14.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 149 / Tagesordnungspunkt 4

Claudia Roth - Berufliche Aufstiegsfortbildung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vor kurzem hier im Bundestag über das EFI-Gutachten und über die Bedeutung von Wissenschaft, Forschung und Innovation für Deutschland diskutiert. Die zweite wichtige und entscheidende Komponente für die Wirtschaftsstärke Deutschlands ist die akademische und berufliche Fachkräftesituation. Wir reden verstärkt – Herr Heil hat es angesprochen – über Probleme in diesem Bereich. Es gibt zu wenige, die sich dafür interessieren, und zu viele, die in andere Berufe gehen. Es gibt Schreckensszenarien, auf welcher statistischen Basis auch immer. Es ist richtig, das zu analysieren; aber entscheidend ist in der Politik, dass man handelt, dass man etwas macht.

Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute hier vorlegen, wird volkswirtschaftlich etwas sehr, sehr Wichtiges realisiert. Das ist ein entscheidender Beitrag. Es ist kein Beitrag, mit dem die gesamte Weiterbildungsthematik von A bis Z geregelt wird. Vielmehr ist es ein Beitrag, mit dem wir dafür Sorge tragen, dass wir fachlich qualifizierte, praxiserfahrene Menschen in diesem Land haben; und die brauchen wir dringend. Sie sind die Basis unseres Wohlstandes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielleicht ist das nicht jedem so klar: Wenn Sie zum Beispiel Firmen – auch kleine Firmen – in den USA nehmen und fragen: „Wer leitet so eine Firma?“, dann werden Sie feststellen, dass das immer Leute mit einer akademischen Ausbildung sind. Die steigen oben ein. Das geht natürlich bei uns in Deutschland auch, aber dass man einen Beruf lernt, dass man Geselle, Meister etc. wird und dann die Führung übernimmt, das ist unsere besondere Stärke. Deswegen müssen wir diesen Weg, der uns so erfolgreich macht, weiter unterstützen.

Nun nützt das dem Einzelnen, der eine Weiterqualifikation zum Meister machen will, nichts, wenn er weiß, dass das volkswirtschaftlich bedeutsam ist. Kann sein, dass er das weiß, aber entscheidend ist für ihn die Frage: Was habe ich davon? Was habe ich davon, wenn ich zum Beispiel Frisör bin und Handwerksmeister werden will, wenn ich Kfz-Mechatroniker bin und Meister werden will, wenn ich Kauffrau bin und Fachwirtin werden will oder wenn ich Sozialassistent bin und Erzieher werden will? Da muss man sagen, dass die Perspektiven heute ausgezeichnet sind. Es wurde angesprochen: Das niedrigste Risiko, arbeitslos zu werden, hatten über viele Jahrzehnte immer die mit einem akademischen Abschluss. Das ist mittlerweile auch bei den Meistern so. Sie haben ein ganz niedriges Risiko, jemals in ihrem Leben arbeitslos zu werden. Und wenn man sich die Entwicklung der Einkommen anschaut, dann muss man sagen: Der Trend bei den Meistern geht steiler nach oben als bei den Hochschulabsolventen. Was natürlich sehr schön ist, das ist diese Chance, unter Umständen eine hohe Arbeitszufriedenheit zu erreichen, indem man einen Betrieb selber leitet bzw. führt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Aber um diese anspruchsvolle Aufstiegsprüfung wirklich zu bestehen, sind eine Reihe von Hürden zu bewältigen – nicht nur tausend und mehr Unterrichtsstunden, die man bezahlen muss, sondern auch noch vieles andere mehr. Deswegen war es richtig und in der Geschichte der Bundesrepublik ein entscheidender Schritt, 1996 überhaupt dieses Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz eingeführt zu haben, das festlegt, dass eine Ausbildung zum Meister gefördert wird. Herr Heil, 2002 hatten wir eine Novelle. 2009 gab es eine weitere Novelle. Seitdem gibt es zum Beispiel den pauschalen Kinderbetreuungszuschlag und die Regelung, dass einem im Falle eines guten Prüfungsergebnisses Teile des Darlehens erlassen werden. Wir wollen auf dieser Basis gemeinsam ansetzen und das erfolgreichste, wichtigste und bedeutendste Förderinstrument für die Qualifizierung im beruflichen Bereich, dieses Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz – ich sage nicht so gerne Meister-BAföG, weil auch Erzieherinnen und viele andere davon profitieren –, novellieren.

Ich glaube, dass es ganz wichtig ist – da bin ich ganz anderer Meinung als manch andere, die hier schon vorgetragen haben; mir geht es nicht darum, dass man ein Instrument für alle hat –, dass man ein Angebot hat, das passgenau auf die jeweilige Lebenssituation zugeschnitten ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist nun einmal so, dass jemand, der Meister werden will, oft schon eine Familie und einen gut bezahlten Job hat. Seine Situation ist eine ganz andere als die der großen Zahl der Studierenden, die mit 18 oder 19 Jahren in das soziale System, beispielsweise an der Hochschule, hineingehen. Deswegen bin ich dafür, dass wir passgenaue Angebote machen.

Frau Hein, Sie haben nach dem Kinderbetreuungszuschlag gefragt. Es ist natürlich klar, dass jemand, der studiert und ein Kind bekommt – das trifft auf viel zu wenige in dieser Lebensphase zu –, sehr stark unterstützt wird, beispielsweise über das Studierendenwerk. Diese Unterstützung erhält jemand, der eine Frau und zwei Kinder hat und zum Meisterlehrgang geht, nicht. Deswegen ist die Frage des Unterhaltes für die Familie sehr zentral, deshalb ist der Kinderbetreuungszuschlag im AFBG auch einkommensunabhängig zu gewähren.

Im Antrag der Grünen steht, dass sie einen sozial gestaffelten Unterhalt wollen. Sozial gestaffelt ist vieles. Aber ich warne sehr davor: Wenn man einkommensunabhängige Komponenten, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, zum Beispiel den Kinderbetreuungszuschlag und den Maßnahmebeitrag, einkommensabhängig gestaltet, fallen fast alle heraus, die arbeiten und sich in Teilzeit qualifizieren. Das ist nicht die Absicht. Das wäre ein großer Nachteil.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um mehr Geld, sondern es geht auch um Modernisierung. Es geht darum, sich auf die Situation einzurichten, die wir jetzt im beruflichen System vorfinden. Frau Hein, Sie haben gesagt, es sei sehr schwierig, sich durch alle Gesetze zu wühlen. Sie haben sicherlich recht. Aber für die Erzieherinnen – sie waren Ihr Beispiel – wird dieses Gesetz, dessen Entwurf uns jetzt vorliegt und den Sie hoffentlich gut finden, sichern, dass wir bei der Ausbildung zur Erzieherin, wenn sie entsprechend geordnet ist, durchgängig fördern können. Wenn allerdings ein Land den Weg so wählt, dass erst die schulische Ausbildung stattfindet und dann ein Jahr Praxiszeit absolviert wird, dann muss diejenige tariflich beschäftigt werden. Das halte ich auch für richtig. Aber es ist in der Qualifizierung zur Erzieherin möglich, durchgängig zu finanzieren. Das ist neu. Das gab es vorher nicht. Das ist eine Veränderung, die sich auf eine real notwendige Situation eingerichtet hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dann sind Sie nicht auf dem Laufenden! Dann müssen Sie die Erzieherinnenausbildung reformieren!)

Beim Thema Praktikum verstehe ich überhaupt nicht, wie man generell fordern kann – das findet man so in dem Antrag –, dass man eine Finanzierung des Praktikums durch dieses Gesetz realisieren soll. Warum soll ein Meisterschüler, der voll qualifiziert ist und in einem Betrieb arbeitet, nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, statt mit einem Stipendium oder einem entsprechenden Betrag über das AFBG abgespeist zu werden? Ich glaube, es ist an dieser Stelle notwendig, sich dies genau anzusehen. Man darf nicht glauben, ein Maßstab für alle sei das Gerechte. Im Gegenteil, das ist total ungerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die höheren und zeitgemäßen Förderleistungen, die Erhöhungsbeiträge im Familienbereich, die wir vorgesehen haben, sind sehr gut. Ich bin sehr dankbar, dass die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss verankert haben, dass die Zuschussanteile im parlamentarischen Verfahren noch gestärkt werden.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Das ist nicht nur für den Einzelnen wichtig, sondern auch für die Wahrnehmung. Draußen wird genau geschaut, was man macht, wie viele Millionen oder Milliarden man ausgibt. Schon im Jahr 2014 haben wir eine halbe Milliarde Euro an Förderleistung über das AFBG ausgegeben. Dieser Betrag wird noch einmal angehoben. Ich bin sehr erfreut über das, was dazugekommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das heißt zum Beispiel, dass das Budget, das ein Geförderter bekommt, wächst. Das, was er zurückzahlen muss, wird weniger als vorher. Das ist also eine echte Verbesserung. Dass das Restdarlehen bei erfolgreichem Abschluss reduziert oder erlassen wird, ist eine Leistungskomponente. Ich habe auf vielen Meisterfeiern erlebt, wie engagiert die jungen Meister sind und welchen hohen persönlichen Aufwand sie betreiben. Wenn das so belohnt wird, ist das ein richtiges Signal.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber es geht auch um die strukturellen Verbesserungen, um die Veränderungen. Angesprochen wurde der Abschluss als Bachelor. Ja, wir haben jetzt die Möglichkeit, dass Studienabbrecher, wenn sie keinen Erstabschluss in dem Beruf haben, in diese Richtung gehen können und den Meister machen können. Wenn ich sehe, wie viele Firmenchefs in den nächsten zehn Jahren im Bereich des Handwerks wegfallen, dann wird das nicht nur durch die klassische Meisterausbildung kompensiert, und deshalb brauchen wir auch gute Leute mit einem Bachelorabschluss. Das ermöglichen wir jetzt an dieser Stelle.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir sind auch weitergekommen, was die Durchlässigkeit betrifft. Wenn heute jemand eine berufliche Ausbildung gemacht – etwa zum Kfz-Mechatroniker – und in dem Beruf drei Jahre gearbeitet hat, kann er an die Hochschule gehen. Da braucht er keinen Meister zu machen. Er kann, wenn er das will, direkt an die Hochschule gehen, dort einen Bachelor machen und wird gegebenenfalls mit BAföG unterstützt. Wenn ein Meister meint: „Ich muss mich weiterqualifizieren“, und er einen Masterabschluss machen will, dann bekommt er gegebenenfalls auch BAföG. Das ist an dieser Stelle die Logik.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf ein starkes Signal ist; denn wir beseitigen die Hürden, die unter Umständen bestehen, wenn es darum geht, eine Meisterausbildung anzufangen, wir agieren hier richtig, machen es familienfreundlicher, machen es – ein Punkt, der noch gar nicht erwähnt wurde – auch unbürokratischer. Das heißt, die Zahl der Unterlagen, die man vorlegen muss, und der ganze bürokratische Aufwand werden erheblich reduziert. Bürokratie abzubauen, wird immer gefordert, und ich fände es gut, wenn Sie sich bei diesem Gesetz, bei dem wir es wirklich machen, darüber freuten und es auch vielleicht mal irgendwo erwähnten.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es ist eine Freude! Wir können hier ja keine Kerzen mitbringen!)

– Das wäre auch mal eine Idee.

Dazu eine Bemerkung. Ich war auch mal in der Opposition; man macht es so: Im besten Fall sagt man, dass es okay ist. Ansonsten sagt man entweder, dass das, was vorgelegt wurde, ganz schlecht ist, oder man sagt: Es ist eigentlich gut, aber … – Und dann listet man alles auf, was man sich noch vorstellen könnte, egal ob es dazu passt oder nicht. Das ist geübte Praxis. Hier muss ich aber sagen, dass man im Ausschuss über das diskutieren sollte, was Sie vorhin angesprochen haben, zum Beispiel das Anerkennungsgesetz, das einer polnischen Näherin oder anderen zugutekommen soll. Denn das ist geregelt; dafür haben wir viele Mechanismen. Das ist bei der BA und im SGB verankert. In einer speziellen Situation geht es um Integration durch Qualifikation, und wir denken da auch noch weiter.

(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen wir noch mal diskutieren!)

Wir denken auch an jemanden, der gerade erst anfängt, also nicht in den Bereich des Meister-BAföG fällt. Für ihn gibt es die Bildungsprämie. Wir haben sie evaluiert und analysiert, wer sie besonders stark in Anspruch nimmt. Es sind insbesondere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Wir haben also viele Instrumente. Das Gesetz, das heute vorliegt, ist mit Blick auf das Thema „Aufstieg in der beruflichen Bildung“ passgenau und richtig gut. Ich freue mich, wenn wir es verabschieden können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächster Redner in der Debatte: Martin Rabanus für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6418965
Wahlperiode 18
Sitzung 149
Tagesordnungspunkt Berufliche Aufstiegsfortbildung
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