Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen in Köln und anderen Großstädten in der Silvesternacht
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir haben Tag 13 nach Köln, und immer noch gibt es neue Informationen. Eben hat der Innenausschuss getagt. Wir sind bei der Aufklärung ein Stück weiter. Dennoch: Es gibt noch vieles zu klären. Jeder, dem die Flüchtlinge besonders am Herzen liegen – das sage ich auch ganz persönlich –, will lückenlos wissen, was da passiert ist, wer es war und wie die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum geschützt werden kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Jede Frau muss sich frei und ohne Angst in der Öffentlichkeit bewegen können. Das zu garantieren, ist Aufgabe des Staates. Wenn der Staat hier versagt, dann macht das Angst.
Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum sind kein neues Problem. Sie waren schon ein Problem, bevor Flüchtlinge kamen. Aber neu ist diese Erscheinungsform, die wir bisher nur aus patriarchal geprägten Gesellschaften wie Indien oder Marokko kannten. Wir haben sie jetzt hier. Das macht Frauen zusätzlich Angst – nicht mehr und nicht weniger als bei anderen Straftaten, aber eben zusätzlich.
Frauen, die überrumpelt wurden, deren Arglosigkeit für sexuelle Übergriffe ausgenutzt wurde, waren schon immer schutzlos. Frauen sind bei Übergriffen in vielen Fällen bislang rechtlos. Deswegen, Herr Maas, hatte meine Fraktion schon im letzten Sommer vorgeschlagen, diese Lücke zu schließen. Sie haben damals gesagt, man könne erst einmal alles beim Alten belassen. Die gesamte Bundesregierung hat diese Gesetzesänderung verschleppt. Das Nein einer Frau muss ein Nein sein, meine Damen und Herren. Sie hätten dieses Gesetz schon haben können. Ihr Versäumnis baden jetzt womöglich auch die Opfer von Köln aus, weil die Täter nicht bestraft werden können; auch das gehört zur Wahrheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gehört sich in einem zivilisierten Land, dass man einen Täter einen Täter und einen Flüchtling einen Flüchtling nennt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Nicht aber gehört es sich – das sage ich all denjenigen, die diese Debatte missbrauchen –, dass, wenn ein Täter – oder seien es auch 10, 20 oder 100 – ein Flüchtling war, alle Flüchtlinge zu potenziellen Tätern gemacht werden, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das macht kein Mensch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das macht doch niemand!)
Denn genau das unterscheidet einen Rechtsstaat, eine demokratische und offene Gesellschaft von allen anderen. Deshalb braucht es Aufklärung. Es braucht aber keine aufgeregte Debatte und keine Schnellschüsse.
Dass Sie schon vor dem Abschluss der Sachverhaltsaufklärung einen fertigen Gesetzentwurf haben, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, ist keine Antwort auf das, was in Köln passiert ist. Was fehlte denn in der Silvesternacht in Köln, und was fehlte anderswo? Herr Schröder, Sie haben das hier sehr deutlich gesagt.
Die Handlungsfähigkeit ist aber noch längst nicht hergestellt. Es fehlt schlicht und ergreifend an genügend Polizei.
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Es waren dort nicht genügend Polizistinnen und Polizisten, die die widerwärtigen Taten hätten verhindern können.
(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wer regiert denn in Nordrhein-Westfalen?)
Es waren nicht genügend Einsatzkräfte vor Ort, die die Personalien der Täter hätten aufnehmen können.
(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wer ist denn verantwortlich für den Polizeipräsidenten? – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gut zuhören!)
Angeblich war sogar nur eine einzige Polizistin auf dem Revier, um dort Anzeigen aufzunehmen.
Weil Sie fragen, wer in Nordrhein-Westfalen verantwortlich war – ich weiß nicht, ob es Herr Scheuer oder wer auch immer war –, will ich Ihnen eines sagen: Wer hat denn die meisten Polizeikräfte eingestellt? Das waren die rot-grünen Landesregierungen. Vorher wurde dies versäumt. Das kann man leider nicht von einem Tag auf den anderen machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich rufe Sie zu einer sachlichen Debatte
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und dazu auf, einen klaren Kopf zu bewahren. Herr Maas und Herr de Maizière haben gestern gesagt: Das Entscheidende ist und bleibt die Integration.
Ihre Antwort auf diese Taten sind jetzt neue Gesetze, um Abschiebungen zu beschleunigen. Ja, ich finde, dass bei Straftaten auch ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind. Vor 14 Tagen haben Sie ein neues Gesetz in Kraft gesetzt, das eine solche Verschärfung vorsieht. Tun Sie aber bitte nicht so, als wäre das die zentrale Antwort. Wohin wollen Sie denn die Flüchtlinge abschieben? Nach Syrien, nach Madaja oder Rakka? Sie wissen, dass das nicht geht. Es gibt eben Probleme, die sich nicht ganz schnell mit dem Bundesgesetzblatt erschlagen lassen.
