27.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 151 / Zusatzpunkt 1

Sabine ZimmermannDIE LINKE - Aktuelle Stunde

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich sollte ich entsetzt sein über das, was ich von Ihnen zu Arm und Reich in unserem Land und auf der Welt gehört habe. Aber ehrlich gesagt, ich habe nichts anderes erwartet. Sie leugnen die himmelschreienden Unterschiede zwischen obszönem Reichtum auf der einen Seite und bitterer Armut auf der anderen Seite in diesem Land. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass Armut nicht nur auf der Welt, sondern auch in unserem Land vorhanden ist. Aber das tun Sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Worum geht es? 10 Prozent gehört mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens, und das sind nur Ihre offiziellen Daten.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und bezahlen 46 Prozent der Steuern!)

– Hören Sie mir bitte zu! Dann werden Sie die Lage in Deutschland vielleicht ein bisschen besser verstehen.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Hängt von der Analyse ab!)

Wie gesagt, das sind nur die offiziellen Daten Ihrerseits. Ich zitiere einmal die taz:

In Wahrheit dürften die obersten 10 Prozent über mindestens 62 Prozent des Volksvermögens verfügen. Genaues weiß man nicht: Reichtum ist anonym in Deutschland.

Aber letztendlich ist es auch egal, ob den reichsten 10 Prozent mehr als 2,5 Billionen oder 3,1 Billionen Euro gehören. Ich will einmal plastisch darlegen, wie viel Geld das ist. 2,5 Billionen sind 2 500 mal 1 Milliarde. Was macht man mit so viel Geld?

Armut ist kein Thema, auch wenn sie zu sehen ist und wenn sie zunimmt. Man braucht nur hinzuschauen. Man sieht sie jeden Tag in den Kindertagesstätten, in den Schulen, in den Jobcentern, aber auch an den Tafeln. Da scheinen Sie, Herr Zimmer, nie zu sein. Ich will Ihnen eine Zahl nennen, die ich herausgesucht habe. Wir hatten 1994  4 Tafeln in Deutschland. Im Jahr 2003 haben wir 320 Tafeln gehabt. Diese Zahl hat sich seit 2003 verdreifacht. Wir haben über 900 Tafeln. Das ist die Realität in Deutschland. Nehmen Sie die endlich zur Kenntnis. Das ist beschämend.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich selbst – das muss ich Ihnen sagen – bin oft bei den Tafeln. Ich finde es sehr traurig, wenn ich sehe, wie die Kinder in der Schlange stehen und dort ihr Essen abholen, wenn ich sehe, wie Kinder in der Suppenküche stehen, um eine warme Mahlzeit zu erhalten, aber auch wenn ich sie in der Kleiderkammer sehe, wo sie sich eine warme Jacke abholen. Das ist die Realität. Sie können die Armut nicht verstecken. Sie ist da, und man sieht sie; sie ist sichtbar.

Auf der Homepage des Sozialministeriums findet sich der folgende, sehr richtige Satz: „Einkommensreichtum bedeutet … ein hohes Maß an Gestaltungs- und Verwirklichungschancen.“ Das gilt aber auch umgekehrt. Armut an Einkommen und Vermögen bedeutet auch, dass man sein eigenes Leben nicht mehr gestalten kann. Es bedeutet, dass man seinen Wohnsitz nicht mehr frei wählen kann, weil die Mieten so hoch sind. Es bedeutet, dass man nicht mehr alles essen kann, was man gern möchte. Biokost ist völlig unbezahlbar.

Man kann sich aber auch nicht so kleiden, wie man es gern möchte. Es bedeutet auch einen Ausschluss von sozialen Aktivitäten. So finden zum Beispiel die Besuche von Kino oder Tierpark bei Familien, die im Hartz-IV-Bezug sind, nicht mehr statt. Das betrifft aber auch Eltern, die im Niedriglohnbereich arbeiten. Das bedeutet, dass man seinen Kindern nicht mehr das kaufen kann, was sie sich wünschen oder was sie brauchen. Das ist Realität. Schauen Sie sich dort einmal um. Das betrifft auch 1 Million Langzeiterwerbslose, die von der Zunahme der Beschäftigung, die Sie immer so schön darstellen – Sie sprechen immer von Boom –, überhaupt nicht profitieren. Aber wir sehen das auch bei Menschen, die arbeiten und von ihrem Lohn nicht leben und ihre Familien nicht ernähren können. Das wird auch nicht besser.

Nun sagen Herr Linnemann und auch das Sozialministerium, dass die Kluft zwischen den reichsten Menschen im Lande und der unteren Hälfte in den letzten Jahren statistisch kleiner geworden ist. Ja, aber das liegt daran, dass im Zuge der Wirtschaftskrise Aktien und Wertpapiere an Wert verloren haben. Es hat sich aber nichts daran geändert, dass 30 Prozent bei uns in Deutschland statistisch kein Vermögen, sondern Schulden haben. Daran hat sich nichts geändert. Diese 30 Prozent arbeiten auch im Niedriglohnbereich, und diese 30 Prozent gehen nicht wählen. Diejenigen, die abgehängt sind oder die sich zumindest so fühlen, suchen natürlich nach Schuldigen für ihre Lage. Die AfD, die nicht einmal weiß, wie das Wort „sozial“ geschrieben wird, liefert ihnen die Sündenböcke.

Gerade junge Menschen sehen oft keine Perspektive mehr, sie haben das Gefühl, dass für sie nichts getan wird oder dass sie gar nicht mehr zählen. Da ist die Gefahr von rechts besonders groß. Wir brauchen uns bloß die deutsche Geschichte oder den bedenklichen Rechtsruck in ganz Europa anzuschauen.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Es reicht einfach nicht, wegzusehen, wenn Reiche immer reicher werden. Tun Sie endlich das, was auch das Sozialstaatsgebot im Grundgesetz von Ihnen verlangt. Tun Sie endlich etwas gegen die extreme Spaltung in unserer Gesellschaft.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt übertreiben Sie aber wirklich!)

Führen Sie endlich die Millionärssteuer ein.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächstes hat Kerstin Griese für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6475644
Wahlperiode 18
Sitzung 151
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde
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