Rudolf HenkeCDU/CSU - Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung
Lieber Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Edgar Franke, als der Reichstag im Jahr 1883 das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter verabschiedete, wurden die Arbeitgeber zum ersten Mal gezwungen, einen Beitrag zu bezahlen. Ihr Beitrag lag damals bei einem Drittel der Versicherungskosten. Der jeweils zur Hälfte getragene Beitrag wurde dann im Jahr 1951 eingeführt. Mir erscheint es ein bisschen verwegen, die Frage von Solidarität, Gerechtigkeit und Vernunft alleine an dem Unterschied von 0,2 Prozentpunkten festzumachen. Es war Ulla Schmidt bzw. die SPD, die zusammen mit den Grünen die Zusatzbeiträge eingeführt hat. Die Differenz von 0,9 Prozentpunkten durch die Zusatzbeiträge auf der Arbeitnehmerseite ist also eine rot-grüne Errungenschaft. Die Aufregung darüber war damals viel kleiner als jetzt über die 0,2 Prozentpunkte.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde, das ist eine seltsam unterschiedliche Kategorie der Bewertung.
Herr Kollege Henke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?
Wenn ich den Satz noch zu Ende führen darf.
Und danach ja?
Anschließend sofort. – Deswegen bin ich zwar der Meinung, dass es nicht für ewige Zeiten so sein kann, dass man praktisch nur auf der Arbeitnehmerseite Entwicklungen hat. Aber dieses Prinzip gilt jetzt erst einmal für diese Legislaturperiode. Denn ich hasse es, dass man den Arbeitgebern Zusagen macht, um sie dann anschließend wieder zur Disposition zu stellen.
(Hilde Mattheis [SPD]: Was?)
Wir haben als Koalition den Arbeitgebern einen Beitragsanteil von 7,3 Prozent zugesagt. Ich finde, es gehört zur Planbarkeit, Vertrauensgrundlage und Verlässlichkeit von Politik, dass man dann auch dazu steht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Frau Kollegin Klein-Schmeink, jetzt haben Sie das Wort.
Danke schön. – Herr Henke, Sie haben gerade selber ausgeführt, dass eine solche Entscheidung nicht für die Ewigkeit sein kann. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Abkehr von der hälftigen Finanzierung 2001 entschieden worden ist, grundsätzlich dramatisch andere waren und dass es damals insgesamt einen großen Notstand gegeben hat. Uns drohten europäische Vertragsverletzungsverfahren. Wir hatten eine dramatische Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit und wirklich negative Vorzeichen in der wirtschaftlichen Entwicklung.
Wir sind heute ganz massiv in einer anderen Situation. Gerade die Deutlichkeit, mit der wir sehen, dass wir auf der einen Seite gesellschaftliche Aufgaben zu stemmen haben und auf der anderen Seite gerade im wirtschaftlichen Bereich eine hohe Prosperität besteht, ist der Grund, warum man nicht einfach weiter die Kosten auf die Arbeitnehmer abwälzen darf, sondern dahin kommen muss, die gesellschaftliche Solidarität wieder zu stärken. Denn wir haben gemeinsam im sozialen Bereich viele Aufgaben zu bewältigen. Deshalb sollte der soziale Zusammenhalt gestärkt werden. Ist das nicht auch die Aufgabe als Gesamtgesellschaft und für Sie als CDU/CSU, die auch den sozialen Zusammenhalt im Blick haben sollte?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank für die Frage, Frau Klein-Schmeink. Ich will sie gerne in zwei Abschnitten behandeln, weil Sie zum einen die Kosten auf der Arbeitnehmerseite und zum anderen das Stichwort „Prosperität“ angesprochen haben.
