Roderich KiesewetterCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur fortgesetzten Militärkooperation mit Saudi-Arabien und der Türkei
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Nahe und Mittlere Osten steht vor einer ungeheuren Zerreißprobe. Ethnische, kulturelle, religiöse Konflikte überlagern sich. Es droht der Zusammenbruch. Und wir machen eine Aktuelle Stunde und betrachten ausschließlich die Türkei und Saudi-Arabien. Meine Damen und Herren, das ist eine verfehlte Themensetzung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gestern auch nicht anders!)
Gut aber ist, dass wir uns in dieser Woche in zwei Aktuellen Stunden um diese Thematik kümmern. Ich denke, die Türkei und Saudi-Arabien in einen Topf zu werfen, ist verfehlt. Die Türkei ist erprobter NATO-Partner.
(Karin Binder [DIE LINKE]: Macht es das besser?)
Da müssen wir Einfluss nehmen mit Blick auf ihr Verhalten gegenüber den Kurden. Da müssen wir auch sehr deutlich machen, dass im Bereich der IS-Unterstützung einiges zu klären ist.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Aber die Türkei und Saudi-Arabien in einen Topf zu werfen, ist schlichtweg falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Deshalb möchte ich den Blick etwas weiten. Ich betrachte das Thema Militärkooperation als deutlich zu verengt. Die Militärkooperation mit Saudi-Arabien ist nämlich auf einem ganz minimalen Niveau. Zwischen 1965 und 2002 gab es eine intensive Ausbildungskooperation. Ich selbst habe in der Führungsakademie noch saudi-arabische Offiziere erlebt. Aber selbst wenn wir deutscherseits keine Militärkooperation mit Saudi-Arabien haben, so besucht doch jedes Jahr das NATO Defense College mit einer Delegation aus arabischen Staaten unseren Bundestag. Dabei haben wir Gelegenheit, den Gesprächsfaden aufrechtzuerhalten, weil Militär dort eine etwas andere Stellung hat als bei uns und unmittelbar an die jeweilige Staatsführung berichtet, was es im Bundestag an Fragen und an Diskussionen gibt. Diesen Einfluss müssen wir auch mit Blick auf Gespräche mit Saudi-Arabien und anderen Staaten in der Golfregion aufrechterhalten.
Was mir bei der Diskussion deutlich zu kurz kommt, ist die Bedeutung der sich überlagernden Machtlinien und dessen, dass inzwischen der Iran und Russland beginnen, ein Vakuum auszufüllen. Wir Deutschen, wir Europäer dürfen es nicht zulassen, dass dieses Vakuum von Russland und von Iran so ausgefüllt wird, dass hier ein Keil zwischen die USA und Europa getrieben wird und wir Europäer zuschauen.
Das, was die Linke letztlich fordert, ist: keine Beteiligung; die Region machen lassen. – Das ist vollkommen falsch. Der gesamte Bereich des Nahen und Mittleren Ostens gehört zu unserem Interessengebiet.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das glaube ich!)
Wir selbst sind persönlich in vielen Bereichen davon betroffen: in unseren Familien, in unseren Vereinen. Hunderttausende in Deutschland kümmern sich ehrenamtlich um Flüchtlinge aus dieser Region. Diesen Menschen und den vielen Gruppierungen mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement gilt es ganz herzlich zu danken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
In dem Zusammenhang müssen wir eindeutig herausstellen, dass wir in den nächsten Wochen eine Eskalation zu befürchten haben. Noch in diesem Monat, vermutlich in der nächsten Woche, findet die Implementierung des Nuklearabkommens mit dem Iran statt. Mit dem Tag der Implementierung werden mindestens – und das sind niedrige Schätzungen – 70 Milliarden US-Dollar freigegeben, die zurzeit eingefroren sind, mit denen der Iran arbeiten kann. Seien wir nicht so blauäugig, zu glauben, der Iran werde das Geld in soziale und gesundheitspolitische Maßnahmen im eigenen Land stecken. Er wird die Nachbarschaftskriege im Jemen unterstützen und weiter Aufstandsbekämpfung mit Blick auf Bekämpfung von gemäßigten Rebellengruppen betreiben. Er wird weiterhin Assad unterstützen, und er wird in vielen Bereichen mithelfen, zur Eskalation in Syrien beizutragen. Er wird weiter dazu beitragen, Assad zu stabilisieren, und wird alles tun, damit diese Mittel zur Entzweiung der gemäßigten Kräfte beitragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen darauf achten, dass die Stabilisierung dieser Regionen nicht durch Macht- und Hegemonialfaktoren von Ländern wie Russland und Iran erfolgt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb möchte ich mit einem Appell schließen. Die Europäische Union hat alle Fähigkeiten für eine diplomatische, ausgleichende, balancierende Politik. Wir müssen uns darauf einstellen, Jordanien und auch den Libanon in der Grenzsicherung zu unterstützen. Wir müssen uns sehr stark auf die Türkei konzentrieren, damit sie im Kampf gegen den IS alle Mittel freimacht. Wir sollten als EU und als Deutsche in der EU dazu beitragen, dass nicht nur das Welternährungsprogramm, sondern mit Blick auf die palästinensischen Gebiete auch die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East unterstützt wird, die einen hervorragenden Beitrag für Bildung und Gesundheit und damit auch für Menschenwürde leistet.
Es geht darum, die Organisationen, die in der Region bereits aktiv sind, zu unterstützen, damit die Ernährung, die Bildung und die Stabilisierung in den bereits vorhandenen Flüchtlingslagern weiter fortgesetzt werden können. Das ist ein Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung.
Deshalb geht es – weit weg von dem Thema Militärkooperation – um einen ganzheitlichen politischen Ansatz mit dem Oberziel UN-Mandat und starker europäischer Beitrag. Das kann Deutschland leisten. Hier müssen wir unsere Interessen formulieren. An dieser Stelle bitte ich auch um entsprechende Unterstützung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Claudia Roth.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6419832 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 149 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur fortgesetzten Militärkooperation mit Saudi-Arabien und der Türkei |