Ralf KapschackSPD - Aktuelle Stunde
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich nehme Sie mal kurz mit auf eine Zeitreise in das Jahr 1980.
(Zuruf von der LINKEN: Au ja!)
Da gab es eine Diplomarbeit eines jungen, hoffnungsvollen Wirtschaftswissenschaftlers an der Uni Bochum. Das Thema war: Ökonomische Aspekte der Diskussion über die neue soziale Frage – Armut in der Bundesrepublik. Neue soziale Frage – das war damals ein politischer Kampfbegriff, unter anderem von Heiner Geißler, dem Generalsekretär der CDU.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Guter Mann! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt vielleicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: „Jetzt“ ist sehr gut! Richtig! Toll! )
– Ich komme gleich noch einmal darauf zurück. – Neue soziale Frage, weil die alte, nämlich der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, angeblich erledigt war und sich neue Probleme ergeben hätten. Neue Probleme, weil bestimmte Gruppen nicht mehr ausreichend vertreten wurden.
Das Ergebnis der Diplomarbeit war: Vor allem Arbeitslose, kinderreiche Familien, ältere alleinstehende Frauen waren von Armut bedroht, und das hatte – wenig überraschend – auch etwas mit dem sozialen Status zu tun. Insofern war die alte Frage nicht beantwortet. Das ist jetzt mehr als 30 Jahre her. Doch an den Armutsrisiken für diese Gruppen hat sich wenig geändert. Andere sind dazugekommen, wie zum Beispiel Solo-Selbstständige – zugegeben. Das hat auch mit unserem System der sozialen Sicherung zu tun. Es ist differenzierter geworden, ja, komplizierter auch und an der einen oder anderen Stelle bestimmt gerechter. Viele beneiden uns um dieses System; aber ich finde, es ist noch Luft nach oben.
Altersarmut zum Beispiel, meinen ja einige, sei eigentlich gar kein Thema, weil deutlich weniger ältere Menschen Grundsicherung beziehen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das stimmt. Das stimmt, allerdings steigt die Zahl der Menschen, die als Rentner Grundsicherung beziehen, ständig an. Das hat auch damit zu tun, dass Rentnerinnen und Rentner künftig immer weniger auf eine ununterbrochene lange und gut bezahlte Erwerbstätigkeit zurückblicken können, eine Erwerbstätigkeit, die ein gesichertes Alterseinkommen sicherstellen soll. Auch da ist, wie man feststellt, wenn man sich das ansieht, das Risiko sehr ungleich verteilt. Rente ist ein Spiegel der Erwerbsbiografie. Wer, wie überwiegend Frauen, wenig, in Teilzeit oder in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet hat, bekommt im Alter die Quittung dafür und kann daran nichts mehr ändern.
Deshalb ist alles, was qualifizierte Erwerbstätigkeit fördert und notwendige Familienzeiten für die Rente absichert, gut gegen weibliche Altersarmut. Deshalb brauchen wir Möglichkeiten für Frauen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen – wir arbeiten daran. Deshalb brauchen wir ein Entgeltgleichheitsgesetz, das die Diskriminierung von Frauen beendet – wir arbeiten daran.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb brauchen wir auch – das ist schon angesprochen worden – eine Solidarrente, meinetwegen auch eine solidarische Lebensleistungsrente.
(Beifall bei der SPD)
Von dieser Rente würde zum Beispiel auch meine Mutter profitieren, die nach der Ausbildung früh geheiratet hat und sich dann um Familie und vier Kinder kümmerte. Sie hat jahrzehntelang kleinere Jobs auf Steuerkarte gemacht. Das Ergebnis sind 500 Euro Rente. 500 Euro Rente für ein Leben voller Arbeit – und das ist ja nun wirklich kein Einzelfall. Das ist ungerecht, und deshalb wollen wir das ändern – wir arbeiten daran.
(Beifall bei der SPD)
Natürlich werden wir uns auch damit beschäftigen müssen, wie die Alterssicherung insgesamt stabilisiert und verbessert werden kann. Und das kostet Geld, völlig klar. Aber damit eines klar ist: Auch die Wohlhabenden profitieren langfristig davon, wenn es gerechter zugeht. Das ist nicht meine Erkenntnis, sondern zum Beispiel die von Klaus Engel, dem Chef des Energiekonzerns Evonik. Sozialer Frieden ist ein Standortfaktor, der nicht zu unterschätzen ist.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU] und Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Um diesen sozialen Frieden zu sichern, braucht der Staat Geld, auch, um Armut bekämpfen zu können. Die stärkere Besteuerung hoher und höchster Einkommen und Vermögen bleibt deshalb für mich auf der Tagesordnung – trotz sprudelnder Steuereinnahmen. Ich würde da nicht allein auf Wachstum setzen.
(Beifall bei der SPD)
Zum Schluss noch zwei Bemerkungen. Heiner Geißler ist mir heute deutlich sympathischer als vor 30 Jahren; ich habe den Eindruck, in den eigenen Reihen ist das nicht so.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das gilt für Helmut Schmidt aber auch!)
Ganz zum Schluss: Armut ist keine Schande; aber das ist das einzig Gute, was man darüber sagen kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6475751 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 151 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde |