14.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 149 / Tagesordnungspunkt 6

Lothar RiebsamenCDU/CSU - Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diese Debatte, in der der Begriff „Bürgerversicherung“ beinahe so häufig vorkommt wie „Parität“, verfolgt und sieht, dass in diesem Jahr, 2016, nicht alle gesetzlichen Krankenkassen einen höheren Zusatzbeitrag verlangen, dann wird doch klar, dass in dieser Debatte nicht in erster Linie der Zusatzbei­trag im Vordergrund steht, sondern dass Sie etwas anderes im Blick haben, nämlich die Landtagswahlen, die bald stattfinden, und die Bundestagswahl im nächsten Jahr.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja billig! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur weil Sie nicht betroffen sind als Beitragszahler, oder was? Es gibt aber haufenweise betroffene Beitragszahler!)

Es ist Ihr gutes Recht, den Finger in die Wunde zu legen und zu sagen, dass die SPD eine andere Auffassung zur Bürgerversicherung hat als die Union; das dürfen Sie alles machen. Das hindert uns aber nicht daran, auf den Koalitionsvertrag zu verweisen, den wir im Jahr 2013 vereinbart haben und den wir erfolgreich umgesetzt haben; Kollegin Mattheis hat all die guten Gesetzesvorhaben, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, aufgezählt. Das werden wir in den nächsten eineinhalb Jahren fortsetzen. Wir werden uns an den Koalitionsvertrag halten und gute Politik für unser Land machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Riebsamen, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Klein-Schmeink?

Ja, aber gerne.

Herr Riebsamen, Sie sprachen gerade vom Koalitionsvertrag und sagten, dass er einzuhalten sei. Man könnte natürlich auch sagen: Als der Koalitionsvertrag formuliert worden ist, war noch nicht absehbar, dass sich die Konjunktur dauerhaft so gut entwickeln wird. Vielleicht haben Sie damals auch nicht absehen können, welche Kosten im Gesundheitswesen Sie durch die zahlreichen Reformen des letzten Jahres zusätzlich auf den Weg gebracht haben. Wir alle wissen, dass durch die Gesetze der Großen Koalition ein dicker Batzen von 12 Milliarden Euro bis 2019 obendrauf kommt, und wir wissen auch, dass die Kosten im Gesundheitswesen jährlich um 3 bis 5 Prozent steigen.

Diese Kosten werden alleine bei den Versicherten abgeladen. Sie sind also nur von diesen zu tragen, und die Arbeitgeber sind daran nicht mehr beteiligt. Vielleicht haben Sie das in diesem Umfang zu Beginn der Verhandlungen über den Koalitionsvertrag nicht entsprechend im Auge gehabt. Es sieht ja auch so aus, als ob Ihre Arbeitnehmervereinigung genau das thematisiert.

Meinen Sie nicht, dass dieser gesellschaftliche Diskussionsprozess jetzt aufgenommen werden und man nicht um jeden Preis auf die Einhaltung eines Vertrages pochen sollte?

Sehr geehrte Frau Klein-Schmeink, beim Abschluss des Koalitionsvertrages haben wir wie heute auch im Auge gehabt – darauf wäre ich noch zu sprechen gekommen –, dass es eben nicht von Gott gegeben ist, dass eine Konjunktur immer so bleibt, wie sie ist. Zurzeit ist sie Gott sei Dank sehr gut, aber gucken Sie sich heute doch nur einmal die Wirtschaftsschlagzeilen an.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja!)

Gucken Sie sich an, wie die Entwicklung in China aussieht, von der unsere Wirtschaft sehr stark abhängt.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)

Gucken Sie sich auch die Entwicklung der Rohstoffpreise an. Sie sehen dann sehr deutliche Wolken am Horizont auftauchen, und darauf müssen wir uns einstellen. Alles andere wäre keine verantwortungsvolle Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die 6 Cent pro Handwerksstunde bringen es dann? Erstaunlich!)

Der Begriff „Solidarität“ wird auch in dieser Debatte sehr ausgiebig strapaziert. Ich möchte Sie schon noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns in Bezug auf die Solidarität nicht zu verstecken brauchen. Wir geben im Jahr über 200 Milliarden Euro – das sind über 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – für den Gesundheitsbereich aus und liegen damit gemeinsam mit anderen Ländern an der Spitze in Europa, zum Beispiel mit der Schweiz, mit den Niederlanden und mit Frankreich, die alle unterschiedliche Systeme haben. Die einen haben Arbeitgeberbeiträge, aber nur geringe, die anderen haben keine Arbeitgeberbeiträge, und wieder andere, wie Frankreich, haben eine Kostenerstattung von 70 Prozent.

Wenn wir das alles einmal nebeneinanderbetrachten, dann wird sehr deutlich, dass wir uns eben nicht zu verstecken brauchen, sondern dass wir in unserem Land eine ausgeprägte Solidarität zwischen Gesunden und Kranken und zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die beschneiden Sie doch gerade! Genau die wird beschädigt!)

Weil dies so ist, haben wir eine gute Wettbewerbsfähigkeit. Wir sind hier mit an der Spitze in der Welt und können anderen Ländern helfen, wie der Kollege Professor Lauterbach völlig richtig ausgeführt hat, und das wollen wir auch so beibehalten. Wir wollen diese gute Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft besitzen. Vor zehn Jahren haben das auch die Grünen einmal so gesehen, als die Entlastung der Unternehmen eingeführt wurde.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das war eine ganz andere Situation! 10 Prozent Arbeitslosigkeit!)

Das war damals so richtig, wie es heute richtig ist. Deswegen: Wir sollten darauf schauen, dass wir hier in guten Zeiten nicht Gesetze machen, die uns in einigen Jahren oder auch schon in kurzer Zeit wieder einholen können. Das wird mit uns nicht zu machen sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Thema Kassenwettbewerb. Es geht ja nicht nur um Geld und um Ent- und Belastungen an der einen oder anderen Stelle, sondern es geht auch darum, dass die Versicherten in unserem Land – das war damals auch der Grund dafür, warum man eine Entlastung der Unternehmen in Höhe von 0,9 Prozent eingeführt hat – in die Lage versetzt werden, zu vergleichen. Es ist sicher wichtig, die Beiträge zu vergleichen; aber auch die Leistungen der einzelnen Kassen und der Service, den die einzelnen Kassen anbieten, müssen untereinander verglichen werden können.

Gerade in einer Zeit, in der die Kosten im Gesundheitswesen unter anderem aufgrund der Medikamentenpreise und der Demografie in den nächsten Jahren in der Tat nach oben gehen, ist es umso wichtiger, dass sich auch die Versicherten in unserem Land mit diesem Thema auseinandersetzen und eine Auswahl treffen können, welche Krankenkasse für sie die richtige ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der noch gar nicht zur Sprache gekommen ist: Die Wirtschaft kann den Euro nur einmal ausgeben.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die Bürger auch!)

Das ist doch eigentlich eine Binsenweisheit, und es ist auch völlig klar: Wenn wir die Parität wiederherstellen würden, dann würde die zusätzliche Belastung, die dadurch bei den Unternehmen entsteht – sie mag nicht hoch sein –, bei den Tarifverhandlungen eine Rolle spielen. Ob das dann in Tarifverhandlungen bei den Unternehmen so durchsetzbar sein wird, weiß ich nicht; aber es wird jedenfalls Gegenstand sein.

Das heißt, wenn aufgrund einer konjunkturell guten Lage oder eines guten Produktivitätsfortschritts 1 Euro mehr zur Verfügung steht, dann würde dieser nicht zu 100 Prozent den Mitarbeitern zugutekommen, sondern es werden vielleicht nur 90 Cent sein, weil 10 Cent für die Wiederherstellung der Parität ausgegeben werden. Auch damit muss man bei Tarifverhandlungen rechnen. Insofern ist es doch auch eine gewisse Augenwischerei gegenüber den Arbeitnehmern, zu sagen: Auch wenn die Parität hergestellt ist, bekommst du das, was mehr erwirtschaftet wird, zu 100 Prozent. – Das ist nicht richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Argument?)

Ich tue mich übrigens überhaupt nicht schwer, in Versammlungen zu erklären, warum wir jetzt einen höheren Zusatzbeitrag von durchschnittlich 0,2 Prozent haben. Wir haben in den letzten zwei Jahren eine nicht ganz billige Gesetzgebung gemacht. Nehmen wir zum Beispiel – da bin ich Berichterstatter – das Krankenhauswesen. Mit dem Pflegestellen-Förderprogramm und dem Pflegezuschlag erhalten die Krankenhäuser mehr Geld, um mehr Pflegepersonal einstellen zu können. Das ist gut so. Die Nutznießer sind vor allen Dingen die Patientinnen und Patienten, die jetzt in den Krankenhäusern mehr Pflege am Bett zur Verfügung haben. Und genau dies lässt sich den Patientinnen und Patienten in Gesprächen erklären. Ich schaffe das. Und jeder andere, der das ernsthaft will, wird es auch schaffen.

Es geht, wenn man einmal ein Einkommen von 3 500 Euro zugrunde legt, um 7 Euro im Monat – bei einer Halbtagsbeschäftigung ist es entsprechend weniger –, die für diese besondere, gute Leistung zukünftig eingesetzt werden. Das ist, meine Damen und Herren, erklärbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht aber auch um die Tatsache – Kollege Irlstorfer hat es richtigerweise angesprochen –, dass die Arbeitgeber Berufsgenossenschaftsbeiträge und Unfallversicherungsbeiträge leisten sowie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu tragen haben. Das zahlen sie allein; da kann man von Parität gar nicht reden. Wenn man all das einmal zusammenfasst, ist das, was wir heute debattieren – ich habe das schon gesagt –, keine Frage der Parität und des Interessenausgleichs. Es handelt sich in der Tat um Wahlkampf. Insofern ist dieser Antrag ein Stück weit nicht ganz ehrlich. Deswegen werden wir ihm auch nicht zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Kollege Riebsamen. – Nächster Redner ist Dr. Edgar Franke für die SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6419710
Wahlperiode 18
Sitzung 149
Tagesordnungspunkt Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung
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