Edelgard Bulmahn - Bevölkerungsstatistik
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag „Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken“ hat durchaus einen sehr sperrigen Titel. Wer Böses denkt, könnte meinen, dass die Deutschen auch in der Entwicklungspolitik das tun, was sie angeblich am besten können: verwalten und bürokratisieren preußischer als jeder Preuße. Das ist aber bei diesem Antrag wirklich nicht der Fall.
Es geht um Zukunftsfragen. Damit Kinder eine Zukunft haben, damit unsere jüngst im letzten Jahr verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungsziele auch bei der zukünftigen Generation Chancen eröffnen, müssen wir uns mit vielen Dingen befassen. Wir wollen mit unserem Antrag eine Initiative ergreifen, um ein für uns in den Industrienationen alltägliches Kinderrecht umzusetzen, und zwar den Artikel 7 der Kinderrechtskonvention, in welchem es um Geburtsregister, Name und Staatsangehörigkeit geht:
Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Vertragsstaaten stellen die Verwirklichung dieser Rechte im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und mit ihren Verpflichtungen aufgrund der einschlägigen internationalen Übereinkünfte in diesem Bereich sicher, insbesondere für den Fall, dass das Kind sonst staatenlos wäre.
Dieses Kinderrecht ist nicht nur mir sehr wichtig, sondern auch wir in der Großen Koalition haben diese Initiative gerne gestartet und miteinander den Antrag formuliert. Denn erst durch eine Registrierung wird in einem modernen Staat mit seinem Erfordernis einer funktionierenden Verwaltung ein Mensch zum Staatsbürger und kann in den vollen Genuss der ihm zustehenden Rechte gelangen.
Ich war im vergangenen Jahr natürlich viel unterwegs, zum Beispiel beim Neujahrsempfang der UNICEF, und habe immer wieder festgestellt, dass viele Leute das Thema Geburtenregistrierung gar nicht auf dem Schirm hatten. Aber wenn man sie darauf angesprochen hat, ist man wirklich auf offene Ohren gestoßen. Das hat uns natürlich motiviert, Herr Kippels, gemeinsam mit der Union jetzt eine Initiative zu starten.
Mit diesem Bürgerrecht kann ich passiv und aktiv an Wahlen teilnehmen. Ich erhalte die Möglichkeit, einen Personalausweis, einen Reisepass und andere Dokumente zu erhalten. Sozialleistungen kann ich beziehen, in legalen Arbeitsverhältnissen beispielsweise Mindestlohn beanspruchen und eine Sozialversicherungs- und Steuernummer beantragen. Ich kann in die Schule gehen und mir damit einen Ausweg aus der Armut ermöglichen.
(Beifall bei der SPD)
Ich kann Grundeigentum erwerben, ein Konto eröffnen oder erben. Es bietet mir auch Schutz vor Verbrechen, vor Kinderarbeit, vor dem Kriegsdienst und vor sexueller Ausbeutung und Frühverheiratung. Es schützt vor Menschenhandel und illegaler internationaler Adoption. Kostenlose Impfungen und andere Gesundheitsdienstleistungen kann ich erhalten. Ich finde, es verhindert auch viele Ungerechtigkeiten und Ungleichheit. Auf der Flucht in einen anderen Staat – angesichts der Flüchtlingsthematik ist das im Moment ganz wichtig – erleide ich keine Staatenlosigkeit.
(Stefan Rebmann [SPD]: Sehr richtig!)
Wir setzen uns für das ein, was für uns in den Industriestaaten selbstverständlich ist, und zwar nach der Geburt unseres Kindes zum Standesamt zu gehen und eine Geburtsurkunde zu bekommen, auf welcher der Name des Kindes, seine Herkunft und seine Eltern niedergeschrieben sind. Mit dieser Urkunde ist das Kind Träger von Grundrechten, die es einklagen kann, und es kann einen Ausweis erhalten; es existiert. Es ist nicht unsichtbar, wie Sie, Herr Kippels, gerade gesagt haben, und es kann auch nicht einfach spurlos verschwinden.
