13.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 148 / Zusatzpunkt 2

Norbert RöttgenCDU/CSU - Aktuelle Stunde Lage im Nahen und Mittleren Osten

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Terror und die vor dem Terror Flüchtenden kommen gleichermaßen aus dem Mittleren und Nahen Osten nach Europa, nach Deutschland. Diese Situation ist nicht vorübergehend, und auch ihre Auswirkungen auf Deutschland werden für Jahre zu spüren sein. Ich mache diese Anmerkung ganz ausdrücklich im Kontext der Flüchtlingsdebatte, die wir führen. Ich glaube, es ist an der Zeit, die Realität auszusprechen. Das müssen wir mehr tun.

Wir werden durch die Auswirkungen des Krieges, des Terrors, des Todes und der Verzweiflung in dieser Region in Deutschland und in Europa so gefordert sein wie wahrscheinlich nie zuvor, und zwar über Jahre hinweg. Darum finde ich es übrigens richtig, dass die Koalitionsfraktionen unter anderem diese Debatte beantragt haben. Wir brauchen mehr öffentliche Debatte. Manche sagen, das sei so kompliziert. Nein, besonders wegen der Komplexität müssen wir gerade außenpolitische Entscheidungen erklären, weil das für die Akzeptanz von politischen Entscheidungen, ja von Demokratie und für das Sicherheitsbewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger ganz entscheidend ist. Wir brauchen mehr Debatte über die Außenpolitik, weil die Themen so berührend, so existenziell für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will in der Kürze der Zeit in dieser Aktuellen Stunde auf drei Punkte eingehen, die ich für wichtig halte:

Erstens. Es geht bei der Situation im Nahen Osten im Kern und immer mehr um unsere Sicherheit. Der Anschlag von gestern hat uns das erneut vor Augen geführt. Obwohl es um unsere Sicherheit und zum Beispiel nicht um die Sicherheit der Amerikaner geht, ist unser Einfluss in dieser Region relativ begrenzt. Gemessen an dem Maß unserer Betroffenheit haben wir keinen sehr großen Einfluss. Weil wir hier oft darüber reden, was wir alles machen, wollte ich diese Mahnung zur Bescheidenheit einmal aussprechen.

Wir haben deshalb nicht viel Einfluss, weil wir in einem zentralen Punkt keine Funktion erfüllen: Europa und Deutschland sind nicht die Gewährleister von Sicherheit. Das sind wir im Wesentlichen nicht; doch das ist es, was diese Region braucht. Diese Tatsache hat zwei Konsequenzen: Zum einen ist und bleibt die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten, auch wenn das manchen aus ideologischen Gründen nicht gefällt, in dieser Region unverzichtbar – bei allen Fehlern, die die amerikanische Politik gemacht hat. Zum anderen müssen wir uns die Frage stellen, ob wir bereit sind, unsere Sicherheitsarchitektur, die immer noch sehr stark vom Kalten Krieg geprägt ist, umzustellen. Wenn wir unsere spezifische europäische, also nicht die amerikanische, Erfahrung mit Kriegen, die wir in Jahrhunderten gesammelt haben, wenn wir diese leidvolle Erfahrung, die am Ende zum Ausgleich zwischen rivalisierenden Staaten geführt hat, in dieser Region einbringen wollen, dann brauchen wir mehr europäische Ressourcen, mehr europäische Fähigkeiten und die Bereitschaft, europäische Ressourcen und Fähigkeiten in der Region einzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Unsere Priorität muss es sein, die Terror­organisation „Islamischer Staat“ politisch und militärisch zu bekämpfen. Das ist die überragende Priorität. Daher müssen wir Dinge, die wir sehen, auch aussprechen. Wir sehen – wir haben vor wenigen Wochen ein entsprechendes Mandat beschlossen –, dass sich der „Islamische Staat“ in Libyen ausbreitet, in einem Staat, der gar kein Staat ist, weil es dort keine staatliche Autorität, keine Ordnungsmacht gibt. Der „Islamische Staat“ geht in dieses Vakuum hinein: Auf Hunderten Kilometern entlang der Küste wird Menschenhandel betrieben und werden Angriffe gegen Ölfirmen mit schwerem Gerät verübt. Wir müssen dieser Gefahr auch dort entgegentreten. Wir können uns nicht damit begnügen, den „Islamischen Staat“ im Irak und in Syrien zu bekämpfen. Wir müssen den Kampf der internationalen Gemeinschaft auf Libyen ausweiten. Diese Bemühungen müssen beginnen. Das auszusprechen und darüber nachzudenken, wie das geschehen kann, ist der Bundesregierung übrigens nicht vorzuwerfen.

Ferner müssen wir unsere Verbündeten, unsere Partner für unsere Priorität gewinnen. Die Priorität ist, den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen. Ich will heute wegen des Anschlages gestern in Istanbul nicht auf die Türkei eingehen, sondern es dabei bewenden lassen, zu sagen, dass wir die Türkei für unsere Prioritätensetzung gewinnen müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Das muss auch öffentlich ausgesprochen werden dürfen.

Ich möchte abschließend in aller Kürze eine dritte Anmerkung machen, und zwar zum Umgang mit unseren Partnern. Ich will diese Debatte etwas ablösen von der Frage des Festivals und über Saudi-Arabien sprechen. Worum geht es bei Saudi-Arabien? Erstens wissen wir: Wenn das System zusammenbrechen würde, wäre das eine Horrorvorstellung für die Region und für die Sicherheit in Europa.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Zweitens müssen wir lernen, zu verstehen, dass Saudi-Arabien sich von innen und von außen bedroht fühlt. Jetzt kommt das eigentliche Thema. Die eigentliche Frage ist nicht, ob die Partnerschaft mit Saudi-Arabien aufgegeben werden muss. Die eigentliche Frage ist auch nicht, ob Herr Steinmeier reisen soll oder nicht reisen soll. Kein Mensch sagt, dass er nicht reisen oder nicht reden soll. Die eigentlichen Fragen lauten: Wie gehen wir mit schwerwiegenden Fehlern um, die die saudi-arabische Politik seit einem Jahr unter der neuen Führung macht, die auch unsere Interessen berühren, indem nämlich versucht wird, der inneren Gefährdung durch äußere Polarisierung zu begegnen? Wie gehen wir mit dem Vernichtungskrieg im Jemen um, den Saudi-Arabien nicht begonnen hat, der aber nicht zu gewinnen ist, sondern zur Zerstörung des Landes führt, der wirtschaftliche, finanzielle und politische Kosten verursacht? Wie gehen wir damit um, wenn Massenhinrichtungen, die stattgefunden haben, die an sich schon ein fundamentaler Verstoß gegen unsere Vorstellung von Menschenwürde sind, als politisches Instrument eingesetzt werden?

Herr Kollege Röttgen.

Ich komme zum Schluss. – Angesichts dessen lautet die Frage nicht, ob es richtig ist, zu reden, sondern die Frage lautet, ob es richtig ist, zu schweigen.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Das dürfen wir nicht. Schweigen ist nicht deshalb nicht richtig, weil wir dadurch mehr oder weniger Einfluss auf Saudi-Arabien haben. Vielmehr bin ich – das ist meine letzte Anmerkung – davon überzeugt, dass es, weil die außenpolitischen Debatten so gravierend werden, für uns innenpolitisch notwendig ist, dass unsere Bürgerinnen und Bürger bei den schwierigen Entscheidungen, die wir getroffen haben und treffen werden, unsere Politik nachvollziehen können. Dafür benötigt sie ein Mindestmaß an Konsistenz, an Glaubwürdigkeit und Plausibilität sowie eine Vermeidung von Doppelstandards.

Der IS setzt genau dieses Instrument ein. Das führt Sie zur Diffamierung, dass der IS und Saudi-Arabien gleichzusetzen sind. Das ist eine Diffamierung. Diese Diffamierung dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen ihr dadurch begegnen, dass wir auch offen Kritik an unseren Partnern üben, ohne die Partnerschaft selbst infrage zu stellen. Das ist meine Position zu diesem Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Ich darf vielleicht noch einmal da­ran erinnern, dass in der Aktuellen Stunde die Redezeit von fünf Minuten nicht überschritten werden soll. Fünf ist immer noch fünf, auch wenn dies eine emotionale Debatte ist und man für eine Überziehung der Redezeit sicherlich Verständnis hat.

Frau Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6416319
Wahlperiode 18
Sitzung 148
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde Lage im Nahen und Mittleren Osten
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta