18.12.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 147 / Tagesordnungspunkt 24

Christoph BergnerCDU/CSU - Kulturarbeit gemäß Bundesvertriebenengesetz

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorab: Wir alle mögen unsere Staatsministerin Monika Grütters. Aber bevor die Sehnsucht nach ihr den einen oder anderen zu einem Antrag auf Herbeizitierung verleiten könnte, will ich sagen: Sie muss im Moment im Bundesrat das Kulturgutschutzgesetz verteidigen. Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir respektieren sollten.

Nun zum vorliegenden Bericht. Seit 1999 vergibt die Europäische Kommission den Titel Kulturhauptstadt Europas, und sie tut es nach der Osterweiterung der Europäischen Union unter bewusster Einbeziehung von namhaften Städten unserer östlichen Mitgliedstaaten. Ich darf einige Städte der letzten Jahre einmal aufzählen: 2007 Hermannstadt, Sibiu, in Rumänien, 2010 Fünfkirchen, Pecs, in Ungarn, 2011 Tallinn, Reval, in Estland, 2013 Kosice, Kaschau, in der Slowakei, Riga in Lettland letztes Jahr, Pilsen in Tschechien in diesem Jahr und Breslau in Polen im nächsten Jahr.

Meine Damen und Herren, warum erwähne ich diese Kulturhauptstädte Europas im Zusammenhang mit der Diskussion unseres Berichtes? Es sind alles Orte, deren reiche Geschichte ohne den Beitrag deutscher Kultur unverständlich und unvollständig geblieben wäre. Es sind heute Orte europäischer Kultur, deren Wert ohne den Beitrag der Deutschen im Rahmen der europäischen Siedlungsgeschichte nicht darstellbar wäre, seien es die Siebenbürger Sachsen, seien es die Karpatendeutschen, die Ungarndeutschen, die Baltendeutschen oder im nächsten Jahr mit Breslau die Schlesier.

§ 96 des Bundesvertriebenengesetzes enthält den Auftrag – ich zitiere –:

das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, ...

Wenn wir diesen Auftrag richtig verstehen wollen, so sollten wir uns klar sein: Es geht darum, dass wir unseren deutschen Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Kulturerbe pflegen.

Gerade das kulturelle Erbe der Heimatvertriebenen, der deutschstämmigen Aussiedler und der deutschen Volksgruppen im Osten hat oft genug eine Entstehungsgeschichte und eine Dimension, die ein allein nationalkulturelles Verständnis überschreitet. Es leistet deshalb innerhalb der EU einen Beitrag zur Entwicklung eines kulturellen Identitätsbewusstseins, das sich immer weniger national und immer mehr europäisch versteht. Die Förderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz kann also einen Beitrag leisten, ein vorwiegend national bestimmtes Kultur- und Geschichtsverständnis durch ein europäisches Verständnis abzulösen.

Ich muss in diesem Zusammenhang nicht daran erinnern, welche Abgrenzungen genau mit einem immer stärker national verbundenen Kulturverständnis einhergingen und wie aggressiver Nationalismus Europa in die kriegerischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts stürzte. Die Kenntnis der in Jahrhunderten historisch gewachsenen kulturellen Verflechtungen in Europa, gerade in den deutschen Siedlungsgebieten im Osten, und die daraus resultierenden Gemeinsamkeiten sind ein kaum zu überschätzender Faktor der europäischen Integration.

Ich füge gern persönlich hinzu, dass ich es immer wieder für einen problematischen Irrtum halte, dass europäische Integration vor allen Dingen in der Gemeinsamkeit der Märkte und der Währung gesucht wird. Gemeinsamkeit, die ein kulturelles Identitätsbewusstsein schafft, aus dem auch ein europäisches Gemeinwohlverständnis abgeleitet werden kann, scheint mir in dem Zusammenhang wichtig. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir das Anliegen des § 96 BVFG sehen.

Zu den Besonderheiten des vorliegenden Berichtes gehört, dass er – Zitat – „die Zeitmarke von 60 Jahren“ nach Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes umfasst. 2013, im 60. Jahr der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes, hat der Deutsche Bundestag eine Resolution beschlossen, in der es heißt – ich darf zitieren –:

Das Anliegen und die Leistungen des BVFG sind Teil der Politik der Kriegsfolgenbewältigung durch die Bundesrepublik Deutschland.

Kriegsfolgenbewältigung, das heißt die Aufarbeitung des Holocaust, der Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sowie des Zweiten Weltkrieges, war für den Deutschen Bundestag und sämtliche Bundesregierungen stets ein zentrales Anliegen. Kriegsfolgenbewältigung hat mehrere Aspekte. Von übergeordneter Bedeutung sind die Leistungen der Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und der von Deutschland ausgehenden Aggressionskriege. Daneben steht die Solidarität mit den Deutschen, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit ein besonders schweres Kriegsfolgenschicksal erlitten haben. Das Anliegen des § 96 BVFG liegt ganz wesentlich auch in der Aufarbeitung und im Gedenken der Leidensgeschichte der Deutschen, die in Reaktion auf die Verbrechen des Nationalsozialismus allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit Vertreibung, Unterdrückung und Zwangsassimilation ausgesetzt waren.

Kollege Bergner, ich störe ungern, aber Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich bedauere das sehr. – Beide Aspekte scheinen mir für die Umsetzung des § 96 Bundesvertriebenengesetz und für das Verständnis des vorliegenden Berichtes wichtig. Mir ist es wichtig, zu sagen, dass es angesichts eines solchen zukunftsweisenden Anliegens bedauerlich war, dass in den Jahren 1998 bis 2005 die dafür erforderlichen Mittel gekürzt worden sind, und dass es erfreulich ist, dass sie nach 2005 regelmäßig ausgebaut wurden.

Ich möchte Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest –

Klären Sie das mit den Redezeiten mit Ihrer Fraktion.

– und ein gutes neues Jahr wünschen. Ich denke im Sinne des § 96 Bundesvertriebenengesetz in diesem Fall besonders an die Organisationen der deutschen Minderheiten im Osten, von Usbekistan über Rumänien bis hin zu anderen Ländern. Sie haben einen besonderen Weihnachtsgruß verdient.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6307606
Wahlperiode 18
Sitzung 147
Tagesordnungspunkt Kulturarbeit gemäß Bundesvertriebenengesetz
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