Sascha RaabeSPD - Fluchtursachen
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute schon oft angesprochen worden, dass neben Krieg und Bürgerkrieg vor allem Hunger und Armut die Menschen dazu zwingen, ihre Familien zu verlassen und meistens in benachbarten Entwicklungsländern unterzukommen. Aber sie riskieren zum Teil auch ihr Leben, um nach Europa zu reisen. „ Zu reisen“ ist zu schön ausgedrückt; denn sie riskieren in elenden Schlauchbooten von kriminellen Schleppern ihr Leben.
Wir Entwicklungspolitiker haben schon vor vielen Jahren gefordert, mehr Mittel zu investieren, um den Menschen Zukunftsperspektiven in ihren eigenen Ländern zu bieten. Ein afrikanisches Sprichwort besagt: „Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt.“ Deswegen sage ich: Es wäre sicher gut und richtig gewesen, wir hätten das 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungszusammenarbeit schon längst erreicht. Hätte man auf uns gehört, wäre den Flüchtlingen viel Elend erspart geblieben. Das können wir Entwicklungspolitiker auch einmal selbstbewusst hier sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber ein Blick zurück hilft natürlich nicht. Deswegen ist es gut, dass jetzt endlich Konsequenzen gezogen worden sind und wir mit einem Aufwuchs von 1,6 Milliarden Euro im nächsten Jahr für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit den nächsten Baum pflanzen. Das alles braucht Zeit. Entwicklungszusammenarbeit ist keine Feuerwehr, die schnell einen Brand löscht; denn wir legen langfristig Grundlagen für Perspektiven. Ich glaube, es ist gut, wenn sich jetzt alle einig sind, dass hier mehr getan werden muss.
Es ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage von gerechtem und fairem Handel. Der Kollege von der Union – er hat seinen Fernsehauftritt von zwei Minuten gehabt, er ist jetzt nicht mehr hier – hat vorhin gesagt, dass die Konfliktmineralien im Kongo nicht das Problem seien, dass man dort keine Zertifizierungen bräuchte. Das erzählt er im Ausschuss auch immer. Ich glaube, er hat vieles falsch verstanden. 125 Bischöfe weltweit und Misereor beklagen eindringlich, dass im Kongo Kinder in den Minen schuften müssen, Kinder als Soldaten versklavt werden, damit die Mineralien in unsere Smartphones und Handys kommen. Ich sage: Es kann nicht sein, dass an unseren Handys Blut klebt. Wir müssen dafür sorgen, dass das aufhört.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben in diesem Hause schon oft über die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie gesprochen, zum Beispiel über die Näherinnen in Bangladesch, die bei Fabrikeinstürzen zu Tode gekommen sind. Unsere Handelsvereinbarung spielt dabei natürlich eine große Rolle. Die Frage, wie man gute Regierungsführung gegenüber Entwicklungsländern durchsetzen kann, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Ich bin froh, dass das Thema im Antrag der Grünen auftaucht. Bei den Linken wird das ganz ausgeblendet. Gute Regierungsführung ist ein wesentlicher Aspekt, damit vor Ort gerechte und gute Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven herrschen. Wenn, wie in Bangladesch, ein Großteil der Regierung und des Parlaments mit der Textilindustrie im wahrsten Sinne des Wortes verwoben ist, dann hat es nur geholfen, dass die EU und die USA angedroht haben, die Zollfreiheit für die Produkte aufzuheben. Auf einmal sind die Behörden dort in die Gänge gekommen und haben die Gebäudesicherheit kontrolliert und weitere Maßnahmen unternommen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in den Verhandlungen über die Handelsabkommen, die wir jetzt abschließen – von TTIP angefangen über CETA bis hin zu den Abkommen mit Indien –, deutlich machen: Die Einhaltung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards, zum Beispiel aller acht ILO-Kernarbeitsnormen, der Arbeitnehmerrechte, sind für uns Voraussetzung dafür, dass Produkte nach Europa geliefert werden dürfen. Es kann doch nicht sein, dass wir das immer nur von technischen Standards abhängig machen, davon, ob etwa die Blinkerfarbe die richtige ist, die Schraube oder die Banane die richtige Größe haben. Genauso wichtig ist es doch, darauf zu achten, wie die Produkte hergestellt worden sind, und zwar ohne Kinderarbeit, mit fairer Bezahlung und nicht durch Ausbeutung von Arbeitern und Umwelt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir etwas ändern wollen – und wir wissen, dass der Handel, wie er jetzt ist, nun einmal nicht fair ist, liebe Kollegen von den Linken –, dann müssen wir die Chancen nutzen, die sich jetzt mit diesen Handelsabkommen bieten, um Globalisierung gerecht zu gestalten.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wir ziehen rote Linien; wir haben das auf dem Parteitag gemacht. Wir haben nicht gesagt: „Wir stimmen TTIP oder CETA zu“, sondern wir haben gesagt: Wir stimmen nur dann zu, wenn es dabei hilft, dass überall auf der Welt die Menschenrechte, die Arbeitnehmerrechte und die Umweltstandards eingehalten werden.
Wir ziehen rote Linien, Sie hingegen ziehen Gräben, die keinen Spielraum für einen erfolgreichen Abschluss lassen.
(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)
– Da Sie mir schon wieder widersprechen,
(Michael Brand [CDU/CSU]: Nein, die haben ja gar nicht zugehört!)
versuche ich, es so zu erklären, dass Sie es verstehen, liebe Kollegen von den Linken: Die Globalisierung in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wer jetzt die Chance nicht nutzt, die Globalisierung gerecht zu gestalten, den bestraft die Zukunft. Das ist genau der Punkt, über den Sie mal nachdenken müssten.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Na, denken ist schwierig!)
Es reicht nicht, alle Handelsabkommen von vornherein abzulehnen. Als Politiker muss ich doch den Anspruch haben, die Globalisierung zu gestalten, und zwar gerecht zu gestalten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wenn man das mit fairem Handel schaffen kann, dann sage ich: Wir brauchen Fairhandel statt Freihandel. Wir können nicht immer vor allem die Augen verschließen und sagen: Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann lege ich mich mit gutem Gewissen ins Bett. – Damit mache ich mir die Arbeit zu leicht.
Zum Abschluss möchte ich auf ein Beispiel hinweisen. Wenn Sie zu Weihnachten Schokolade und Süßigkeiten verschenken, denken Sie daran: 2,3 Millionen Kinder arbeiten auf Kakaoplantagen in Ghana und an der Elfenbeinküste. Die Schokoladenpreise sind in den letzten 20, 30 Jahren gleich geblieben. Auch das ist ein Skandal. Durch die Abkommen müssen wir auch dafür sorgen, dass keine durch Kinderarbeit erzeugte Schokolade aus Afrika zu uns kommt und dass die Arbeitsbedingungen dort endlich gerecht gestaltet werden; denn Weihnachten soll das Fest der Kinder sein und nicht der Kinderarbeit. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen schon heute faire Weihnachten und ein gutes, neues und friedliches Jahr.
Danke.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6303606 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 146 |
Tagesordnungspunkt | Fluchtursachen |