Wir alle erinnern uns – ich möchte das an dieser Stelle deutlich sagen; denn es ist jetzt schon fast zwei Jahre her –, dass 231 Mädchen in Nigeria verschwunden sind; sie wurden von Boko Haram entführt. Ich glaube, nur ein Bruchteil dieser Mädchen ist wieder aufgetaucht. Viele von ihnen waren nicht geburtenregistriert. Das heißt, sie sind de facto gar nicht da gewesen. Das, meine lieben Freundinnen und Freunde, können wir nicht weiter zulassen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In vielen Entwicklungsländern findet leider keine Registrierung statt; wir haben es gerade gehört. Oft fehlt einem Staat die Möglichkeit zur Registrierung. Oft sind es Bürgerkrieg oder Armut und die Häufung von Naturkatastrophen, die sie verhindern. Es liegt natürlich auch an mangelnder Infrastruktur und am Fehlen eines Katasterwesens. Es ist kein Geld da, um ganz schlicht und einfach ein System aufzubauen. UNICEF beziffert die Zahl der Kinder unter fünf Jahren, deren Geburt nie registriert wurde, auf 230 Millionen. Das können wir doch nicht weiter zulassen.
(Beifall bei der SPD)
An dieser Stelle wollen wir ansetzen, damit sich an dieser Sachlage etwas ändert.
Zur Verbesserung dieser Problemlagen befasst sich unser Antrag mit der Geburtenregistrierung in Entwicklungsländern, den dabei auftretenden Problemen, und er zeigt Lösungsmöglichkeiten auf. Er enthält einen Maßnahmenkatalog, mit dem die Verfahren zur Registrierung seitens der Bundesregierung und des Parlaments unterstützt und weiterentwickelt werden können.
Unser Engagement muss darauf abzielen, sich mit den Problemen zu befassen, die dazu führen, dass keine Registrierung erfolgt. Das liegt natürlich nicht immer an einem reinen Mangel an administrativer Infrastruktur, sondern an vielen unterschiedlichen Gründen. Ich habe es gesagt: Die Registrierung kann Geld kosten, das viele einfach nicht haben. Man ist nicht erreichbar, weil es nur in den Städten oder im ganzen Land nur eine Meldestelle gibt. Es gibt auch ein mangelndes Problembewusstsein, was übrigens auch am Bildungsgrad liegt. Teilweise ist eine Registrierung legal nicht möglich, zum Beispiel dann, wenn die Mutter und das Kind einer ethnischen Minderheit angehören; auch das ist ein Grund, warum nicht registriert wird. Oder das Kind ist gar unehelich, und dadurch entstehen soziale Stigmatisierung oder Unterhaltsverpflichtungen.
Aus dieser Vielzahl von Gründen für die Nichtregistrierung von Geburten muss sich eine entsprechende Vielzahl von Lösungsansätzen ergeben. Daher müssen wir, wie es in unserem Antrag formuliert ist, unsere Initiativen erweitern: mit Aufklärung und Bildung, mit flächendeckenden Registrierungsstellen, mit Unterstützung der Reformen nationaler Gesetze, mit nationalen Partnerschaften oder einfach nur mit Unterstützung eines Telekommunikationsanbieters, also ganz niederschwellig. Denken Sie nur an SMS-Dienste oder Handys in Afrika. Kenia beispielsweise hat 42 Millionen Einwohner; davon haben 38 Millionen ein Handy. Die Menschen dort haben zwar nicht solche Handys, wie wir sie haben, also Smartphones, mit denen man sich im Internet bewegen kann, aber SMS-fähig sind sie alle. Das ist vielleicht eine Möglichkeit, um niederschwellig zu beginnen.
Es gibt Projekte, die wir jetzt schon unterstützen. Das müssen wir fortsetzen, und ich bitte Sie um Unterstützung für unseren Antrag.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als letzter Redner hat Uwe Kekeritz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6421220 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 149 |
Tagesordnungspunkt | Bevölkerungsstatistik |