Der erste Teil. Ja, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, dass die Bilanz der Bundesregierungen unter Führung von Angela Merkel seit 2009 zu einer Stärkung der Wirtschaftskraft Deutschlands geführt hat. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, dass wir Lichtjahre von der Situation entfernt sind, die wir unter der Regierung Schröder gehabt haben.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, dass uns das in den Stand versetzt, Ausgaben zu finanzieren, die wir früher nicht hätten finanzieren können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sage aber auch, dass diese erzielten Erfolge nicht von allein eintreten. Einer der Schritte, die dabei zwingend sind, ist, dass man in seinen Aussagen und Ankündigungen verlässlich bleibt. Deswegen kann man die Kalkulationsgrundlage für die Unternehmen, die Zusage, in dieser Legislaturperiode 7,3 Prozent nicht zu überschreiten, nicht einfach beliebig ändern. Denn das wäre ein Beitrag dazu, Unzuverlässigkeit als zentrale Botschaft zu verbreiten. Das ist das eine.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dabei würde ich lieber um mehr Wettbewerbsfähigkeit als um weniger Verlässlichkeit ringen.
Nun zum zweiten Teil meiner Antwort. Sie sagen ständig – Herr Weinberg und Frau Zimmermann haben das ebenfalls vorgetragen; Herr Lauterbach hat das noch am mildesten vorgetragen, während Frau Mattheis das etwas stärker betont hat –, dass wir die Arbeitnehmer einseitig belasten.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!)
Jetzt gestehe ich Ihnen einmal etwas. Ich halte die Unterscheidung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag für hoch künstlich.
(Lachen der Abg. Hilde Mattheis [SPD] – Ulli Nissen [SPD]: Was ist das für ein Verständnis?)
In der Wirklichkeit des Lebens wendet ein Unternehmen selbst keinen Eurocent auf, egal ob es ihn in Investitionen, die Betriebskosten, die Löhne der Arbeitnehmer, die Sozialabgaben, die Gewerbesteuer oder andere Steuern steckt, der nicht auf der Leistung und der Arbeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer basiert. Alles, was verdient werden muss, müssen die in den Betrieben tätigen Menschen erwirtschaften. Sie erwirtschaften den kompletten Ertrag der Betriebe dadurch, dass sie ihre betriebliche Arbeitsleistung erbringen.
(Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Weil das so ist, müssen die Arbeitnehmer es erwirtschaften, egal ob es sich um den Arbeitgeberbeitrag oder um den Arbeitnehmerbeitrag handelt. Sie müssen beide Teile der Sozialabgabe durch ihre Anstrengung, Leistung und Kreativität erwirtschaften.
(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Das Geschäftsmodell eines Unternehmens funktioniert nur, wenn die Produktivität ausreicht, um alle Kosten zu refinanzieren. Weil das so ist, ist die Frage, ob der Arbeitnehmerbeitrag 0,2 Prozentpunkte höher oder niedriger ist, im Hinblick auf die betriebliche Realität und die Ansprüche, die das System an die Arbeitnehmer stellt, gleichgültig.
(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Henke, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach?
Ja.
Nur ganz kurz. Zunächst einmal vielen Dank für Ihre volkswirtschaftlichen Ausführungen. Wenn ich Ihrer bestechenden Logik folge und es keinen Unterschied macht, ob der Arbeitgeber- oder der Arbeitnehmerbeitrag steigt, weil es sich sowieso um einen Beitrag handelt, dann komme ich zu dem Schluss, dass der Arbeitgeber die gesamte Sozialversicherung bezahlen könnte.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jedenfalls ist es nicht zu begreifen, warum man, wenn man der Argumentation der Linken in der Antragsbegründung folgt – derjenige, der wenig hat, ist auf jeden Eurocent angewiesen –, bei 50 Prozent Schluss macht. Lieber Herr Lauterbach, worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Frau Klein-Schmeink hat uns vorgetragen, dass das bei einer Handwerkerstunde einen Unterschied von nur 6 Cent ausmacht. Herr Weinberg hat gesagt, dass es bei einem Golf einen Unterschied von nur 40 Euro ausmacht. Aber wer bezahlt das denn? Das bezahlt doch derjenige, der eine Handwerkerstunde in Anspruch nimmt oder einen Golf kauft. Sind das keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Im Wesentlichen müssen die Menschen das über den Preis bezahlen, die dann belastet werden.