Ja, es geht um Integration. Dazu gehört, dass alle, die hier leben, Frauen mit Respekt behandeln und akzeptieren müssen, dass ein Nein ein Nein ist und dass es daran nichts zu deuten gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Schlüssel ist Integration.
Schauen wir uns jetzt doch bitte einmal die Marokkaner an, die hierhergekommen sind und deren Asylverfahren zwei Jahre dauern. Was machen sie eigentlich in dieser Zeit? Absolvieren sie einen Integrationskurs und lernen Deutsch? Lernen sie etwas über das Frauenbild in unserem Land? Nein, denn einen Integrationskurs bekommen sie nicht genehmigt, weil ihre Anerkennungsquote nur bei 2 Prozent liegt.
(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sicheres Herkunftsland!)
Arbeiten können sie auch nicht, weil ihnen das verwehrt wird. Nein, das ist keine Entschuldigung für irgendeine Straftat und auch keine Relativierung, aber das gehört zur Wahrheit dazu. Und ich finde, auch diese Wahrheit sollten Sie nicht verschweigen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir bitte einmal in ein anderes Land, in dem ähnliche Taten geplant gewesen sind, nämlich nach Finnland. In Helsinki haben Integrationsbehörden sehr frühzeitig darauf hingewiesen, dass es zu solchen Taten kommen kann. Deswegen hat die Polizei dort sehr frühzeitig dafür gesorgt, dass dies nicht geschehen ist. Wenn wir uns Helsinki und Köln anschauen, dann wissen wir, woran es hier mangelt. Es mangelt an Integrationszentren. Die Kräfte vor Ort müssen gebündelt werden, und die Leute müssen wissen, was geschehen kann. Dadurch könnten solche Taten verhindert werden.
Die Integration wird der Schlüssel sein. Die Probleme müssen sehr frühzeitig erkannt und benannt werden, um dann auch handeln zu können und es nicht dem Zufall zu überlassen.
Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie und hat eines der besten Rechtssysteme der Welt. Wir sehen aber mit zunehmender Sorge, dass sich junge Männer verabreden, um, wie es heißt, „big party“ zu machen. Wie furchtbar und widerlich ist es, wenn dazu sexuelle Übergriffe gehören. Dem müssen wir uns entgegenstellen – auch mit Ausweisungen, die unsere Gesetze bereits ermöglichen.
Deutschland hat eine wehrhafte Demokratie. Wir sehen aber mit Sorge, dass 250 Neonazis in Leipzig-Connewitz gewalttätige Krawalle organisieren, Autos zerdeppern, Häuser anzünden und Schaufenster einschmeißen. Auch darauf muss der Rechtsstaat mit Konsequenzen reagieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Wir haben eine wehrhafte Demokratie. Wenn Rocker und Türsteher in Köln auf Ausländerjagd gehen und versuchen, Selbstjustiz zu üben, dann ist klar: Das muss Konsequenzen haben. Wir haben eine wehrhafte Demokratie, und die Anschläge auf Asylbewerberheime reißen nicht ab. Wir haben eine wehrhafte Demokratie, und mehrere Hundert rechtsradikale Täter sind in Deutschland – wie uns die Bundesregierung gerade auf eine Anfrage hin gesagt hat – nach wie vor auf freiem Fuß. Wir haben eine wehrhafte Demokratie, und wir sehen und erleben eine völlig enthemmte Hetze und Androhung von Gewalt im Netz, meine Damen und Herren.
All das zu sehen, gehört dazu, wenn wir wollen, dass unser Staat wehrhaft und stark ist. Auch deswegen sollten wir eine klare und sachliche Debatte mit kühlem Kopf führen. Und wenn es irgendetwas gibt, was mich an Köln zusätzlich ärgert, dann das, dass die rechten Hetzer jetzt neue Munition haben, meine Damen und Herren. Es kommt darauf an, dass wir klarmachen: Unser Staat ist handlungsfähig, und wir lassen das nicht zu.
Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich: Sorgen Sie dafür, dass es mehr Einsatzkräfte bei der Polizei gibt.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müsst ihr machen! Ihr seid dort doch an der Regierung! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das gehört zur Landespolizei!)
Sorgen Sie dafür, dass niemand den Rassisten noch zusätzliche Munition gibt, meine Damen und Herren, und tun wir es erst recht nicht, indem wir Flüchtlinge vorverurteilen oder insgesamt beurteilen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Thomas Strobl ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6415563 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 148 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen in Köln und anderen Großstädten in der Silvesternacht |