27.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 151 / Zusatzpunkt 1

Kerstin GrieseSPD - Aktuelle Stunde

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen nicht weg. Im Gegenteil: Wir diskutieren über eine ganz wichtige Grundsatzfrage, mit der wir uns im Ausschuss für Arbeit und Soziales oft beschäftigen und die für uns in der SPD ganz zentral ist. In der Tat: Es gibt keine Argumente für eine so große globale Ungleichverteilung von Ressourcen und Vermögen. Es ist ein Skandal, dass weltweit immer noch 1 Milliarde Menschen in extremer Armut lebt. Deshalb geht es auch darum, europaweit und auch weltweit gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen zu fordern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales waren in Asien und haben sich vor Ort über die unglaubliche Tragödie des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch informiert und haben an die über 1 100 Menschen, die ihr Leben verloren haben, und an die 2 000 Menschen, die verletzt wurden, erinnert. Insofern geht es auch um weltweite Regeln für gute Arbeitsbedingungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir auf den Rahmen schauen, den wir hier in Deutschland gestalten können, wenn wir auf das schauen, was wir hier regulieren können, erkennt man: Man muss die Lage sehr differenziert sehen. Ich will drei Punkte nennen, bei denen man ansetzen kann.

Erstens. Es war ein rot-grünes Projekt – ich betone es noch einmal –, die Armuts- und Reichtumsberichterstattung als ständige Aufgabe mit Berichtspflicht zu implementieren. Das war ein guter Schritt. Ich finde es sehr gut, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Prozess jetzt so transparent gestaltet, dass daran alle mitwirken können – es hat extra ärmere Menschen an der Auswertung beteiligt – und dass auch der Reichtum genauer untersucht werden soll. Wir sind auf die Ergebnisse des nächsten Armuts- und Reichtumsberichts gespannt.

(Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das sind wir auch!)

Zweitens. Wenn wir die Ursachen von Armut konkret untersuchen, dann können wir an der richtigen Stelle ansetzen. Es geht um Vermögensentwicklung und Vermögensspreizung – darüber ist schon gesprochen worden –; aber es geht eben auch um Einkommensentwicklung und Einkommensspreizung. Da kann die Politik sehr direkt etwas tun.

Interessant ist, dass der letzte Armuts- und Reichtumsbericht ergeben hat, dass bis 2005 die sogenannte qualifikatorische Lohnspreizung zugenommen hatte, dass die Arbeitslosigkeit angestiegen war und dass die Arbeitslosigkeit für eine zunehmende Einkommensspreizung verantwortlich war. Aber seit 2005 hat sich das gedreht und leicht gebessert. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die wir jetzt zu verzeichnen haben, der Rückgang der Arbeitslosigkeit, all das ist ein wesentliches und entscheidendes Moment, um Armut zu verhindern.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Agenda 2010! Prima Sache!)

– Danke schön, Herr Kollege.

Übrigens haben wir die strukturellen Reformen am Arbeitsmarkt gemeinsam durchgesetzt, deren Ziel es ja war, viel mehr Menschen die Chance zu geben, durch Arbeit ihr Leben selbstständig zu gestalten und integriert zu werden.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Zu verarmen!)

Das war notwendig, es war im Grundsatz richtig, und es hatte – das ist wichtig für unser Thema – eine positive Beschäftigungsentwicklung zur Folge.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wegen der Schieflage im unteren Einkommensbereich haben wir zusätzlich den Mindestlohn eingeführt. Sie von den Linken hätten ja dafürstimmen können – das wäre eine gute Idee gewesen –; dann hätten wir das Mindestlohngesetz in diesem Haus einstimmig verabschieden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Linksfraktion hat das leider unterlassen. Wir haben also den flächendeckenden Mindestlohn eingeführt, und alle Horrorszenarien, die von verschiedenen Seiten gezeichnet wurden, haben sich nicht bewahrheitet. Das heißt ganz klar: Aktive Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsmarktreformen, Lohnpolitik, die Einführung des Mindestlohns sind ein Mittel gegen Einkommensspreizung und damit gegen Armut.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch etwas gehört zu diesem Punkt: Wir haben unter anderem mit der Einführung des Mindestlohns die Tarifbindung unterstützt. Wir konnten mehr Branchen motivieren, Tarifverträge abzuschließen. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen verbessert, und wir werden im Bereich der Werkverträge und der Leiharbeit so agieren, dass wir da besonders unterstützen, wo Tarifverträge abgeschlossen werden. Durch Tarifbindung kann die Einkommensverteilung positiv gestaltet werden. Deshalb ist mehr Tarifbindung gut für mehr Gerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Drittens – dieser Punkt liegt mir sehr am Herzen –: Armutsbekämpfung muss sich wesentlich der Schwächsten annehmen, nämlich der Kinder; denn die Zahl der Kinder, die in Familien geboren werden, in denen es so etwas wie vererbte Armut gibt, ist leider groß, und sie wird auch größer. Es gibt Kinder, die schon in der Schule auf die Frage nach ihrem Berufsziel antworten, sie wollten „Hartzer“ werden. Die Chancen dieser Kinder, einmal ein selbstbestimmtes, das heißt ein selbstfinanziertes Leben zu führen, sind, das wissen wir, leider nicht gut. Deshalb ist es so wichtig, dass wir noch mehr in eine gute und leistungsfähige Infrastruktur für Kinder investieren. Wir haben schon viel getan. Beim Ausbau der Kindertageseinrichtungen und der Ganztagsschulen sind wir in den letzten Jahren einen Riesenschritt vorangekommen. In diesem Zusammenhang danke ich den Familienministerinnen, angefangen bei Renate Schmidt und Christine Bergmann bis hin zu Manuela Schwesig.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ursula von der Leyen!)

– Frau von der Leyen hat unsere Politik wunderbar umgesetzt;

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das gehört auch zur Wahrheit, Frau Griese!)

dafür waren wir ihr sehr dankbar. Der Ausbau der Kinderbetreuung war in der letzten Großen Koalition eines der Gewinnerthemen.

Besonders benachteiligt sind weiterhin die alleinerziehenden Mütter. Deshalb muss für sie mehr getan werden. Ich denke an Angebote zur vorschulischen und schulischen Bildung, die Müttern den Einstieg in Erwerbsarbeit ermöglichen, und daran, Kinderbetreuung flexibel zu gestalten. All das ist konkrete Politik gegen Armut, damit sich Armut nicht vererbt, damit jedes Kind gute Bildungschancen hat und einen geregelten Tagesablauf erleben kann und damit jeder Mensch die Chance hat, gegen Armut selbst anzugehen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])

Mein letzter Punkt. Interessant ist, dass alle Studien betonen, dass soziale Ungleichheit auch der wirtschaftlichen Entwicklung schadet; wir haben es heute schon gehört. Es gibt also einen Grund mehr dafür, dass wir uns nicht ausruhen, sondern für die soziale Teilhabe aller Menschen, für die Teilhabe an Arbeit und ganz besonders für gute Chancen für alle Kinder kämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie einmal etwas zur Steuerpolitik!)

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6475722
Wahlperiode 18
Sitzung 151
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta