15.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 150 / Tagesordnungspunkt 21

Volker BeckDIE GRÜNEN - Aufenthalts- und asylrechtliche Strafvorschriften

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wendt, das mit dem Strafrecht haben Sie nicht ganz verstanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Aber Sie!)

Dass man es nicht zur Straftat macht, dass jemand illegal die Grenze übertritt, heißt noch nicht, dass er sich legal hier aufhalten darf, wenn er kein Flüchtling oder Tourist ist und kein Visum hat. Wenn er keinen entsprechenden Grund für den Aufenthalt und keinen entsprechenden Titel hat, dann muss er unabhängig von der Strafbarkeit der illegalen Einreise selbstverständlich das Land verlassen. Dass diese Rechtsfolge nicht mehr gegeben ist, wenn wir das aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen, wird damit nicht bewirkt.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt dann diese Rechtsfolge nicht mehr!)

Das sollten Sie eigentlich bei der Vorbereitung der Rede durchdacht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber Sie liegen noch in einem weiteren Punkt falsch. Sie haben davon gesprochen, dass wir von sicheren Drittstaaten umgeben sind. Das ist zwar richtig, es hat aber mit dieser Materie nichts zu tun. Das sieht übrigens auch die Bundesregierung so. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vertritt auch die Bundesregierung die Auffassung, dass der Schutz des Artikel 31 Absatz 1 Genfer Flüchtlingskonvention nicht bereits durch die Einreise über einen sicheren Drittstaat verloren geht, wenn die Flucht dort nicht schon beendet war.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die Flucht!)

So weit zu der Frage der zwingenden Straflosigkeit für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention bei der illegalen Einreise.

Deshalb ist es doch richtig, zu sagen, dass die Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz in Bezug auf Flüchtlinge als kaum vermeidbare Ordnungswidrigkeiten zum Zweck der Vorbringung begründeter Schutzersuchen erscheinen. Das muss überwunden werden, weil es keinen Sinn macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Trotz der rechtlichen Voraussetzungen, in Deutschland Asyl zu beantragen oder den Flüchtlingsstatus zu erhalten, existieren nach dem Aufenthaltsgesetz Straftaten, welche nahezu jeden der Antragsteller betreffen. Demnach ist die Einreise ohne einen gültigen Aufenthaltstitel (Visum) per se eine Straftat, welche eine polizeiliche Bearbeitung nach sich zieht. Gibt der Betroffene seine Absicht kund, in Deutschland Asyl beantragen zu wollen, zieht dies keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich,

– das ist auch richtig –

dennoch führt diese Gesetzeslage dazu, dass ein Großteil der Flüchtlinge in Deutschland durch die Straftat der illegalen Einreise polizeilich bearbeitet wird, was auch das Erfassen und Speichern von Lichtbildern und Fingerabdrücken umfasst. Dies ist nicht nur enorm zeitaufwendig und personalbindend, sondern erscheint unter Berücksichtigung des Mangels an legalen Einreisemöglichkeiten widersprüchlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dem kann man eigentlich nichts hinzufügen. Das ist aber kein Grünen-Duktus oder Linken-Duktus, sondern das ist ein wortwörtliches Zitat des Bundes der Kriminalbeamten, der nämlich sagt: Wir wollen mit so einem Unsinn nicht unsere wertvolle Arbeitszeit verbringen; wir wollen weder Justiz- noch Polizeiressourcen für etwas binden, das ohnehin zu nichts anderem als zu Verfahrens­einstellungen führt; wir haben weiß Gott Wichtigeres zu tun. – Da ist der Polizei nur beizupflichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nein! Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten!)

– Wie bitte?

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten! Dafür werden sie bezahlt!)

– Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Ich lasse die Zwischenfrage zu, Frau Präsidentin.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben mich gefragt!)

– Wenn Sie keine Zwischenfrage stellen, können wir kein Gespräch führen. Das ist Ihre Entscheidung.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Meine Entscheidung ist, dazwischenzurufen oder nicht dazwischenzurufen!)

Herr Grund hat das Recht, dazwischenzurufen, ohne anschließend eine Frage zu stellen.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich möchte das nicht kriminalisiert haben!)

Es ist absurd, dass jeder Flüchtling qua Flüchtlingsstatus beim Grenzübertritt eine Straftat begeht. Das müssen wir überwinden.

Es kommt aber noch absurder. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie es um die Beihilfe von Menschen bestellt ist, die sich ehrenamtlich in Flüchtlingsinitiativen engagieren. Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, dass diese Menschen strafrechtlich belangt werden. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren ist der Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht bekannt. Wir wollen, dass uns die Bürgerinnen und Bürger helfen und sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge engagieren, und setzen sie gleichzeitig bei bestimmten Hilfsmaßnahmen der Gefahr aus, strafrechtlich verfolgt zu werden. Das ist doch eine absurde Situation.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist nicht so, dass das nicht passiert. Stichwort „Schwedentickets“ – Luise Amtsberg, das ist ein Beispiel aus Deiner Region –: Die Staatsanwaltschaft überprüfte die Strafbarkeit von Flüchtlingshelfern in Schleswig-Holstein, die Tickets gekauft haben, damit Menschen nach Schweden weiterreisen können.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können gleich bei mir anfangen!)

Das ist doch ein absurder Vorgang. Der Staatsanwalt hat geäußert, dass es eine rechtlich hochinteressante Frage sei, ob das strafbar ist oder nicht, auch wenn das im Ergebnis nicht entscheidend sei, da die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Sind wir denn völlig verrückt geworden, unsere Justiz mit so etwas zu belasten?

Lassen Sie uns ein Signal setzen: Die illegale Einreise von Flüchtlingen ist nicht strafbar. Da das so ist, müssen auch keine Verfahren eröffnet werden. Nehmen wir es also aus dem Strafgesetzbuch heraus! Menschen, die Flüchtlinge unterstützen, ohne habgierige und unverantwortliche Schleuser zu sein, sollen ebenfalls nicht belangt oder der Gefahr ausgesetzt werden, dass ihnen ihr ehrenamtliches Engagement zu guter Letzt auf die Füße fällt. Das wäre eine sinnvolle Maßnahme für Humanität und Entbürokratisierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn wir die Ressourcen unseres Staates nicht für sinnloses Zeug wie Ihre konservative Ideologie verschleudern, dann können wir guten Gewissens sagen: Wir schaffen das! – Wenn Sie so weitermachen wie bisher, ist das allerdings sehr zweifelhaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Das Wort als nächster Redner hat Sebastian Hartmann für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6424391
Wahlperiode 18
Sitzung 150
Tagesordnungspunkt Aufenthalts- und asylrechtliche Strafvorschriften
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