Gitta ConnemannCDU/CSU - Reform der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „ Früher war alles besser“, heißt es zu Unrecht. Früher war nicht alles besser, aber manches einfacher, jedenfalls wenn es um die Auswahl von Lebensmitteln ging. Das Angebot war sehr klein. Tante Emma beriet und erklärte selbst, und vieles wurde zu Hause hergestellt. Zuhause ist für mich Holtland, ein kleines Dorf in Ostfriesland, wo sich Himmel und Erde küssen. Dort gab es übrigens nur einen einzigen Laden. Frau Böden verkaufte Tilsiter. Krautsalat machte unsere Mutter selbst, natürlich mit Zucker; sonst schmeckt es nicht. Wir wussten, was wir aßen.
Die Zeiten ändern sich. Frau Böden ging. Selbstbedienungsläden kamen auch zu uns nach Holtland. Das Sortiment wurde größer und internationaler. Nicht jeder wusste mehr, was auf dem Teller lag. In dieser Zeit entstand das Deutsche Lebensmittelbuch, über das wir heute sprechen. Es regelt in Leitsätzen, wie ein Produkt heißen darf, wie es hergestellt wird und was drin sein muss. Es ist ein Leitfaden. Es soll den Herstellern Orientierung geben, zum Beispiel was in eine Kalbsleberwurst gehört und wann sich ein Eis Speiseeis nennen darf. Wer sich an diese Regeln hält, ist auf der sicheren Seite. Es soll Verbraucher vor Täuschung schützen; denn der Verbraucher kann dort lesen, was laut Verkehrsauffassung zum Beispiel unter einem Produkt wie Schinkenbrot zu verstehen ist. Das Lebensmittelbuch ist also Bedienungsanleitung und Wörterbuch in einem.
Inzwischen gibt es 21 Leitsätze für rund 2 000 Lebensmittel, übrigens demokratisch erarbeitet von den Mitgliedern der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission. Sie kamen und kommen aus der Verbraucherschaft, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Lebensmittelüberwachung. Alle Mitglieder eint: Sie haben gearbeitet wie Herkules und Sisyphus in einer Person, und zwar immer ehrenamtlich. Vor dieser Leistung ziehe ich meinen Hut. Ich sage im Namen meiner Fraktion für diesen Einsatz aller Mitglieder in den letzten 53 Jahren herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Arbeit der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission hat sich grundsätzlich bewährt. Aber die Zeiten ändern sich auch heute. Inzwischen gibt es Lebensmittel im Überfluss, übrigens so sicher und preiswert wie nie zuvor. Dies verdanken wir unseren Landwirten, Bäckern, Schlachtern, Gärtnern und Fischern, aber auch unseren Herstellern. Heute Abend wird die Internationale Grüne Woche in Berlin eröffnet. Das ist das Schaufenster der Land- und Ernährungswirtschaft. Für meine Fraktion sage ich: Wir sind stolz auf unsere deutsche Landwirtschaft und unsere deutsche Ernährungswirtschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Vielfalt führt aber auch zu Herausforderungen. Das kennen Sie vielleicht selbst: Sie stehen vor Hunderten von Produkten im Supermarkt. Meine Frau Böden würde heutzutage nur noch ein Drittel der Käsesorten kennen. Wir selbst wissen immer weniger über die Herstellung von Lebensmitteln. Kalbsleberwurst enthält zum größten Teil Schweinefleisch. Wussten Sie das? Was heute nach einem ausgewachsenen Lebensmittelskandal klingt, ist aber das Originalrezept. Anders wäre Kalbsleberwurst gar nicht herzustellen und würde im Übrigen auch nicht schmecken. Aber für uns stellt sich damit natürlich die Frage: Ist diese Bezeichnung noch zeitgemäß?
Die Leitsätze sind zum Teil veraltet. Zum Teil haben sie mit der gängigen Verbraucherauffassung nichts mehr zu tun. Was verstehen Sie unter einem Schinkenbrot? Ich persönlich verstehe darunter ein Brot mit Schinken. Der Hersteller liest aber im entsprechenden Leitsatz:
Es weist einen herzhaft-aromatischen Geschmack auf. Ein Zusatz von Schinken ist nicht üblich.
Die Begründung lautet, in einem Bauernbrot sei ja auch kein Bauer. Wenn sich der Hersteller an die Regel hält, dann wird der Verbraucher nicht getäuscht. Aber er fühlt sich enttäuscht; denn für ihn ist das Schinkenbrot etwas anderes. Übrigens versteht er unter Fruchtcreme auch eine Creme mit Früchten, aber tatsächlich kann sie ohne Früchte sein, wie auch ein Pfirsich-Maracuja-Saft ausschließlich aus Äpfeln und Orangen bestehen kann. Das kann kein Verbraucher nachvollziehen.