Ich bin ein Anhänger des Systems unserer solidarischen Krankenversicherung. Aber was ich Ihnen mit meinen Ausführungen klarmachen will, ist, dass es sich hier um eine total künstliche Auseinandersetzung handelt, wenn man die Beantwortung der Frage, ob das System solidarisch, vernünftig und gerecht ist, alleine davon abhängig macht, ob es einen Unterschied von 0,2 Prozentpunkten gibt. Sie jazzen ein Thema hoch, das für die Menschen gar keine zentrale Bedeutung hat. Damit tragen Sie dazu bei, dass die Menschen plötzlich wie wild auf den Beitragsunterschied schauen. Sie tun so, als wäre ein etwas höherer Beitrag quasi eine Bestrafung für die Versicherten, die ihn aufbringen müssen. Ich empfehle den Menschen, weiterhin Mitglied der Krankenkasse, zu der sie Vertrauen haben, zu bleiben und mit dieser wie bisher zufrieden zu sein, auch wenn diese einen Zusatzbeitrag erhebt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Welche Arroganz! – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Kollege Henke, Sie haben den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage bei der Kollegin Zimmermann hervorgerufen.
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Henke, dass Sie die Frage noch zulassen. – Ich finde, Ihre Sichtweise ist natürlich insofern klar, als Sie durch die Beitragsbemessungsgrenze hier voll geschützt sind. Nehmen wir aber einmal eine Frau, die 2 500 Euro im Monat verdient. Die soll im Jahr bis zu 540 Euro mehr Krankenversicherungsbeiträge leisten. Meinen Sie nicht, dass das bei dem geringen Einkommen etwas viel ist?
(Beifall bei der LINKEN)
Der Beitrag in dieser Höhe kommt nicht zustande. Diese Differenz entsteht nicht. Das ist völlig illusionär. Sie malen ein Gespenst an die Wand, das es nicht gibt. Jeder, der rechnen kann, kann das nicht nachvollziehen. Ich muss Ihnen sagen: Da kann ich Ihrer Mathematik nicht folgen. Es tut mir leid, aber das gilt vielleicht für die meisten im Haus.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das spricht aber nicht für dieses Haus!)
Ich möchte auf die Frage der Differenzen zwischen den Beiträgen zurückkommen und einen Blick zurück auf 1993 werfen, als das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung den Bürgern das Recht eingeräumt hat, ihre Krankenkasse ab 1996 frei zu wählen. Das ist insofern in dieser Debatte von Bedeutung, als ein Versicherter heutzutage frei entscheiden kann, bei welcher Krankenkasse er sich versichern will. Dabei kann er die Zusatzbeiträge vergleichen, er kann die Leistungsprogramme der Krankenkassen vergleichen, er kann durch seine Entscheidung Leistungen hinzugewinnen, oder er kann direkt Geld sparen. Die Beitragssatzspanne zwischen den verschiedenen Krankenkassen liegt heute bei 1,5 Prozent.
Bevor das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung beschlossen wurde, vor 1993, hatten wir große Beitragsspannen der Versicherungen. Damals gab es ein Gefälle bei den Beitragssätzen von bis zu 8 Prozent. Also es gab Arbeitnehmer, die in ihrer Krankenkasse, aus der sie nicht ausscheiden konnten, 8 Prozent mehr bezahlen mussten als Arbeitnehmer in anderen Krankenkassen, die sich diese auch nicht aussuchen konnten.
Darf ich eine Grafik hochhalten, Herr Präsident?
Hochhalten geht, das ist erlaubt.
Es ist kein Plakat. – Jedenfalls kann man im Zeitverlauf sehr gut erkennen,
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann nicht sehen, was draufsteht!)
dass die Spreizung der Beiträge über die Jahre hinweg abgenommen und nicht zugenommen hat, und das ist ein Verdienst der Unionspolitik. Deswegen finde ich, dass wir an dieser Stelle keine starke Nachhilfe von Ihnen benötigen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger ist – das haben alle Umfragen gezeigt – natürlich einverstanden, dass sich Beiträge erhöhen, wenn sie durch eine qualitativ bessere Versorgung profitieren.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6419736 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 149 |
Tagesordnungspunkt | Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung |