14.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 149 / Tagesordnungspunkt 6

Karl LauterbachSPD - Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung

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Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Zunächst einmal ist es richtig, dass wir damals den Zusatzbeitrag, den Sonderbeitrag von 0,9 Prozent eingeführt haben. Das war notwendig und ist Zeichen eines wichtigen gesamtgesellschaftlichen Bündnisses. Ich bitte Sie, sich Folgendes in Erinnerung zu rufen: Wir hatten damals, Anfang 2005, 5 Millionen Arbeitslose. 5 Millionen Menschen waren nicht in Arbeit. Die Tatsache, dass wir den Zusatzbeitrag eingeführt haben, war schmerzhaft. Das ist uns als SPD sehr schwergefallen. Das ist auch den Gewerkschaften, die uns zum Teil sehr konstruktiv begleitet haben, sehr schwergefallen. Aber dazu muss man nicht nur stehen, sondern dafür muss man sich auch bedanken. Das tue ich an dieser Stelle. Die Arbeitnehmerschaft hat einen wesentlichen Solidarbeitrag geleistet, der dazu geführt hat, dass wir heute in Europa zu den wenigen Ländern gehören, die anderen Ländern helfen können. Jeden Tag kommen Menschen zu uns, die unsere Hilfe dringend benötigen. Man stelle sich nur vor, wir wären jetzt in einer wirtschaftlichen Lage, in der wir selbst keine Arbeit hätten, in der wir selbst Unruhe hätten. Dann wären wir nicht in der Lage, hier irgendjemandem entgegenzukommen. Somit: Das war ein Bündnis, zu dem wir stehen, das richtig war und das seine Wirkung getan hat.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist jetzt?)

Trotzdem ist auch richtig, was die Kollegin Klein-Schmeink gesagt hat: dass die Zeiten sich geändert haben. Das hat gewirkt. Die Arbeitslosigkeit ist stark zurückgegangen. Wir haben Haushaltsüberschüsse, und wir haben jetzt im Prinzip das ökonomische Profil, mit dem wir es uns leisten könnten, die Sonderbelastungen für die Arbeitnehmer wieder zurückzunehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist nicht gottgegeben!)

Es gibt keine ökonomischen Gründe mehr dafür, bei diesen Sonderbelastungen zu bleiben. Zu einem gesellschaftlichen Bündnis gehört, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich in einer Notsituation gemeinsam helfen, aber auch, dass man das nicht vergisst, wenn die Notsituation behoben ist. Das ist jetzt unsere Forderung. Auch wir als SPD kämpfen für die Wiedereinführung der Parität; denn jetzt wäre die Gelegenheit, zu zeigen, dass es damals um dieses gesellschaftliche Bündnis ging und dass nicht eine Umverteilung vorgenommen wurde, die ideologischen oder prinzipiellen Überlegungen folgt.

(Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir hätten ja eine Mehrheit im Bundestag, das abzuschaffen!)

Ich will darauf hinweisen, dass das eine sehr wichtige Grundsatzentscheidung ist, und zwar mit folgendem Hintergrund: Es gibt kein anderes Sozialsystem, weder das Rentensystem noch das Pflegesystem noch die Arbeitslosenversicherung, in dem alle zukünftigen Kostensteigerungen allein von den Arbeitnehmern zu bezahlen sind. In allen anderen Systemen beteiligen sich die Arbeitgeber an den Steigerungen. Das ist im Gesundheitssystem von allergrößter Bedeutung; denn in diesem System werden die Kosten am stärksten steigen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb habt ihr schlecht verhandelt!)

Wir haben drei Herausforderungen:

Erstens haben wir eine älter werdende Babyboomer-Generation, also eine Kohorte von jetzt noch im Beruf stehenden und einigermaßen gesunden Menschen, die demnächst älter und kränker sein werden.

Zweitens werden wir einen technischen Fortschritt haben, der in einigen Bereichen großartig, aber auch sehr teuer ist. Wir rechnen zum Beispiel damit, dass die Medikamente, die für Krebsbehandlungen bezahlt werden müssen – die Kosten liegen jetzt bei jährlich 6 Milliarden Euro –, in 30 Jahren 45 Milliarden Euro im Jahr kosten werden.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Die Entwicklung geht aber ein bisschen weiter!)

Das kann nicht allein von den Arbeitnehmern bezahlt werden. Wir können nicht einerseits die Arbeitnehmer in guten Jahren in den Betrieben beschäftigen und damit Wirtschaftswachstum erreichen und andererseits, wenn sie älter sind, krebskrank werden und Hilfe benötigen, sagen: Das bezahlt der Arbeitnehmer alleine. – Das können wir nicht tun.

(Beifall bei der SPD)

Drittens ist es so, dass durch die Behandlungserfolge, die wir haben, viele Menschen mehrere Krankheiten erleben werden. Derjenige, der eine Krebskrankheit überlebt, hat immer noch das Risiko, an Demenz zu erkranken oder einen Herzinfarkt zu bekommen. Zum Teil bedingen sich diese Krankheiten auch gegenseitig. Das heißt, der Kostenanstieg im Gesundheitssystem ist deutlich gravierender als in jedem anderen Sozialsystem. Die Kostenanstiege in der Rentenversicherung oder der Pflegeversicherung, die wir erwarten können, sind sehr klein im Vergleich zu den Zusatzbelastungen, die wir im Gesundheitssystem haben werden. Man kann davon ausgehen, dass aufgrund der drei genannten Faktoren in 20 oder 30 Jahren die zu erwartenden Zusatzbelastungen bei den Sozialversicherungen zu 70 Prozent durch das Gesundheitssystem bedingt sein werden.

Somit ist es richtig, hier jetzt die Weichen zu stellen für eine paritätische Finanzierung ohne Wenn und Aber. Es ist noch richtiger, dies im Rahmen einer Bürgerversicherung zu tun. Es ist nicht einzusehen, dass sich ausgerechnet Beamte, Gutverdienende, Selbstständige, diejenigen, die des Solidarpaktes eigentlich überhaupt nicht bedürfen, daraus entfernen können und nicht mitbezahlen. Somit treten wir für eine paritätisch finanzierte Bürgerversicherung ein.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Weg dahin wäre es aber gut, wenn wir jetzt einmal den Zusatzbeitrag abschaffen!)

Das ist seit vielen Jahren unsere Position. Das ist keine neue Position. Ich trage hier keine Neuigkeiten vor. Wir werden dafür weiterhin kämpfen.

Ich hoffe, dass wir auch bei der Union Verständnis finden; denn wir haben ja gute Argumente. Wir setzen auf die Überzeugung

(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Wir setzen auf den Koalitionsvertrag!)

und auf die Bürger, die unsere wichtigste Unterstützung sind. Die Bürger sehen es zu 70 bis 80 Prozent so, wie ich es gerade vorgetragen habe. Das kann auch für eine vermeintliche Volkspartei nicht ohne Konsequenzen bleiben. Daher haben wir gute Chancen, das mittelfristig auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. Ich bin froh, dass die Opposition das Kernanliegen der SPD, was Bürgerversicherung und Parität angeht, unterstützt. Wir sind für jede Unterstützung dankbar und nehmen das gerne mit.

(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht ihr mit unserem Antrag?)

Vielen Dank, Karl Lauterbach. – Nächster Redner: Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6419617
Wahlperiode 18
Sitzung 149
Tagesordnungspunkt Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung
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