Wer sich jetzt beschweren will, zum Beispiel bei der Lebensmittelbuch-Kommission, muss gleich eine Begründung mitliefern. Das können weder Sie noch ich; ich jedenfalls nicht. Denn wer von uns ist Lebensmitteltechnologe? Es braucht am Ende Jahre, bis die Kommission reagiert, auch reagieren kann. Das liegt an den sehr schwierigen Verfahren und Abstimmungsprozessen. Das ist übrigens nicht nur unsere Wahrnehmung, liebe Elvira Drobinski-Weiß, lieber Alois Rainer, sondern auch das Ergebnis eines Gutachtens, das das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, verehrte Frau Kollegin, liebe Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth, in Auftrag gegeben hat. Ich fand es herausragend, dass unser Haus, das Ernährungsministerium, diesen Anlauf gemacht hat – nicht nur kritisieren, sondern auch handeln -; für diese Initiative gilt Ihnen, dem Minister und dem Haus ein ganz herzlicher Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Gutachten bestätigte: Es besteht Handlungsbedarf. Deshalb sagen wir, die Koalitionsfraktionen: Wir brauchen eine Reform des Deutschen Lebensmittelbuchs und auch der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission, besser heute als morgen; denn das Vertrauen der Verbraucher ist eine wertvolle Währung, mit der nicht gespielt werden darf.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten schon vor zehn Jahren damit anfangen können!)
Wir als Fraktion wollen ein Lebensmittelbuch, das seinen Namen verdient. Dafür muss der Anspruch von Klarheit und Wahrheit gelten. Es muss drin sein, was draufsteht; aber es muss eben auch draufstehen, was drin ist. Irreführung und Täuschung darf es an dieser Stelle nicht geben. Ich bin froh, dass sich auch die Fraktion der Grünen dieser Erkenntnis angeschlossen hat und einen entsprechenden Antrag nach unserem Antrag auf den Weg gebracht hat.
(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
An der paritätischen Besetzung der Kommission wollen wir übrigens nicht rütteln; denn wir benötigen die Sach- und Fachkenntnisse entlang der gesamten Kette der Lebensmittelerzeugung. Wir brauchen die Lebensmittelüberwachung für die technischen Eigenschaften. Wir brauchen die Wissenschaft, wenn es um Aspekte der Lebensmittelsicherheit geht. Es geht natürlich auch um Rezepturen; deswegen brauchen wir die Wirtschaft, die Hersteller. Aber es geht auch ganz wesentlich um die Verbraucherinnen und Verbraucher, darum: Was verstehen sie wirklich unter einem Produkt? Nur so können alle Interessen unter einen Hut gebracht werden.
Was wir brauchen – das bestätigt das Gutachten –, sind klare Ziele. Das ist schwer, wenn das Lebensmittelbuch Wörterbuch und Bedienungsanleitung in einem sein will. Es stellt sich die Frage, wie man das besser moderieren kann. Wir brauchen straffere Verfahren, übrigens auch für die Arbeit der Kommission. Wir brauchen mehr Transparenz und eine bessere Verständigung zwischen Kommission und Öffentlichkeit; denn eines darf nicht entstehen: der Eindruck von Geheimniskrämerei. Das führt zu Misstrauen.
Wichtige Erkenntnisse darüber, was wir zu tun haben, lieferte uns übrigens auch – das tut es nach wie vor – das Internetportal Lebensmittelklarheit.de. Es hat sich bewährt. Das sage ich mit Dank an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; denn es finanziert dieses Portal ganz wesentlich. Ich sage das aber auch mit Dank an die Verbraucherzentralen, die es initiiert haben und die mit uns gemeinsam die Verbraucherrechte bewachen und hüten. Herzlichen Dank an beide!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Etwa 30 Prozent der dort gemeldeten Produkte wurden von den Anbietern geändert. Insgesamt gab es Tausende von Meldungen. Es gab inzwischen an dieser Stelle 700 Platzierungen. Es wurden etliche Produkte geändert; sie wurden verbraucherfreundlicher gestaltet. Tees wurden umbenannt. Wenn ein Tee Himbeer-Vanille-Traum heißt, dann muss er am Ende auch Himbeere und Vanille enthalten. Wenn er es nicht tut, dann darf er nicht so genannt werden. Die Verpackungen wurden neu aufgemacht.
Die Einträge auf dieser Internetplattform sind für uns wie eine Wünschelrute. Es lohnt sich, diesen zu folgen; denn in vielen Fällen – nicht in allen – zeigen sie, wo Handlungsbedarf besteht. Deshalb wollen wir, dass die Internetplattform zukünftig stärker in die Arbeit einbezogen wird; das muss nicht sein, aber es soll sein. Zudem brauchen wir mehr Begleitforschung.
Wir müssen auch etwas an den Verfahren ändern. Sie müssen gestrafft werden.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben zehn Jahre Zeit gehabt!)
Eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von zweieinhalb Jahren ist viel zu lang. Das verhindert Aktualisierungen und neue Leitsätze. Dafür brauchen wir aber auch eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung des Sekretariats. Eine Halbtagskraft kann die Arbeit nicht alleine erledigen, und die ehrenamtlichen Mitglieder sollten sich auf etwas anderes konzentrieren dürfen als auf Hotelbuchungen. Sie sollten übrigens auch eigene Anträge stellen dürfen.
Wir sind davon überzeugt: Mehr Klarheit und Wahrheit bei Lebensmitteln, gerade auch beim Deutschen Lebensmittelbuch, ist eine Chance für die Lebensmittelwirtschaft und ein Gewinn für Verbraucherinnen und Verbraucher; denn das Vertrauen ist die wichtigste Währung. Enttäuschen wir sie nicht! Dafür stehen wir ein. Wir hoffen auf entsprechende Änderungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Gitta Connemann. Danke auch für den Hinweis, was das Bauernbrot nicht enthält.
Frau Haßelmann hat das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6419147 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 149 |
Tagesordnungspunkt | Reform der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission |