17.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 146 / Tagesordnungspunkt 10

Marcus HeldSPD - Stromsperren

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2014 wurde in Deutschland bei 352 000 Haushalten eine sogenannte Stromunterbrechung vorgenommen. Das ist ein trauriger Rekord. Wir beschäftigen uns seit vielen Monaten hier im Plenum des Deutschen Bundestags und in den Fachausschüssen mit diesem Problem.

(Caren Lay [DIE LINKE]: Dank der Anträge der Linken!)

Leider ist Ihr Antrag heute zu diesem Thema aber sehr kontraproduktiv.

(Zurufe von der LINKEN)

Wir müssen vielmehr das Ziel definieren, solche Versorgungsunterbrechungen infolge der Nichtzahlung der Stromrechnung im Interesse der Betroffenen zu vermeiden. Wie dies geschehen könnte, prüft das BMWi in einer Arbeitsgruppe mit den Ländern seit mehreren Monaten.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die prüfen wahrscheinlich noch in drei Jahren!)

Dabei stellt sich insbesondere die Frage: Können Prepaidstromzähler dazu beitragen, das Problem ein Stück weit einzudämmen? Wir als SPD-Fraktion möchten die Arbeitsgruppe höflich bitten, die Ergebnisse so schnell wie möglich vorzulegen.

(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nachdrücklich! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höflich bitten!)

Sie als Linke-Fraktion fordern allerdings in Ihrem Antrag, Stromsperren grundsätzlich gesetzlich zu verbieten.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

Dass das nicht geht, wissen Sie natürlich selbst; denn eine solche Regelung könnte jeden dazu einladen, seine Stromrechnung gar nicht erst zu bezahlen. Aber auch die Frage, wer den Stromkonzernen bzw. den Anbietern den Schaden ersetzt, wurde leider in Ihrem Antrag bisher nicht beantwortet. Vielleicht tun Sie es heute; denn ein Geschäft zulasten Dritter ohne entsprechenden Ausgleich infolge eines Gesetzes wäre wohl kaum verfassungskonform.

(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Machen Sie es doch!)

Zumindest ist mir das bisher nicht bekannt.

Wir brauchen vielmehr Verbesserungen in dieser Frage, aber mit Maß und Ziel; denn schon heute muss nach § 19 Absatz 2 Stromgrundversorgungsverordnung die Unterbrechung der Elektro- oder Gasversorgung verhältnismäßig sein. Eine Sperre ist nicht möglich, wenn der Betroffene das Versorgungsunternehmen und seinen Sozialleistungsträger über das Zahlungsproblem informiert hat. Eine denkbare Möglichkeit ist es deshalb, eine gesetzliche Mitteilungspflicht für den Energiedienstleister einzuführen, sodass dieser eine Information an die zuständige Sozialbehörde weitergeben muss, wenn sich entsprechende Zahlungsrückstände abzeichnen.

Es wäre aber auch denkbar, dass die Abschläge für die Stromrechnung direkt vom Sozialleistungsträger an die Energieversorger überwiesen werden. Das ist heute schon möglich. Allerdings ist dies für den Betroffenen, der Leistungen vom Jobcenter oder auch vom Sozialamt bezieht, nur fakultativ. Die Verbraucherzentralen empfehlen deshalb das Vorgehen der Abtretung schon seit langer Zeit gerade sozial schwachen Stromkunden, damit dieses Problem erst gar nicht entsteht.

Warum machen wir diese Abtretung nicht einfach zur Pflicht, was eine Lösung wäre? Wenn wir argumentieren, dass die Versorgung mit Strom und Gas „Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Wohnen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ ist, wie es in Ihrem Antrag wörtlich heißt

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Und zwar richtig heißt!)

– das teilen auch wir –, dann müssen doch die Sozialhilfeträger diese Kosten zuerst tragen.

Meine Damen und Herren, flankierend brauchen wir aber auch weitere Hilfe und Unterstützung für Menschen, die von sich aus das Thema Energiesparen nicht so sehr im Fokus haben, vielleicht weil sie es als Luxusproblem sehen und Luxus in ihrem Leben aufgrund der Rahmenbedingungen leider keine große Rolle spielen kann. Deshalb sollten wir den Austausch alter Kühlschränke gegen neue weiterhin fördern. Wir sollten Energieberatungen auch und gerade für einkommensschwache Haushalte zur Pflicht machen, und zwar in Zusammenarbeit mit den Sozialhilfebehörden.

(Beifall bei der SPD)

Hier gibt es schon sehr positive Beispiele, etwa in Jena, wo die Caritas einen Stromspar-Check anbietet, der von den Stadtwerken unterstützt wird. Haushalten, die von Arbeitslosengeld oder Grundsicherung leben, wird eine Energieberatung angeboten, und die Stromfresser im jeweiligen Haushalt werden gemeinsam ermittelt. Als Soforthilfen gibt es in Jena Zeitschaltuhren oder Energielampen im Wert von 70 Euro pro Beratung und einen Zuschuss von 150 Euro für die Anschaffung eines stromsparenden Kühlschranks.

Das knappe Gut Wohnraum in Deutschland, meine Damen und Herren, wird durch die Stromsperren zusätzlich vor Probleme gestellt. Denn eine Stromabschaltung ist nicht nur für den Mieter ein Problem. Auch der Eigentümer der Wohnung muss bei einer Stromabschaltung Schäden an seinem Eigentum befürchten, besonders wenn eine Stromheizung in der Wohnung vorhanden ist und die Wohnung bei einer Sperre dauerhaft auskühlt, sodass Schäden an der Substanz die Folge sein könnten.

Wir können die hohe Anzahl an Stromsperren in Deutschland dauerhaft nicht hinnehmen. Zu den etwa 350 000 Haushalten, die 2014 von Stromsperren betroffen waren, kommen rund 7 Millionen Haushalte in Deutschland hinzu, die 2014 angemahnt wurden bzw. denen eine Stromsperre angedroht wurde. Deshalb sollten wir gemeinsam als nächste Schritte anstreben, dass die Schwelle zur Abschaltung von jetzt 100 Euro erhöht wird. Die Kilowattstunde ist in den letzten Jahren nämlich bedeutend teurer geworden.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr redet seit zwei Jahren darüber!)

Auch müssen wir bereits jetzt berücksichtigen, dass für das neue Jahr 2016 weitere Preiserhöhungen der Stromversorger angekündigt sind und dies zu einer Zuspitzung des Problems führen kann.

Die weiteren Kriterien für eine Stromsperre sind bekanntermaßen glücklicherweise recht eng. Die Stromsperre muss schon heute vier Wochen vorher angedroht werden. Der Vollzug der Sperre ist drei Werktage vorher anzukündigen und nur in dem Fall möglich und rechtlich umsetzbar, wenn der Verbraucher dem Versorger nicht in Aussicht stellen konnte, dass er seinen Zahlungspflichten mittel- und langfristig nachkommt. Außerdem muss die Sperre verhältnismäßig sein. Das lässt sich in der Rechtsprechung weit auslegen.

Glauben Sie mir, als Vorsitzender einer ehrenamtlichen Tafel, die mehrere Tausend Bedürftige versorgt, und als aktiver Kommunalpolitiker habe ich regelmäßig mit diesem Problem zu tun. Sehr selten geht die Maßnahme darauf zurück, dass das Geld vom Sozialhilfeträger nicht hätte fließen können. Vielmehr haben sich die Betroffenen leider selten der Sache frühzeitig angenommen, und die Petenten kommen mit einem Haufen ungeöffneter Briefe in die Sprechstunde.

Deshalb: Wir müssen gemeinsam etwas tun, damit Strom und Gas fließen können und alle Menschen menschenwürdig leben können. Ihr Antrag befasst sich allerdings leider nicht sachlich mit dem Thema, sondern so, wie wir es von Ihnen allzu sehr gewohnt sind: Er versucht, dieses Thema unsachlich zu behandeln und populistisch zu nutzen. Daher müssen wir den Antrag heute leider ablehnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir bringen das Thema wenigstens auf die Tagesordnung! Das ist schon mal was!)

Vielen Dank, Kollege Held. – Die nächste Rednerin in der Debatte: Caren Lay für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6304415
Wahlperiode 18
Sitzung 146
Tagesordnungspunkt Stromsperren
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