerin jetzt mit dem britischen Premier David Cameron in Brüssel dafür einsetzen will,
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das macht sie gut!)
die finanziellen Mittel für die Flüchtlingshilfe insgesamt wieder aufzustocken.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Meine Damen und Herren, im Film Der Marsch bleibt das weitere Schicksal der Afrikaner am Ende offen. Die letzte Szene: Die Gewehre der europäischen Soldaten sind auf die Ankömmlinge gerichtet. – Und in der Realität?
Der Bundesentwicklungsminister hat uns zugesagt, die so wichtigen Sonderinitiativen gegen Fluchtursachen zu verstetigen. Er hat deutlich gemacht, dass es eine Politik der Abschottung nicht geben darf und sie auch nicht sinnvoll und effektiv sein kann.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist noch einmal zu betonen: Die Basis für die Bekämpfung von Fluchtursachen ist, dass wir uns insgesamt global für mehr Gerechtigkeit einsetzen.
Auch wenn jetzt Weihnachten vor der Tür steht, die Zeiten, als Wünschen noch geholfen hat, sind vorbei. Aber weil Weihnachten vor der Tür steht, soll am Schluss der Hinweis erlaubt sein, dass es zwar nicht in unserer Macht steht, alle Probleme zu lösen, aber wir verantwortlich dafür sind, alles zu tun, was in unserer Macht steht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6303578 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 146 |
Tagesordnungspunkt | Fluchtursachen |